Carsten Lepper © Heike Katthagen
Carsten Lepper © Heike Katthagen

NEUES FEATURE
"Träume so groß, dass alle dich für verrückt erklären!" - Carsten Lepper im Interview

Heute, auf den Tag genau vor 25 Jahren, hob sich im schweizerischen Bern der Vorhang für die Premiere der deutschsprachigen Erstaufführung von Andrew Lloyd Webbers „Aspects of Love“ und gab den Startschuss für die Karriere von Carsten Lepper, der an diesem Abend zum ersten Mal in einer Hauptrolle auf einer professionellen Musicalbühne stand. Vor einigen Tagen saßen wir mit Carsten bei Kaffee und Schokocroissants in seiner Wiener Wohnung, wo er uns anlässlich seines 25-jährigen Theaterjubiläums einen ehrlichen Einblick in seine Karriere gab – von den frühen Anfängen bis zu den Erfolgen auf den großen Bühnen. Dabei spricht er offen über die Herausforderungen des Berufs, seine Leidenschaft für das Musical, wie er es geschafft hat, in einer sich ständig wandelnden Branche immer wieder neue Wege zu gehen, wie er mit Kritik umgeht und diese für sich nutzt.

Carsten, es ist nun 25 Jahre her, dass du zum ersten Mal in einer Hauptrolle auf einer professionellen Musicalbühne standest – damals als Alex in der Schweizer Erstaufführung von „Aspects of Love“. Seitdem hast du zahllose Rollen geprägt, darunter Raoul in „Das Phantom der Oper“, sogar den Kinofilm synchronisiert, Luigi Lucheni in „Elisabeth“ und Mondego in „Der Graf von Monte Christo“. Kürzlich hast du deine Rolle als Duke im Musical „Moulin Rouge!“ in Köln beendet und bist wieder in deine Wahlheimat Wien zurückgekehrt. Wie fühlt sich das alles für dich an, wenn du zurückblickst?

Carsten Lepper (Alex) mit Maya Hakvoort (Rose) in der deutschsprachigen Erstaufführung von „Aspects of Love“, Bern © Jürg Müller/Bühne Bern

Ganz ehrlich? Es fühlt sich ein bisschen surreal an! Ich muss an der Stelle vielleicht ein bisschen ausholen – aber ich mach’s kurz: Ich denke, es ist immer wichtig, dass wir unseren Träumen folgen und uns auch mal trauen, ‚over the top‘ zu denken. Wenn wir Menschen immer nur in der Mittelklasse behaaren aus Angst vorm Scheitern und im Klein-Klein-Denken bleiben, kann niemals Großes entstehen. So versuche ich immer positiv zu denken, so nach dem Motto: „Es reicht, wenn Du drüber nachdenkst, wenn Du schon vor die Wand gelaufen bist.“ Ich bleibe positiv. Dennoch – die Wand behalte ich immer im Auge. Bis dahin versuche ich diese innere Blockade oder Angst zu überspringen, zu umfahren, diesen keinen Raum zu geben. Ein Prozess den ich aber auch erst lange erlernen musste – manchmal mit schmerzlichen aber oft auch mit sehr positiven Erfahrungen. Das gehört einfach dazu. Ein Auf und Ab.

Irgendwie scheint es als wäre „Aspects of Love“ erst gestern gewesen. Als ich damals in diesem wunderbaren Webber-Musical den Alex gespielt habe, hatte ich keine Ahnung, wo mich diese Reise hinführen würde. Vom Mörder in „Elisabeth“ zum Duke in „Moulin Rouge!“ – das Leben ist manchmal ziemlich verrückt! Aber eine Sache, die ich gelernt habe: „Träume groß, und zwar so groß, dass die Leute dich für verrückt erklären!“ Das ist mein Motto. Und weißt du was? Es funktioniert wunderbar! Es gab sicherlich Monate, wo Du dachtest: „Puh – wie geht es jetzt eigentlich weiter?“ Ich habe mich immer wieder versucht zu zentrieren – bei mir und meinen Träumen zu bleiben. Nicht immer einfach. Und rumms – dann kam wieder eine Idee zu einem Projekt oder gar ein Angebot. Ich bin sehr zufrieden und dankbar, wie mein Berufsleben bisher verlaufen ist. Wer kann schon von sich behaupten, fast alle seine Traumrollen gespielt zu haben. Das ist ein Privileg.

Was für ein großartiges Lebensmotto! Wir haben uns vor einigen Jahren kennengelernt und festgestellt, dass wir eine Parallele in unserem Leben haben: Unsere beider erste Musical-CD war die Londoner Aufnahme von „Aspects of Love“ und seither hat uns diese Show nicht mehr losgelassen. Apropos „Aspects of Love“: Du hast im Laufe der Jahre eine ganz besondere Verbindung zu dieser Show aufgebaut, die sogar in deiner Regiearbeit für die österreichische Erstaufführung gipfelte – und später in einer noch größeren und großartigen Fassung in Münster. Wie kam es dazu?

Mark Roy Luykx (Alex) mit Katja Berg (Rose) in „Aspects of Love“ Theater Münster © Martina Pipprich

Ja, „Aspects of Love“ und ich, wir gehören einfach irgendwie zusammen! [lacht]

Jahre nachdem ich Alex gespielt habe, habe ich die Show in Wien inszeniert, in einem eigenen Label „The Musical Showroom“, das von Christian Heredia, Doris Spiegel und mir gegründet wurde. Es war eine kleine, aber feine Produktion, nur mit zwei Klavieren und Percussion – aber sie hatte so viel Herz! Wir hatten zehn Darsteller auf der Bühne, Jan Meier von den Salzburger Festspielen als Bühnenbildner, alles was dazugehört. Wir haben alle so groß gedacht. Wir haben so viel Herzblut in diese Inszenierung gesteckt, und obwohl es eine kleine Produktion war, fühlte es sich wirklich groß an. Für mich war immer wichtig, dass das Publikum unseren Herzschlag spürt. Ich glaube, das ist uns gelungen. Später haben wir die Show auch ans Theater Münster gebracht, diesmal mit großem Orchester in einer komplett neuen Fassung und das war ein absoluter Erfolg. Was mich am meisten begeistert hat, war, dass sogar schlussendlich die gesamte Technik-Crew on stage richtig Spaß hatten – alles wurde händisch gefahren. 39 Szenenwechsel sind nicht ohne. Sie musste Wände schieben, unzählige Möbel hinein- und hinausschieben – alles zusammen mit einem wunderbaren Ensemble, das sie tatkräftig unterstützte. Sogar einen fahrenden Zug in dichtem Nebel mussten sie im kompletten Blackout so auf die Bühne schieben, dass das Publikum geblendet wurde und im nächsten Moment befinden wir uns schon IM Zug mit den beiden Protagonisten. Das war für mich Theatermagie pur – und ich hatte Schweißperlen auf der Stirn jedes Mal, weil ich wusste, wie schwierig das zu händeln war. [lacht] Es gab Szenenapplaus, wir waren jeden Abend ausverkauft und das bei einer Show wie „Aspects of Love“ – das ist keine Selbstverständlichkeit und macht mich und mein gesamtes Team extrem stolz.

Carsten Lepper (Duke)
© Jan Moos für „Moulin Rouge! – Das Musical“

Du hattest grösste Erfolge als Luigi Lucheni in „Elisabeth“, als Mr Andrews in „Titanic“, unzählige „West Side Story“-Shows als Tony oder auch als Chris in der österreichischen Erstaufführung von „Miss Saigon“. Wir kennen Dich in so vielen verschiedenen Rollen – aber der Bösewicht steht Dir besonders gut, wie du auch vor kurzem wieder beweisen konntest.  Wie bist du zum „Duke“ in „Moulin Rouge!“ gekommen?

Ein bisschen wie die Jungfrau zum Kind. Das war wirklich eine Überraschung! [lacht] Ich habe eines Tages einen Anruf vom Chef-Caster Christian Waba der heutigen ATG-Produktionsgesellschaft bekommen, und ich muss gestehen, ich hatte keine Ahnung, was „Moulin Rouge! – Das Musical“ überhaupt war – und dass, obwohl es DIE große Produktion in Deutschland ist, in der jede Kollegin und jeder Kollege gerade spielen will. Irgendwie ist die Show ein wenig an mir vorbei gegangen. Bei der Audition hatte ich den Text noch in der Hand, und bäm! – schon hatte ich die Rolle. Es ging innerhalb von einer Stunde. Total schnell und unerwartet. Ich hatte vielleicht acht Proben, bevor ich auf die Bühne musste. Das war echt verrückt. Meine Premiere war, um ehrlich zu sein, nicht gerade die beste, ich konnte gerade den Text und wusste, wo ich stehen musste, damit mich kein Bühnenteil überfährt. Aber nach und nach habe ich mich in die Rolle des Dukes hineingefühlt. Es war schon eine spannende Reise. Eigentlich sollte ich nur für ein paar Shows einspringen – daraus sind dann über 300 geworden. Am Ende blieb ich ein ganzes Jahr als Hauptbesetzung – so kann’s gehen!

Das klingt nach einer aufregenden Zeit. Gibt es noch andere Rollen, die dich zurück auf die Bühne locken würden?

Carsten Lepper © Heike Katthagen

Weißt du, nach so vielen Jahren und Rollen bin ich an einem Punkt, an dem ich nicht mehr unbedingtalles spielen muss. Ja, es gibt noch Traumrollen und das Spielen macht sehr viel Spass. Vielleicht gibt es noch die ein oder andere spannende Erstaufführung. Ich liebe es zu kreieren. Ich habe fast alle Rollen gespielt, die ich spielen wollte, aber es gibt da noch ein paar, die mich reizen würden. Freunde sagen immer wieder, ich sollte in „La Cage aux Folles“ Albin/Zaza spielen – eine wirklich tolle Rolle. Reizen würde mich auch sehr Roger De Bris aus „The Producers“. Er hat diese bissige Art, ist zynisch und irgendwie doch charmant und hat so viel Humor – ähnlich wie Lord Farquaad in „Shrek“, den ich in der deutschsprachigen Erstaufführung gespielt habe. Und Guido Contini aus „Nine“ – der wäre auch eine interessante Herausforderung. Zwischen Kunst und Liebe hin- und hergerissen, das hat was! Und irgendwie ein wenig mein Leben. [lacht] Und es gibt noch ein paar mehr Rollen – meist spannende Charakterrollen. Die mag ich sehr, weil ich als gelernter Schauspieler etwas zu ‚fressen‘ habe. Liebhaber sind schön und gut – aber irgendwie auf Dauer dann auch langweilig. [lacht]

Neben deinen Bühnenauftritten bist du für die „Grease“-Tour in einer ganz anderen Position verantwortlich. Wie fühlt sich diese neue Rolle an?

Oh, das ist eine ganz andere Welt im Bereich Theater und für mich wirklich ein ‚Try-out‘. Martin Flohr und Semmel Concerts haben mir die Gelegenheit gegeben, mal komplett von einer anderen Seite in das Showbusiness hineinzuschauen. Als Company Manager bin ich die „Mutti“ der Tourneemannschaft. Ich organisiere alles – von den Reisebussen über die Hotels bis hin zu Arztbesuchen für die englischsprachige Cast. Es ist eine große Herausforderung, weil es so weit weg von meinem künstlerischen Alltag ist und dennoch bin ich nahe an dem Cast. Aber genau das gefällt mir. Es hält mich auf Trab! Und ich mache diesen neuen Job nicht, weil ich ihn machen muss, sondern weil ich WILL.

Carsten Lepper © Heike Katthagen

Viele Theater-Menschen im deutschsprachigen Raum verstehen nicht, dass man mehrgleisig fahren kann – und sollte – im gleichen Genre. Das sehe ich total anders und halte es wie die Amis. Dort kannst Du heute Regisseur sein, morgen Darsteller und übermorgen gehst Du mal ins Stage Management – toll. Hier werde immer wieder konfrontiert: „Du musst Dich mal entscheiden.“ Darauf sage ich immer: „Warum? Gibt es da ein Regelbuch?“ Und wer mich kennt weiss – an diese braven Regeln habe ich mich selten gehalten. Darum finde ich den Ausflug ins Company Management auch so spannend. Aber die Kunst werde ich niemals komplett verlassen.

Aber mein großes neues Steckenpferd ist und bleibt die Regie an sich. Da würde ich gerne weitergehen und an tollen Häusern oder für tolle Produzenten inszenieren, die das Musicaltheater so lieben wie ich. Das würde mich wirklich sehr interessieren und da sprühe ich über vor Ideen und Tatendrang. Die ersten Gespräche waren nun da und Interesse besteht – aber dazu dann später mehr wenn die Tinte unter dem Vertrag getrocknet sein sollte. [lacht]

Und dann hast Du auch noch deine eigene Künstleragentur. Wie schaffst du es, das alles unter einen Hut zu bringen?

Ich muss zugeben – der Tag hat nur 24 Stunden und ich wünschte mir manchmal, er wäre länger. Aber auch da: Es geht alles um ein gutes Zeitmanagement. Während meiner Zeit bei „Moulin Rouge!“ hat das super funktioniert. Ich habe die Agenturarbeit einfach vom frühen Morgen bis zum Nachmittag erledigt und war dann abends frei für die Proben/Vorstellungen. Ich bleibe flexibel und in Bewegung. Und ich LIEBE diese Arbeit. Allerdings ist Agentur ist leider aus einem traurigen Moment in meinem Leben entstanden, nämlich durch das Ableben meiner wunderbaren langjährigen künstlerischen ‚Mutter‘ und Agentin Doris Fuhrmann. Künstlerinnen wie z. B. Daniela Ziegler oder Isabel Dörfler und auch mein damaliger Partner haben mich in dieser schweren Krise ermutigt, diesen Schritt zu gehen und es ist etwas Neues und Wunderbares entstanden, an das ich so niemals auch nur im Entferntesten gedacht habe, dass ich so etwas mal machen kann. Eine Mega-Kombi: Darsteller, Agent, Kultur-Manager und Regisseur. Mein großer Traum wäre, mein eigenes Theater zu führen, als Intendant. Da kann ich dann wirklich alles kombinieren. Es kommt nicht auf das Budget des Theaters an oder das es besonders renommiert ist – es geht um die kreative Zusammenarbeit vor und hinter den Kulissen. Du kannst mit wenig Mitteln viel bewerkstelligen. Das haben mein Team und ich bei „Aspects of Love“ in Münster bewiesen.

Carsten Lepper © David Castillo

Zu guter Letzt, du hast kürzlich angefangen, als Model unter dem Namen ‚Carter Fox‘ zu arbeiten. Wie kam es dazu?

[lacht] Es begann damit, dass mich eine tolle Fotografin für Male-Photography während „Moulin Rouge!“ gefragt hat, ob sie Fotos von mir machen dürfte. Ich war erst etwas unsicher, aber wir haben es durchgezogen, und am Ende hatte ich tolle Fotos. Ich habe sie auf Instagram gepostet, und plötzlich haben sich Fotografen aus ganz Europa gemeldet. Modeljobs kamen auch mich zu. Es war sehr überraschend! Um das ein bisschen vom Theater zu trennen, habe ich den Namen ‚Carter Fox‘ angenommen auf Raten meiner neuen Model-Agentur in den USA – das ist mein Alter Ego für diese etwas freizügigeren Shootings. Es macht Spaß, und ich nehme es locker – mal schauen, wohin es führt. [zwinkert]

Aber es gibt auch ein wenig Gegenwind aus den eigenen Reihen – ich nehme diesen wahr, aber nehme ihn nicht so ernst. Viel Gegenwind, ob nun als Darsteller, als Regisseur oder nun auch als Model, kommt nur aus der Unsicherheit der andern Person selber und manchmal leider auch aus Neid und Missgunst. Ein Kollege war ganz toll und hat mir direkt geschrieben und mich gefragt – diesen konnte ich dann in einem persönlichen Gespräch aufklären, wohin die Reise als Carter Fox gehen soll. Das fand ich wunderbar und ehrlich. Mir schreiben viele KollegInnen, teilen meine Fotos in den sozialen Medien und sagen, dass sie es grossartig finde, was ich alles mache. Ich will mich einfach nicht eine einzige Kiste stecken lassen. Denn wenn ich irgendwann mal nicht mehr meiner geliebten Berufung nachgehen kann, möchte ich mir sagen können, dass ich das, wonach sich meine Seele gesehnt hat, versucht habe umzusetzen, um ein vollkommenes und glückliches Leben zu haben. Was interessieren mich da die Meinungen oder auch Kritiken von ein paar wenigen, oder? Ich liebe da den Spruch von Karl Kraus [Anmerkung: österreichischer Schriftsteller]: „Nichts ist älter als die Zeitung von gestern.“

Carsten Lepper © Heike Katthagen

Carsten, vielen Dank für dieses wunderbare, ehrliche und offene Gespräch und nochmals herzlichen Glückwunsch zum 25-jähringen Theaterjubiläum! Es war ein Vergnügen, mehr über deine Karriere und deine Pläne zu erfahren. Wir sind gespannt, was die Zukunft für dich bereithält – sowohl auf, vor, hinter der Bühne oder auch als Model ‚Carter Fox‘ – da werden sicherlich manche Leserinnen und Leser nun gespannt etwas genauer hinschauen.

Danke dir! Es hat mir großen Spaß gemacht. Und nicht vergessen: „Träume so gross, dass sie Dich alle für verrückt erklären!“

 
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