Nur einen Mann und einen Flügel, mehr benötigt die Aufführung von „Novecento – Die Legende vom Ozeanpianisten“ im Berliner Schlosspark Theater nicht. Der musikalisch inszenierte Monolog des italienischen Schriftstellers Alessandro Baricco aus dem Jahr 1994 lebt davon, dass ihm ein Klavier spielender Darsteller Leben einhaucht. Einfühlsam und schauspielerisch vielseitig lässt Musicaldarsteller Thomas Borchert die Geschichte des Findelkindes, das auf einem Passagierschiff zum begnadeten Ozeanpianisten wird, auferstehen.
Ein kleiner Wermutstropfen ist jedoch, dass der für seine ausdrucksstarke und voluminöse Stimme bekannte Sänger im Stück keine Gesangsparts hat und das Publikum daher nicht in den Genuss seiner Singstimme kommt, denn bei „Novecento“ handelt es sich um einen gesprochenen Monolog (deutscher Text: Karin Krieger), der von live gespielter Instrumentalmusik begleitet und untermalt wird. Doch dafür kann Borchert mit lebendigem, präzisem und pointiertem Schauspiel und seiner Fingerfertigkeit am Flügel punkten.
Die Geschichte des fiktiven Klaviervirtuosen Novecento ist für Borchert nicht neu. Im Jahr 2008 präsentierte er das Ein-Mann-Stück bereits in den Hamburger Kammerspielen. Die Freude darüber, das Stück im Berliner Schlosspark Theater in einer Neuinszenierung unter der Regie von Martin Maria Blau wieder auf die Bühne bringen zu können, ist Borchert deutlich anzumerken. Mit viel Spielfreude und Elan lässt er das Publikum an Novecentos Leben auf hoher See teilhaben, das im Jahr 1900 auf dem Passagierschiff „Virginian“ beginnt: Der Maschinist Danny Boodman findet den Säugling in einer auf dem Klavier im Ballsaal der 1. Klasse abgestellten Kiste und nimmt sich seiner an. Er gibt dem vermutlich von Auswanderern ausgesetzten Baby den Namen „Danny Boodman T. D. Lemon Novecento“. Während der den Jungen einerseits nach sich selbst benennt, stammt der zweite Teil des Namens von der Aufschrift der Kiste. „Novecento“ wiederum verweist auf das Geburtsjahr 1900. Im Laufe der Jahre entwickelt sich das Findelkind zum größten Pianisten, den die Welt je gesehen und gehört hat – zumindest die Menschen, die auf der „Virginian“ reisten. Denn niemals setzt Novecento einen Fuß an Land; noch nie hat er das Schiff, auf dem er geboren wurde, verlassen. Die Welt jenseits des Schiffsrumpfs ist ihm fremd. Nach dem Zweiten Weltkrieg droht dem Ozeandampfer die Sprengung. Trompeter Tim Tooney sucht seinen Freund ein letztes Mal auf, um ihn endlich zum Verlassen seiner schwimmenden Heimat zu bewegen…
Für die Rahmenhandlung des Stücks schlüpft Borchert in die Rolle Tim Tooneys, der berichtet, wie er den sagenumwobenen Ozeanpianisten kennen und schätzen lernte. Darüber hinaus verkörpert Borchert auch alle anderen Charaktere, die Anteil an Novecentos Leben nehmen: etwa seinen Pflegevater Danny Boodman, den grantigen Kapitän der „Virginian“, eine Passagierin der 1. Klasse oder den amerikanischen Pianisten Jelly Roll Morton, den „Erfinder des Jazz“ (übrigens eine historische Persönlichkeit). Borchert entfaltet dabei die ganze Bandbreite seines schauspielerischen Könnens: Jeder Figur verleiht er eine ganz eigene Gestik und Mimik. Unschuldig und geheimnisumwoben ist Novecento, locker-lässig Tim Tooney und herrlich selbstverliebt-überheblich Jelly Roll Morton.
Passend zum historischen Kontext sind Jazz, Blues und Ragtime die dominierenden Musikstile im Stück. Doch auch mystisch anmutende Klänge gibt es, die Novecentos geheimnisvolle Aura symbolisieren oder das stürmische Brausen des Meeres im Takt der Wellen.
Die Bühne betritt Borchert leger in Jeanshemd und Jeanshose. Stets ist er in Kontakt mit dem Publikum. Von der ersten Minute an nimmt er die Besucherinnen und Besucher des Schlosspark Theaters mit auf eine magisch-musikalische Reise auf den Weiten des Meeres, voller Leichtigkeit und Dynamik. Meist agiert er souverän vom Flügel aus, mal sitzt er in Gedanken versunken am Bühnenrand. Honoriert wird seine eindrucksvolle Solo-Performance (unplugged, ohne Noten und Libretto!) am Ende mit Jubel und Standing Ovations. Der Zauber des Ozeanpianisten ist auf das Publikum übergesprungen.
(Anm. der Redaktion: Die rezensierte Vorstellung war eine Preview der Neuinszenierung.)
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