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Für einen rundum gelungenen Musical-Abend muss man nicht in Musical-Metropolen wie Hamburg oder Stuttgart reisen und als Normalverdiener länger sparen, um sich die dort oft unverschämt hohen Ticketpreise leisten zu können. Oft lohnt auch der Besuch eines kommunalfinanzierten Theaters um die Ecke. Ein gutes Beispiel dafür ist die aktuelle Produktion von „Chess“ am Stadttheater Bremerhaven, in der einfach alles stimmt: von der Inszenierung, über die Ausstattung bis hin zum Cast, in dem gute hauseigene Kräfte durch namhafte Musicaldarsteller ergänzt werden.
Ost gegen West, Kapitalismus versus Kommunismus. Mitten in Europa tobt der Kalte Krieg und jedes der politischen Systeme versucht, auch abseits vom atomaren Säbelgerassel die Oberhand zu erlangen. Auf den ersten Blick nicht gerade ein geeignetes Thema für ein Musical, doch Autor Tim Rice erkannte das Potenzial. Er nahm den Zweikampf zwischen den beiden Schachgroßmeistern Boris Spasski (UdSSR) und Bobby Fischer (USA) um den Weltmeistertitel 1972 als Inspiration und schrieb ein fiktives Bühnendrama, in dem die zwischen dem Amerikaner Frederick Trumper und dem Russen Anatoly Sergievsky stehende Exil-Ungarin Florence Vassy zum Bauernopfer der Systeme wird. Benny Andersson und Björn Ulvaeus, besser bekannt als die beiden Bs der schwedischen Pop-Legende Abba, komponierten dazu eine symphonische Pop-Partitur mit wuchtigen Oratorien-Chorsätzen, volkstümelnden Weisen, schmachtenden Balladen und hymnischen Musicalsongs. Weltruhm errangen 1984/85 die beiden Chartstürmer „I Know Him so Well“ und „One Night in Bangkok“.
Trotz dieser beiden Hits und weiterer musikalischer Perlen ist das Musical „Chess“ ein seltener Gast auf den Bühnen im deutschsprachigen Raum. Das liegt vor allem an dem Buch, das trotz mehrerer Überarbeitungen weiterhin etwas sperrig daherkommt und besonders im zweiten Akt mit einem bitteren Hauruck-Ende schwächelt. Da bedarf es schon eines guten Regisseurs, der das richtige Timing findet und die spannende Story stringent und ohne verwirrende inszenatorische Mätzchen erzählt. Diese hohe Kunst beherrscht Andreas Gergen zweifellos, dessen ursprünglich für das Mecklenburgische Staatstheater konzipierte Inszenierung nach nur sieben Vorstellungen in Schwerin pandemiebedingt eingemottet werden musste. Es ist ein wahrer Glücksfall, dass sie nun am Stadttheater Bremerhaven unter der Spielleitung von Till Nau erneut auf die Bühne kommt.
Andreas Gergen schafft es, das Publikum bei hohem Erzähltempo und mit einer faszinierenden Personencharakterisierung und -führung zu fesseln. Die Massenszenen gleichen einem Blick in ein Wimmelbilderbuch, in denen alle Personen eine Funktion haben und nicht nur bloß herumstehen. So werden zum Beispiel im revuehaft gestalteten Beginn des ersten Aktes für den Empfang der Schachspiel-Kontrahenten in Meran ein roter Teppich ausgerollt, Fahnen und Banner geschwenkt und zum Spiel einer Blaskapelle wird geschuhplattelt. Der zweite Akt startet mit Bangkoks grellem Rotlichtmilieu, in dem Drogendealer, Hütchenspieler, Nutten und Ladyboys um Kundschaft buhlen.
Diese beiden bunt-realistischen Bilder umrahmen eine sehr abstrahierte, auf das Schicksal der Protagonisten fokussierte Inszenierung. Im zeitlos-schlichten Kostümbild von Conny Lüders dominiert die Farbe Schwarz. Daraus hervor sticht der schneeweiße Anzug des Schiedsrichters, dessen Outfit ihn wie einen über allem wachenden Schach-Gott wirken lässt und auch optisch Aussagen wie „Das Spiel ist größer als seine Spieler“ unterstreicht. Die spirituelle Betonung der Figur wird im thailändischen Tempel fortgesetzt, in dem der Schiedsrichter die Position eines sitzenden Buddhas einnimmt und von Chor-Herren in anderen religiösen Posen flankiert wird.
Das abstrakte Konzept setzt sich im Bühnenbild fort. Inspiriert von den Feldern eines Schachbretts, türmt Momme Heinrichs (fettFilm) unzählige Quader in verschiedenen Grautönen zu einem Treppenpodium aufeinander. Wenn diese, am äußeren Ende der Drehbühne postierte Konstruktion mit ihrer höheren Rückseite frontal zum Publikum postiert wird, entsteht durch eine weitere, von oben einschwebende Klötzchen-Formation eine geschlossene Wand. Diese Wand, vier hängende, schmale Gaze-Streifen an den Seiten sowie die Bühnenrückfront dienen als Projektionsfläche für die ebenfalls von Momme Heinrichs stammenden Video-Animationen, die Handlungsorte und Songtexte illustrieren. So werden zum Beispiel zu „Lass uns über Schach reden“ Bilder und Namen bekannter Schachspieler eingeblendet
In seiner Funktion als Choreograf lässt Till Nau eine erstaunlich vielfältige Palette an unterschiedlichsten Stilen tanzen, die die Ballettcompagnie des Hauses quasi im Dauereinsatz bravourös meistert. Die acht Damen und Herren glänzen sowohl in Modern Dance und Showtanz als auch mit akrobatischen und klassischen Elementen. Bei den Schachpartien kommentieren sie als in Lack gewandete schwarze Spielfiguren mit Hebefiguren und Sprüngen die Spielzüge.
Ein Pfund, mit dem die Aufführung wuchern kann, ist das im Graben sitzende Philharmonische Orchester Bremerhaven. Unter der Leitung von Davide Perniceni sind die Musiker pointiert spielende, aufmerksame Begleiter, die auch im ungewohnten Terrain der poppigeren Passagen die abwechslungsreiche Partitur zum Funkeln bringen. Dabei übertönen sie nie den Gesang auf der Bühne, können aber, wie beispielsweise beim sinfonisch anmutenden Intro zu „Tauch ein in Bangkok“, auch so richtig aufdrehen. Der hauseigene, in dieser Inszenierung besonders bewegungsintensiv eingesetzte Opernchor fühlt sich in den alles andere als nach Pop-Musical klingenden, choralartigen Songs hörbar wohl und begeistert mit seiner Spielfreude. Als ergänzender Popchor stehen Sydney Gabbard, Carmen Danen und Konstantin Busack auf der Bühne und spielen daneben mehrere kleine, stumme Rollen. Die Damen singen zudem eine kurze urkomische „Money, Money, Money“-Sequenz, mit dem augenzwinkernd an das wichtigste musikalische Projekt der Komponisten erinnert wird.
Aus dem hauseigenen Musiktheater-Ensemble sind die Rollen der beiden Delegationsleiter, des Schiedsrichters und der Ehefrau des nach seiner Flucht in den Westen staatenlos gewordenen Schach-Champions aus der UdSSR besetzt. Mit seinem tiefschwarzen Bass und einer stattlichen Erscheinung ist Ulrich Burdack ein finsterer russischer Politfunktionär, der auch vor den fiesesten Winkelzügen nicht zurückschreckt. Rollendeckend poltert er in „Die russische Maschine“ und vermittelt gemeinsam mit den Chorsängern die russische Seele in folkloristischen Passagen mit ganz
viel Wodka. In der Rolle des intriganten amerikanischen Delegationsleiters singt Bariton Marcin
Hutek kurioserweise mit einem leichten, osteuropäischen Akzent. Das ist allerdings zu verschmerzen,
da er seine klassisch geschulte Stimme für das Musical-Genre etwas zurücknimmt.
Die sehr dankbare Rolle des Schiedsrichters ist bei Mackenzie Gallinger nicht nur in seinem großen
Solo „Der Referee“ stimmlich bestens aufgehoben. Auch darstellerisch überzeugt der Sänger als
Bewahrer des Schachspiels. Ihren ebenfalls klassisch geschulten Mezzosopran nimmt auch Patrizia
Häusermann als Ehefrau Svetlana dezent zurück und ist im Duett „Ich kenn ihn so gut“ weit mehr als
nur eine zweite Stimme.
Mit seinen blonden Locken und einer jugendlichen Ausstrahlung ist Tobias Bieri schon rein optisch eine gute Besetzung als amerikanischer Schach-Champion Frederick Trumper. Im ersten Akt gibt er die Figur als egozentrischen, egoistischen Heißsporn, der regelmäßig ausrastet. Nachdem sich seine Geliebte von ihm getrennt hat, offenbart er im tragischen Song „Sei nie ein Kind“ seine schwere Kindheit als wahren Grund für seine Gier nach Erfolg und Anerkennung. Bieri zeigt hier seine wahre Klasse als Darsteller und liefert mit seinem schönen Poptenor einen der musikalischen Höhepunkte des Abends. Selbstverständlich trumpft er direkt nach der Pause auch beim Showstopper „Tauch ein in Bangkok“ auf.
Bereits in der Schweriner Aufführungsserie waren Femke Soetenga als Florence Vassy und Marc Clearals Anatoly Sergievsky zu sehen und zu hören. Soetenga legt ihre Rolle als Fredericks Assistentin und Geliebte sehr selbstbewusst an, wird aber im Laufe der tragischen Geschichte immer zerbrechlicher und muss sich im Epilog verbittet eingestehen, dass sie vor den Scherben ihres Lebens steht. Clear ist ein zunächst kühler Stratege, der allerdings mit der Flucht in den Westen den Machenschaften des Geheimdienstes seiner Heimat zum Opfer fällt und reumütig in die Sowjetunion zu seiner Familie zurückkehrt. Soetenga und Clear harmonieren stimmlich perfekt im Duett „Du und ich“ und beweisen nicht nur dort, dass sie zur Top-Liga der deutschsprachigen Musicaldarsteller gehören.
Auch wenn „Chess“ keine leicht verdauliche Musical-Kost bietet und vielleicht manchen Stamm-Abonnenten des Stadttheaters verstören wird, ist dem Stück eine erfolgreiche Spielserie zu wünschen. Diese Inszenierung hat es mehr als verdient!
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KREATIVTEAM |
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Musical von Benny Andersson und Björn Ulvaeusrn | ||||
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Liedtexte von Tim Ricern | ||||
Basierend auf einer Idee von Tim Ricer | ||||
Neue deutsche Textfassung von Kevin Schroeder | ||||
Musikalische Leitung | Davide Perniceni | |||
Inszenierung | Andreas Gergen | |||
Bühnenbild, Video | Momme Hinrichs (fettFilm) | |||
Kostüme | Conny Lüders | |||
Spielleitung, Choreografie | Till Nau |
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CAST (AKTUELL) |
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Frederick Trumper, amerikanischer Großmeister | Tobias Bieri | |||
Florence Vassy, Fredericks Geliebte | Femke Soetenga | |||
Anatoly Sergievsky, russischer Großmeister | Marc Clear | |||
Walter de Courcey, Chef der amerikanischen Delegation | Marcin Hutek (Cornelius Lewenberg) | |||
Alexander Molokow, Chef der russischen Delegation | Ulrich Burdack | |||
Schiedsrichter | Mackenzie Gallinger (Benjamin-Edouard Savoie) | |||
Svetlana Serievskaja, Antaloys Frau | Patrizia Häusermann (Carmen Danen) | |||
Popchor | Sydney Gabbard Carmen Danen Konstantin Busack | |||
Ballettcompagnie des Stadttheaters Bremerhaven | ||||
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Opernchor des Stadttheaters Bremerhaven | ||||
Philharmonisches Orchester Bremerhaven |
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GALERIE |
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TERMINE |
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keine aktuellen Termine |
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TERMINE (HISTORY) |
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Di, 26.10.2021 19:00 | Großes Haus, Bremerhaven | Kostprobe | |||||||
Sa, 30.10.2021 19:30 | Großes Haus, Bremerhaven | Premiere | |||||||
Mi, 03.11.2021 19:30 | Großes Haus, Bremerhaven | ||||||||
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Mi, 08.12.2021 19:30 | Großes Haus, Bremerhaven | ||||||||
Fr, 17.12.2021 19:30 | Großes Haus, Bremerhaven | ||||||||
Fr, 31.12.2021 15:00 | Großes Haus, Bremerhaven | ||||||||
Fr, 31.12.2021 19:00 | Großes Haus, Bremerhaven | ||||||||
Do, 06.01.2022 19:30 | Großes Haus, Bremerhaven | ||||||||
Sa, 15.01.2022 19:30 | Großes Haus, Bremerhaven | ||||||||
So, 23.01.2022 15:00 | Großes Haus, Bremerhaven | ||||||||
Sa, 29.01.2022 19:30 | Großes Haus, Bremerhaven | ||||||||
Sa, 12.02.2022 19:45 | Großes Haus, Bremerhaven | neue Beginnzeit | |||||||
Mi, 23.02.2022 19:45 | Großes Haus, Bremerhaven | abgesagt | |||||||
Sa, 19.03.2022 19:30 | Großes Haus, Bremerhaven | ||||||||
Mi, 23.03.2022 19:30 | Großes Haus, Bremerhaven | ||||||||
So, 27.03.2022 19:30 | Großes Haus, Bremerhaven | ||||||||
So, 03.04.2022 15:00 | Großes Haus, Bremerhaven | ||||||||
So, 10.04.2022 15:00 | Großes Haus, Bremerhaven | ||||||||
Mi, 08.06.2022 19:30 | Großes Haus, Bremerhaven | ||||||||
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