Sam Underwood (Holly Martins), Natalie Dunne (Anna Schmidt) in "The Third Man" © Manuel Harlan
Sam Underwood (Holly Martins), Natalie Dunne (Anna Schmidt) in "The Third Man" © Manuel Harlan

The Third Man (2023)
Menier Chocolate Factory, London

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Die Musicalfassung des 1949er Kultfilms “Der dritte Mann” wurde ursprünglich von den Vereinigten Bühnen Wien gemeinsam mit Autor Christopher Hampton konzipiert. Dass die Uraufführung nun doch nicht in der österreichischen Hauptstadt, wo die Handlung angesiedelt ist, sondern im fernen London stattfindet, ist wohl auch – aber sicher nicht nur – den Spielplan-Wirren der Pandemie geschuldet. Auf der kleinen Bühne der Menier Chocolate Factory kann das düstere Kriminaldrama seine Stärken wunderbar aus-, seine Schwächen allerdings nicht überspielen.

Einen Filmklassiker wie “Der dritte Mann” von der Leinwand auf die Bühne zu bringen, erfordert nicht nur Mut, sondern auch ein glückliches Händchen. Immerhin gilt der Film-Noir-Streifen als einer der besten britischen Filme überhaupt. Christopher Hampton (Buch) und Don Black (Gesangstexte) lassen sich glücklicherweise auf keine waghalsigen Experimente ein. Die Story bleibt sehr nah am Film: Der amerikanische Abenteuerroman-Schreiber Holly Martins kommt nach dem zweiten Weltkrieg nach Wien, um dort seinen Freund Harry Lime zu besuchen, doch dieser ist kurz zuvor bei einem Autounfall verstorben – unter Umständen, die Holly mehr und mehr mysteriös erscheinen. Gemeinsam mit Harrys Geliebter, der Cabaret-Sängerin Anna, versucht er die Wahrheit über Harrys Tod herauszufinden. Doch dessen Wiener Bekannte mauern, was das Zeug hält, und verstricken sich zunehmend in Widersprüche, und die Polizisten der britischen Besatzungsmacht machen Holly und Anna zusätzlich das Leben schwer.

Einige Szenen und Dialoge wurden fast wortwörtlich aus dem Film übernommen. Entscheidende Änderungen gibt es wenige und diese sind wohl überdacht – so findet Holly im Musical erst deutlich später das ganze Ausmaß von Harrys kriminellen Machenschaften heraus, was dem Erzähltempo durchaus gut tut. Die eingefügte Alptraum-Sequenz, in der Holly mit seinen Erlebnissen hadert, ist enorm plastisch und wirkungsvoll in Szene gesetzt und auch das leicht abgeänderte Ende sorgt für einen starken Moment im Finale.

Trevor Nunns Inszenierung zeichnet sich durch eine brillante atmosphärische Dichte aus und fängt die drückende, fast schon unheimliche Stimmung im Wien der Nachkriegszeit gekonnt ein. Im Vergleich zum Film wirkt die Geschichte noch düsterer, die Figuren noch zynischer, die Kulisse noch finsterer und trister. Ob im Kaffeehaus, auf dem Friedhof, im Prater oder in der Kanalisation – es wird nie wirklich hell auf der Bühne, die mittig im Spielsaal platziert und auf drei Seiten von den Publikumstribünen umrandet ist. Dank eines äußerst geschickten Lichtdesigns werfen die Akteure bedrohliche, überlebensgroße Schatten an die kargen Ziegel der Rückwand. Licht und Kostüme sorgen dafür, dass nahezu das gesamte Stück monochrom erscheint und fangen damit die Schwarz-Weiß-Film-Atmosphäre gekonnt ein. Ansonsten besteht das Bühnenbild ausschließlich aus relativ simplen Requisiten wie Stühlen, Tischen, Platten und Decken, die das Ambiente der jeweiligen Spielorte passend abbilden. Immer dann, wenn sie nicht genutzt werden, stehen sie in Barrikaden-ähnlichen Stapeln am Bühnenrand und betonen den desolaten Zustand der kriegsgebeutelten Donaumetropole.

Wäre Hamptons “The Third Man” ein reines Sprechtheaterstück, dann wäre es eine fast schon perfekte Bühnenversion. Der große Schwachpunkt des Musicals ist aber seine musikalische Umsetzung. Denn obwohl George Fentons wohlklingende Kompositionen die Handlung gut untermalen, Anleihen bei den berühmten Zither-Klängen aus dem Film nehmen, und mit Walzer-Rhythmen Wiener Flair verbreiten, fehlt den Songs jegliche Durchschlagskraft. Da kann die auf einem Podium oberhalb der linken Zuschauertribüne positionierte Band unter Leitung von Tamara Saringer noch so energetisch und präzise aufspielen, und die Darsteller ihre Soli, Duette und Ensemblenummern noch so schön singen – die Lieder klingen stets so, als steuern sie auf einen großen Moment zu, flachen dann aber auf halbem Weg dorthin ab und verklingen in austauschbarer Bedeutungslosigkeit. Kein einziger Song bleibt beim Verlassen des Theaters im Ohr. Fenton ist bei weitem kein unbeschriebenes Blatt und kann auf eine 40-jährige erfolgreiche Karriere als Filmkomponist sowie auf zahlreiche Theater-Kompositionen zurückblicken. Allerdings war er dabei stets für die instrumentale Untermalung und nicht für Songs zuständig. Genau das merkt man den Kompositionen von “The Third Man” an: Sie sind Mittel zum Zweck, um die Handlung zu unterstreichen, rücken aber nicht selbst in den Vordergrund oder setzen eigene Akzente. Für ein Musical zu wenig.

Keine Abstriche dagegen gibt es beim Cast. Sam Underwood, bekannt aus zahlreichen amerikanischen TV-Serien, legt seinen Holly Martins als sympathischen Loser an, der aus Loyalität zu seinem Freund in eine Sache stolpert, die spürbar zu groß für ihn ist. Er kann die Tragik seines Charakters ausspielen, hat aber mit trockenem Humor und gutem Timing in den witzigen Szenen auch die Lacher auf seiner Seite. Natalie Dunne als Anna ist bei ihren Cabaret-Auftritten der einzige Farbtupfer in der monochromen Kulisse. Ihre Songs interpretiert sie mit warmer, klarer Stimme, und der Spagat zwischen fast schon selbstzerstörerischer Ergebenheit zu Harry und aufkeimender Freundschaft zu Holly gelingt ihr gut. Edward Baker-Duly als britischer Major Calloway macht im Laufe des Stücks eine überzeugende Entwicklung vom Antagonisten zum Verbündeten durch; seinen Sergeant Paine spielt Jonathan Andrew Hume mit kumpelhaftem Charme. Harrys zwielichtige Freunde Baron Kurtz, Dr. Winkel und Popescu werden von Gary Milner, Alan Vicary und Harry Morrison mit sichtlicher Spielfreude für ihre schmierigen Charaktere dargestellt. Das Terzett der drei Bösewichte ist gesanglich ein absolutes Highlight.

Aus der insgesamt guten Darstellerriege sticht Simon Bailey hervor. Er ist in einer Doppelrolle zu sehen – einmal als vom Maskenbild auf alt getrimmter, kauziger Hotelbesitzer Crabbit sowie als totgeglaubter Harry Lime. Auch wenn man den Film nicht kennt und ohne gespoilert zu sein in das Musical geht, so sieht man die Wendung am Ende des ersten Akts doch schon von weitem kommen. Und dennoch: Wenn Harry zum ersten Mal sein Gesicht zeigt, ist das ein Gänsehautmoment, der seinesgleichen sucht. Simon Bailey hat als Harry so viel Charisma, dass man durchaus nachvollziehen kann, wieso es ihm Mal um Mal gelingt, alle um seinen Finger zu wickeln. Und sein Auftaktsong im zweiten Akt “Do Whatever You Must” ist auch dank Baileys energiegeladener Darbietung die wohl stärkste Nummer der Inszenierung.

Es drängt sich die Frage auf, wie “The Third Man” wohl auf den deutlich größeren und klassisch vor dem Publikum positionierten Bühnen in Wien funktionieren würde. Sprachlich wäre eine deutsche Fassung nicht ganz einfach, denn gerade einige der humorvolleren Szenen spielen genüsslich mit den englisch-deutschen Sprachbarrieren zwischen Holly und den Wienern. In Hinblick auf die Atmosphäre und Stimmung ist die Inszenierung der Menier Chocolate Factory kaum zu toppen – um dieselbe Bildgewalt auf einer großen Bühne zu erreichen, bräuchte es vermutlich eine opulentere und stärker detail-orientierte Ausstattung. Die musikalischen Schwächen dagegen ließen sich ohne Eingriffe in die Partitur oder zumindest Einfügen von zusätzlichen Songs kaum beheben. Schade, denn “The Third Man” hat viel Potential und wäre ein spannender Musical-Stoff für das Wiener Publikum.

 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
KREATIVTEAM
BuchChristopher Hampton
MusikGeorge Fenton
TextDon Black
InszenierungTrevor Nunn
Bühne / KostümePaul Farnsworth
Licht DesignEmma Chapman
Sound DesignGregory Clarke
OrchestrationsJason Carr
Musikal. LeitungTamara Saringer
Movement / ChoreographieRebecca Howell
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
CAST (AKTUELL)
Holly MartinsSam Underwood,
(Tim Walton)
Anna SchmidtNatalie Dunne,
(Leah Harris)
Crabbit, Harry LimeSimon Bailey,
(Tom Sterling)
Major CallowayEdward Baker-Duly,
(Craig Bartley)
The PorterDerek Griffiths,
(Aly Merali)
Sergeant PaineJonathan Andrew Hume,
(Aly Merali)
The Porters WifeRachel Izen,
(Cassiopeia Berkeley-Agyepong)
Baron KurtzGary Milner,
(Craig Bartley)
PopescuHarry Morrison,
(Aly Merali)
Dr. WinkelAlan Vicary,
(Craig Bartley)
CompanyChanice Alexander-Burnett
Craig Bartley
Cassiopeia Berkeley-Agyepong
Leah Harris
Aly Merali
Tom Sterling
Samantha Thomas
Tim Walton
  
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TERMINE
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TERMINE (HISTORY)
Sa, 10.06.2023 15:00Menier Chocolate Factory, LondonPreview
Sa, 10.06.2023 19:30Menier Chocolate Factory, LondonPreview
Di, 13.06.2023 19:30Menier Chocolate Factory, LondonPreview
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