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 Rockoper
The Black Rider Vorsicht: Wild!
© Ilja Mess
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Sechs Darsteller, ein Statist und vier Musiker - das ist die glorreiche Elf, die sich engagiert der Herausforderung "Black Rider" stellt. Denn Nilufer K. Münzings Inszenierung ist kein weichgespültes Wohlfühlmusical. Mit Zähnen und Klauen versucht es, den Zuschauer zu packen. Wer sich auf den Höllentrip einlässt, den erwartet eine betörende Metamorphose der bekannten "Freischütz"-Geschichte.
(Text: Marcus Hoffmann) Premiere: | | 19.11.2015 | Rezensierte Vorstellung: | | 22.11.2015 | Letzte bekannte Aufführung: | | 05.04.2016 |
Ein elfengleicher Spielleiter mit langen blonden Haaren und blutiger Kehle stolziert durchs Theater. Er ist ein Erzähler, ein Beobachter außerhalb der Geschichte. Er platziert auf der Bühne eine weiße Kiste. Ein Theater im Theater beginnt, denn als ob die Büchse der Pandora geöffnet würde, entsteigen der Kiste die Akteure. Der Erste ist der Leibhaftige selbst alias Stelzfuß. Barfuß und mit hohem Absatz am anderen Fuß stelzt und hinkt die Darstellerin über die Bühne. Sie ist in schwarze Federn gehüllt - eine unheilige Krähe auf der Jagd nach einer unschuldigen Seele.
Schreiberling Wilhelm hat auf Förstertöchterchen Käthchen ein Auge geworfen - eine Göre, die an eine Gothic-Lolita erinnert. Dummerweise ist Wilhelm mit seiner Schreibmaschine treffsicherer als mit seiner Büchse. Um Förster Betram zu gefallen und um Käthchen zu freien, geht Wilhelm einen Bund mit dem Teufel ein. Wilhelm bekommt magische Kugeln, eine Droge, die ihn alles und jedes Wild treffen lässt. Er wird süchtig nach dem Erfolgsrausch. Ein letzter entscheidender Schuss steht bevor - ein goldener Schuss. Und Wilhelm lässt sich trotz aller Warnungen ein letztes Mal auf einen Pakt mit Stelzfuß ein. Das Schicksal nimmt seinen Lauf und Wilhelm muss erkennen, dass der Teufel sein ganz eigenes grausames Ziel verfolgt.
Die Darsteller harmonieren auf hohem Niveau. Von rauchig-verrucht in der tiefen Lage bis kraftvoll-aggressiv in der hohen Lage zeigt Stelzfuß Tini Prüfert einen großen Tonumfang. Mimik und Schauspiel sind fein auf das Geschehen abgestimmt. Mit mädchenhaftem Charme spielt Julia Baukus das junge Käthchen absolut überzeugend. Ihr glockenheller Sopran begeistert besonders bei den romantischen Passagen, auch wenn die Intonation in der Höhe nicht immer ganz perfekt ist. Körpersprache und Ausdruck sind sehr facettenreich.
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Jörg-Heinrich Benthien entwickelt Wilhelm sehr glaubhaft vom Schreibtischhengst zum verzweifelten Drogenjunkie. Mit ausdrucksvollem Spiel und fein moduliertem Gesang treibt er das Stück voran. Spielleiter/Erzähler Maximilian Wigger-Suttner begleitet dezent pointiert mit Ironie die Geschichte. Das Försterehepaar Bertram und Anne spielen Gunther Nickles und Susanne Weckerle. Die beiden sind mit viel Spaß bei der Sache.
Wie bei einer Collage wechseln sich surrealistisch dramatische Szenen mit lyrisch emotionalen ab. Käthchen skandiert "Was ist wie?" Sinn und Zweck bleiben vorerst verborgen. Wilhelm kommt dazu und es beginnt eine Art Poetry Slam. Während sie sich zu einem Picknick nieder lassen und wie zwei unschuldiger Kinder gemeinsam einen Drachen zusammenbauen, wandelt sich "Was ist wie…" in eine Liebeserklärung. Mit dem gefühlvollen Duett "The Briar and the Rose" besiegeln Käthchen und Wilhelm ihre Liebe.
Die Kompositionen von Tom Waits sind außerordentlich vielfältig. "The Briar and the Rose" ist eine harmonische lyrische Ballade im Stil eines irischen Volksliedes, das Chris de Burgh und Sir Elton John inspiriert haben könnte. Die Musik ist der kontinuierlichen Wandlung unterworfen. Anarchistischer Free-Jazz wandelt sich zu einem barocken Menuett mit passender Choreographie. Gleich darauf wird daraus klassischer New-Orleans-Jazz.
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Britta Lammers abstrahiert mit ihrem Bühnenbild die Szenen extrem. Ein weißes Portal und ein übergroßes Porträt bilden das Forsthaus. Wilhelms Schreibstube besteht nur aus einem Bühnenwagen. Mit dem Lichtdesign versucht Britta Lammers, die Dramatik einer Szene zu visualisieren. Der Minimalismus soll die Konzentration auf Musik und Schauspiel unterstützen, doch das gelingt nicht und erschwert die Interpretation der Handlung. Die Kostüme von Lammers sind dagegen bunt gemischt und opulent. Zusammen mit den Perücken regen die Kostüme vielfältige Assoziationen an, die das Verständnis der Figuren erleichtern.
Abwechslungsreich und sich ständig neu erfindend wie die Musik ist auch das Libretto. Die gesprochene Sprache ist meist deutsch. Wichtige Aussagen werden englisch wiederholt oder vermischt und binden so die englischen Songs gut in das Musical ein. Die sprachliche Mischung ist witzig und lockert die Handlung auf. Wilhelm: "Put down a pen, pick up a gun: easy said, doch schwer getan." Prosa verwandelt sich in Shakespeare’sche Poesie und wieder zurück. Sprache und Musik bilden im Gegensatz zur Bühne eine konsistente Basis, welche die isolierten Szenen zu einem Ganzen verbindet.
Aus dem Arrangement von Tom Waits für mehr als zehn Musiker hat "Mr. Magical Trumpet" Joo Kraus die musikalische Essenz destilliert und für vier virtuose Musiker umgeschrieben - die "Magic Bullet Band". Es ist wirklich erstaunlich, was das Quartett leistet. Sie jazzen, klimpern, rocken, unterstützen mit Soundtrack und intonieren gefühlvolle irische oder spanische Balladen. Durch die Reduktion des Orchesters gewinnt eine Produktion nur in seltenen Ausnahmefällen. Die Ulmer Inszenierung von " Black Rider" ist so eine Ausnahme.
Joo Kraus spielt nicht nur Trompete, Sopranposaune, Kornett, sondern sogar Xylofon. Nicht weniger als sechs verschiedene Dämpfer stehen neben ihm auf einem Tischchen und unterstützen seine atemberaubende musikalische Ausdruckskraft. Virtuose schnelle Jazz-Skalen, butterweiche Passagen, strahlende Brillanz - alles gelingt Kraus perfekt.
Torsten Krill an den Drums steht dem in Nichts nach. Dröhnende Rock-Base, schmachtend verruchte Jazz-Besen, lateinamerikanische Toms gehören zu seinem Repertoire. Der Virtuose an E- und akustischer Gitarre ist Jo Ambros. Er beherrscht viele Stilrichtungen. Röhrender Rock oder eine sensibel spanische Sologitarre. Der brummige Kontrabass rundet das Quartett ab. Gestrichen oder gezupft gibt Veit Hübner Sängern und Musikern eine stabile Basis.
"The Black Rider" in Ulm polarisiert. Nilufer K. Münzing lädt den Zuschauer auf eine Reise ein: "Kommt mit dem schwarzen Reiter". Nicht jeder folgt dieser Einladung. Das Theater ist nur halb gefüllt. Manche verlassen das Theater oder kommen nach der Pause nicht wieder. Wer aber bereit ist, mit wachen Augen, gespitzten Ohren und offenem Geist den wilden Metamorphosen zu folgen, erlebt einen außergewöhnlichen Abend.
(Text: Marcus Hoffmann)

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Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
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