 Comedy
Avenue Q Vor der Haustür wartet das Leben
© Nationaltheater Mannheim
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In Mannheim feiert das freche Broadway-Puppen-Musical seine Deutschland-Premiere. Zu sehen ist die Inszenierung aus St. Gallen, inklusive gleicher Cast in Zusammenarbeit mit BB Promotion.
(Text: Christian Heyden) Premiere: | | 19.04.2012 | Rezensierte Vorstellung: | | 19.04.2012 | Letzte bekannte Aufführung: | | 26.05.2013 |
Eigentlich steht das Nationaltheater in Mannheim nicht unbedingt für mutige neue Musicalproduktionen, aber was dem Premierenpublikum hier geboten wurde, dürfte bei so manchem Opern-Abonnenten einen kleinen Kulturschock ausgelöst haben. Die "Sesamstraße" für Erwachsene wurde auch bereits im Vorfeld mit der Altersfreigabe "Ab 16 Jahren" auf Plakaten, Eintrittskarten und im Internet beworben. Ob in Zeiten des heutigen Fernsehprogramms eine solche Freigabe wirklich erforderlich ist, sei dahingestellt. Fakt ist aber, dass es die Bewohner der "Avenue Q" schon ganz schön krachen lassen.
© Nationaltheater Mannheim
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Natürlich lässt sich ein Musical wie "Avenue Q", das vom Wortwitz lebt, nicht eins zu eins in eine andere Sprache übertragen, aber Dominik Flaschka und Roman Riklin haben wirklich gute Arbeit geleistet. Bei allen Songs bleiben sie sehr nah am Original ohne mit überflüssigen Schüttelreimen oder Wortkreationen zu arbeiten. Einzig der Song "Schadenfreude" ist etwas weiter vom Original entfernt, da man dem deutschsprachigen Publikum den Begriff Schadenfreude nicht so erklären muss wie dem englischsprachigen. Auch sonst hat man das Stück für das deutsche Publikum bearbeitet: Der Hausmeister wird zu Daniel Kübelböck, aus Witzen über Schwarze werden Witze über Schwule und Nicky vergleicht seinen Mitbewohner Rod optisch mit Guido Westerwelle.
Niedlich sind sie ja schon, die Puppen, die uns an ihrem Leben teilhaben lassen, aber schnell wird klar, dass der äußere Schein trügt - und so soll es bei diesem Musical auch sein. Die Puppen können sich halt mehr erlauben als echte Menschen. So würde wohl manch einer verschämt zu Boden schauen, wenn über Pornos im Internet gesungen wird, blökt aber das zottelige Trekkie-Monster "Porno" aus der Kulisse, liegen die Zuschauer vor Lachen auf dem Boden. Genauso bei "Wir alle sind ein bisschen rassistisch" - da wird gekichert und heimlich mit dem Kopf genickt, wenn sich die Akteure ihre Vorurteile um die Ohren werfen.
© Nationaltheater Mannheim
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Dass die Vorstellung so gut ankommt, liegt nicht nur am Stück an sich, sondern auch an der hervorragenden Cast, die in Mannheim auf der Bühne steht. Martin Schäffner gibt einen beängstigend realistischen Daniel Kübelböck (zugegeben eher zur DSDS-Zeit), Jonathan Agar hat als arbeitsloser Komiker Brian recht schnell die Sympathien auf seiner Seite und Lanie Sumalinog zelebriert köstlich die Klischees über etwas trashige asiatisch-amerikanische Ehefrauen. Besonders faszinierend für "Avenue Q"-Erstseher dürfte aber das Puppenspiel gewesen sein. Man vergisst ziemlich schnell, dass Puppen miteinander agieren, und wundert sich immer wieder, wieso man den Spielerwechsel bei einer Puppe nicht bemerkt.
Stimmlich zeigen sich Manuel Steinsdörfer als Princeton und Rod sowie Florian Claus, hauptsächlich als Nicky und Trekkie-Monster, sehr wandlungsfähig, bleiben aber trotzdem noch ein klein wenig hinter Stefanie Köhm zurück, die mit Kate Monster und Lucy D. Schlampe zwei sehr gegensätzliche Charaktere zu synchronisieren hat – besonders, wenn diese beiden auch noch miteinander um Princeton streiten. Kate klingt etwas nach Lisa Simpson, Lucy dagegen nach schmutzigem Sex. Kates Ballade "Nur ein ganz schmaler Grat" wird zum emotionalen Highlight des ersten Aktes. In den vielen kleinen Nebenrollen ist es neben Florian Claus vor allem Cornelia Löhr, die zu überzeugen weiß.
Standing Ovations am Schluss: Die meisten Zuschauer gingen mit lachenden Gesichtern aus dieser für Mannheim recht ungewöhnlichen Premiere. Ein Besuch (auch mehrmaliger) lohnt sich auf alle Fälle. Die Produzenten sollten unbedingt darüber nachdenken, diese Inszenierung zumindest auf einer CD zu verewigen.
(Text: ch) 
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Kreativteam
Besetzung
Zuschauer-Rezensionen
Die hier wiedergegebenen Bewertungen sind Meinungen einzelner Zuschauer und entsprechen nicht unbedingt den Ansichten der Musicalzentrale.
 3 Zuschauer haben eine Wertung abgegeben:

    29594 Auch in Mannheim sehenswert
27.05.2012 - Ich habe die Produktion schon letztes Jahr in St. Gallen gesehen. Es gab die schon erwähnten Anpassaungen an deutsche Personen, die aber funktionieren.
Der Unterschied zu Schweizer Aufführung: das Theater ist voll und der Funken springt anders als in St. Gallen sofort über - vielleicht weil auch die Leute hier wussten, was sie erwartet.
Darsteller und Musiker werden zu Recht mit Standing Ovations bedacht.

bernstein (29 Bewertungen, ∅ 3.6 Sterne)
    29575 In London besser
25.04.2012 - Auf deutsch hat es mich ein wenig enttäuscht. In London kam es definitiv viel besser rüber. Liegt auch an diesem zwanghaften eindeutschen statt einfach nur übersetzen.

Timon Freitag (10 Bewertungen, ∅ 3.8 Sterne)
    29570 Unterhaltsam, aber ohne satirischen Biss
20.04.2012 - In Zusammenarbeit mit BB Promotion und dem Theater St.Gallen präsentiert das Mannheimer Nationaltheater nun also die schweizer Inszenierung von AVENUE Q.
Wobei man auch hier das Buch nochmals bearbeitet hat, um es dem bundesdeutschen Sinn für Humor und Zeitgeist anzupassen.
Als Ergebnis dessen bekommt man einen (erschreckend realistischen) Daniel Kübelböck-Klon als Hausmeister der zentralen Häuserzeile der Avenue Q präsentiert.
Außerdem mischen sich auch immer wieder Namen wie Guido Westerwelle, Alexander Klaws oder Dieter Bohlen relativ konzept- und sinnfrei in die Gespräche der Protagonisten. Dies ist leider eine Technik, die von den Buchautoren Robert Lopez und Jeff Marx immer wieder angewandt wird. Namen von leidlich bekannten Persönlichkeiten werden in albernen, absurden oder obszönen Zusammenhängen verwendet. So wird z.B. ganz nebenbei und ohne einen Bezug oder Kontext die Bundeskanzlerin als "vertrocknete alte Schlampe" bezeichnet. (Tusch! Gelächter!) Dieser Humor, der noch dazu überproportional mit Four-Letter-Words gespickt ist, ist sicher nicht jedermanns Sache. Was alleine noch kein Kritikpunkt wäre. Wer bei AVENUE Q allerdings eine Satire oder zumindest ein Musical mit deutlich satirischen Elementen erwartet hat, der wird wohl enttäuscht sein.
AVENUE Q bietet in erster Linie flotten Klamauk und freche Sprüche. Bestenfalls nimmt das Stück das Leben, die Nöte und Orientierungsversuche von jungen Erwachsenen aufs Korn.
Rein optisch (daher auch die Puppen) parodiert AQ die amerikanische Sesame Street der 70er Jahre.
Leider ist die Wirkung des funktionalen und originellen Bühnenbildes und des kleinen Ensembles auf der sehr großen Bühne des Opernhauses nicht optimal. Einiges geht verloren. Ein kleinerer Rahmen würde besser zum Konzept des Stücks passen.
Eine kleine Band spielt im Orchestergraben die musikalisch etwas simplen und wenig abwechslungsreichen Songs von Lopez und Marx. Kaum etwas davon bleibt im Gehörgang. Mehr als nett und zweckdienlich kann man die Kompositionen kaum nennen.
Die Darsteller auf der Bühne sind aus der schweizer Produktion übernommen. Sie sind allesamt einfach großartig. Sie haben ihre (Puppen-)Charaktere vollkommen verinnerlicht. Insbesondere das Puppenspiel ist perfekt. Die Handpuppen führen ein faszinierendes Eigenleben und sind wirklich wunderbare Individuen. Stefanie Köhm fällt besonders positiv auf. Sie verhilft den sehr gegensätzlichen Puppendamen Kate Monster und Lucy D. Schlampe mit viel Humor und variabler Stimme zu einem urkomischen Eigenleben.
Insbesondere dieses sehr starke Ensemble wird beim lautstarken Schlußapplaus gefeiert. (Obwohl einige Zuschauer nach dem ersten Akt demonstrativ das Theater verlassen haben.)
AVENUE Q ist ein lustiger und kurzweiliger Abend, dem leider die musikalische Vielfalt und der satirische Biss fehlt.

kevin (174 Bewertungen, ∅ 3.3 Sterne) 
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