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 Schauer-Drama
Jekyll & Hyde Wenn Jekyll, dann auch Hyde
© Marlies Kross
© Marlies Kross
In Martin Schülers werkgetreuer Inszenierung des Schauer-Musicals über das nach und nach außer Kontrolle geratende Experiment, das Gute vom Bösen in der menschlichen Seele zu trennen, brilliert ein herausragender Hardy Brachmann in der persönlichkeitsgespaltenen Titelrolle.
(Text: Kai Wulfes) Premiere: | | 09.10.2010 | Rezensierte Vorstellung: | | 15.01.2011 | Letzte bekannte Aufführung: | | 02.06.2013 |
Den Bischof erwischt es in der Wanne. Der unter dem Einfluss der Droge "JK 7" stehende Dr. Jekyll beseitigt als mordender Hyde seinen ersten Widersacher aus dem Krankenhaus-Vorstand, indem er ihn im mit üppigem Schaum bekrönten Wasser ertränkt. Dabei wollte der Kirchenmann hier mit Nellie planschen, die Martin Schüler in seiner Inszenierung als Transvestit umdeutet. Auch an ihrem Hauptarbeitsplatz, der "Roten Ratte", sind nicht alle leicht bekleideten Damen das, was sie vorgeben zu sein. Der Regisseur ignoriert den nur auf den zweiten Blick erkennbaren, höheren Herren-Anteil beim lasziven Auftritt des Ballett-Ensembles in "Schafft die Männer 'ran" (choreografische Mitarbeit: AnnaLisa Canton) jedoch komplett. Um das klagende "Mädchen der Nacht" von Nellie, Lucy und den Mädchen schummelt er sich gekonnt herum, indem er es streicht.
Dabei hätte Schülers werkgetreuer, manchmal etwas hausbacken geratener Inszenierung etwas frischer Wind ganz gut getan. Der Regisseur arrangiert die blutrünstige Schauer-Story stimmig, gut nachvollziehbar und ohne Mätzchen, überlässt seine Darsteller jedoch oft sich selbst. So singen zum Beispiel Jekyll und Lisa ihr Duett "Nimm mich wie ich bin" mit wenig Bezug zueinander in armausbreitenden und händeringenden Musiktheater-Posen am vorderen Bühnenrand frontal ins Publikum. Unter dem fehlenden Musical-Staging leiden vor allem die rhythmisch sehr intensiven Ensemble-Nummern "Fassade" und "Mörder", die der als Menschenmasse geführte Opernchor des Staatstheaters eher lustlos und textlich unverständlich vorträgt.
Das üppige Kostümbild (Nicole Lorenz) und der mit wenigen, stimmungsvollen Versatzstücken und Möbeln dekorierte schwarze Bühnenraum (Gundula Martin) fangen das England des victorianischen Zeitalters gut ein. Eine wahre Augenweide ist Dr. Jekylls Labortisch, auf dem wie in einer Hexenküche geheimnisvoll schimmernde Substanzen brodeln, Dampf aus bizarr gekrümmten Rohren quillt und der ein oder andere Blitz zuckt. Allerdings stören die wegen der vielen Szenenwechsel erforderlichen, geräuschvollen Umbauten die vor dem herabgelassenen schwarzen Zwischenprospekt gesprochenen Dialoge empfindlich.
Das Staatstheater Cottbus ist in der luxeriösen Lage, die Titelpartie alternativ mit zwei hauseigenen Sängern zu besetzen. In der besuchten Vorstellung waren jedoch beide indisponiert. Hardy Brachmann erklärte sich trotz einer Erkältung bereit, aufzutreten und wurde nicht nur deshalb beim Schlussapplaus vom Publikum stürmisch gefeiert, denn mit seiner eindringlichen, facettenreichen Jekyll/Hyde-Interpretation fesselt er von der ersten Minute an. Brachmann gibt auf der einen Seite einen sympathischen und zielstrebigen Forscher, der mit zunehmender Dauer seiner Experimente mit dem persönlichkeitsspaltenden Elixier wie ein Abhängiger zu Grunde geht. Mit wilder Zottelmähne mutiert dieser Jekyll zum schnaufenden Mörder-Monster Hyde, das Brachmann mit rauerer Stimme furchteinflößend anlegt. Sein voller Tenor gleitet mal elegant, dann wieder brutal durch die Partitur und klingt erst bei der "Konfrontation" angestrengt und ausgelaugt. Ein Umstand, der auf die angeschlagene Gesundheit des Sängers zurückzuführen ist.
Aus der restlichen, sehr soliden Besetzung ragt der einzige Gast der Produktion, Camilla Kallfaß, heraus. Ihre Lucy ist weniger eine geschäftstüchtige Hure, dafür aber ein zerbrechliches, liebesbedürftiges Geschöpf, das sich in den sympathischen Jekyll verguckt. Kallfaß‘ Sopran entfaltet sich vor allem in den lyrischen Szenen ("Ein neues Leben") zu voller Pracht, harmoniert aber auch in "Gefährliches Spiel" mit ihrem Duettpartner Brachmann. Als Gegenspielerin in der Gunst um Jekyll wirkt Cornelia Zink optisch sehr viel reifer, was sie auch stimmlich mit ihrem klassisch ausgebildten Sopran unterstreicht. Die etwas undankbarere Rolle der Lisa gestaltet Zink dennoch nie zu opernhaft, ihr inniges "Da war einst ein Traum" gehört mit zu den musikalischen Höhepunkten in der Vorstellung. Auch wenn sie eher begleitende Funktion mit wenig solistischer Entfaltung haben: Marc Niemann und seine Musiker des Philharmonischen Orchesters fühlen sich in Wildhorns Partitur hörbar wohl.
Für die Bühne konzipiert von Steve Cuden & Frank Wildhorn Buch und Liedtexte von Leslie Bricusse / Musik von Frank Wildhorn Orchestrierung von Kim Scharnberg / Arrangements von Jason Howland Deutsch von Susanne Dengler und Eberhard Storz
(Text: kw)

Kreativteam
Besetzung
Produktionsgalerie (weitere Bilder)

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| Handlung | Der junge Arzt Henry Jekyll will das Gute vom Bösen im Menschen trennen - um das Böse zu eleminieren und die Menschheit vom Wahnsinn zu befreien. mehr Der Vorstand des St.-Judes-Krankenhauses lehnt seinen Antrag auf ein menschliches Versuchskaninchen entschieden ab. Jekyll experimentiert an sich selbst, und bekommt das Böse in sich bald nicht mehr unter Kontrolle. Als Edward Hyde tötet er die Mitglieder des Krankenhausvorstandes und bedroht die Hure Lucy, mit der Jekyll zuvor Mitleid gehabt hatte. Am Tag von Jekylls Hochzeit mit Lisa kommt es zum finalen Showdown zwischen Jekyll und Hyde.
| Weitere Infos | Das Musical von Frank Wildhorn (Musik) und Leslie Bricusse (Texte) basiert auf dem vielfach verfilmten Roman von Robert Louis Stevenson. Uraufgeführt wurde es 1990 in Houston - die Doppel-CD halten viele Fans immer noch für die beste Aufnahme der Show. 1997 kam das Musical an den Broadway. 1999 erlebte es unter der Regie von Dietrich Hilsdorf seine europäische Erstaufführung in Bremen (in der Übersetzung von Susanne Dengler, die auch die Lisa spielte). Diese Produktion wurde auch in Wien und Köln gezeigt. Seit März 2007 (Premiere in Chemnitz) gehört "Jekyll & Hyde" im deutschsprachigen Raum auch zum Stadttheater-Repertoire.
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Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
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Leider keine aktuellen Aufführungstermine. |
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