Einmal pro Monat werde ich mich in meinen Fernsehsessel setzen und mir für euch einen Musicalfilm ansehen. Da werden bekannte Streifen dabei sein, aber auch Unbekanntes oder Vergessenes.
Der Film, den ich diesmal ausgesucht habe, gehört in die Kategorie „unbekannt und vergessen“. Zu Unrecht, denn die 1955 gedrehte Komödie ist tänzerisch-leichtfüßig und die einzige Gelegenheit, die Broadway-Ikone Bob Fosse in einer größeren Rolle zu sehen. Trotzdem ist dem Streifen anzumerken, dass er eine Notlösung geworden ist. Denn eigentlich wollte Columbia Pictures einen großen Broadway-Erfolg dieser Zeit verfilmen, der auf der gleichen Vorlage basiert: „Wonderful Town“ von Leonard Bernstein.
Doch erst einmal zum Inhalt: Die Schwestern Ruth (Betty Garrett) und Eileen (Janet Leigh) ziehen aus Ohio ins große New York. Die Journalistin Ruth will mit ihren Kurzgeschichten groß rauskommen und Eileen träumt davon, als Schauspielerin Karriere zu machen. Die ruppige und ziemlich scharfzüngige Ruth steht im Schatten ihrer bildhübschen Schwester. Sie mieten eine schmuddelige Kellerwohnung, unter der eine neue U-Bahn-Strecke gebaut wird. Die dafür nötigen Sprengungen lassen die Kulissen eindrucksvoll wackeln. Doch der Plan, in kürzester Zeit erfolgreich zu sein, geht nicht auf. Dafür treten Männer in ihr Leben. Der schüchterne Drugstore-Angestellte Frank (Bob Fosse) verliebt sich in Eileen, außerdem macht ihr der windige Reporter Chick (Tommy Rall) den Hof – und Bob (Jack Lemmon), der Chefredakteur der Zeitschrift „The Manhatter“, interessiert sich für Ruth.
Die „echte“ Ruth, Ruth McKenny, veröffentliche autobiografische Kurzgeschichten im New Yorker. Deren Bühnenfassung lief 1940 unter dem Titel „My Sister Eileen“ erfolgreich am Broadway und wurde unter diesem Titel bereits 1942 verfilmt. Rosalind Russell bekam für ihre Darstellung der Ruth in der ursprünglichen, Nicht-Musical-Fassung eine Oscar-Nominierung. Sie wiederholte ihren Erfolg 1953 am Broadway in der (hierzulande viel zu selten gespielten) Musicalversion „Wonderful Town“ mit der Musik von Leonard Bernstein. Columbia Pictures wollte die Filmrechte des Musicals kaufen, um darin ihren größten Star Judy Holliday glänzen zu lassen. Doch die Rechte waren dem Filmstudio letztendlich zu teuer. Aber sie hatten noch die Rechte an der Theaterfassung und ließen auf deren Grundlage kurzerhand ein eigenes Musical mit Musik von Jule Styne entwickeln. Allerdings spielte Holliday mittlerweile erfolgreich „Bells Are Ringing“ am Broadway, Rosalind Russell war ebenfalls dort in „Auntie Mame“ verpflichtet, andere prominente Besetzungsversuche kamen auch nicht zustande. Also ging die Rolle an Betty Garrett.
Garrett war nie ein großer Star. Ihr bekanntester Filmauftritt dürfte „On the Town“ („Heut‘ gehn wir bummeln“) von 1949 sein, zumindest in Grundzügen eine Verfilmung des Bernstein-Musicals. Ihr Ehemann, ebenfalls Schauspieler, stand auf McCarthys berüchtigter „Schwarzen Liste“, deswegen ließ MGM den Vertrag mit ihr auslaufen und sie trat vor allem in Nachtclubs auf. „My Sister Eileen“ ist Garretts einzige große Filmrolle. Das ist sehr bedauerlich, denn sie singt und tanzt sehr gut und ist mit viel trockenem Humor ausgesprochen witzig. In den 1970ern kam sie wenigstens in Sitcom-Nebenrollen zu preisgekröntem TV-Ruhm.
Janet Leigh ist vor allem als berühmtestes Mordopfer der Filmgeschichte in „Psycho“ bekannt. In den 1950er Jahren wurde sie wohl vorrangig wegen ihres Aussehens besetzt; schauspielerisch forderten sie diese Rollen auf jeden Fall nicht sehr. Hier überrascht sie mit Charme und Humor. Ihre Eileen ist etwas unbedarft, aber sie wird nie zur dummen Blondine. Leighs komödiantische Fähigkeiten habe ich bislang unterschätzt.
Jack Lemmon war zwar damals schon bekannt und gut im Geschäft, aber den richtig großen Durchbruch hatte er noch nicht geschafft. Mit seiner Rolle habe ich ziemlich gefremdelt. Einerseits stimmt die Chemie zwischen Garrett und ihm, aber Bob wird Ruth gegenüber übergriffig und trotzdem winkt ihm ein Happy End mit ihr. Ach, die guten alten 50er, als Frauen noch froh waren, wenn sich ein Mann wie auch immer für sie interessierte …
Bob Fosse übernahm nicht nur die Rolle des Frank, sondern war auch zum ersten Mal für eine Film-Choreografie verantwortlich. In dieser Rolle ist Fosse sehr putzig und tanzt irre gut. Und das hat mir an diesem Film wirklich gut gefallen: Es wird toll getanzt. Frank und Chick tragen wegen Eileen einen Konkurrenztanz aus, der mit angeberischen Hut-Tricks beginnt (Hüte setzte Fosse ja überhaupt gerne in seinen Choreografien ein) und endet in akrobatischen Sprüngen. Auch „Give Me a Band and My Baby“, in der Garrett, Leigh, Fosse und Rall nach einem Streifzug durch Clubs angeschickert im Park eine Band nachspielen, ist ein komödiantisches Schmuckstück. Es ist zwar offensichtlich, dass Fosse und Chick-Darsteller Tommy Rall die spektakulären Schritte machen, aber auch Betty Garrett ist eine sehr gute Tänzerin. Beim genauen Hinsehen hat Janet Leigh zwar die „einfachsten“ Schritte zu tanzen, aber auch das übertrifft, wozu ich fähig wäre und verdient meine Hochachtung.
Die Songs von Jule Styne („Gypsy“, „Funny Girl“) sind routiniert und nicht so anspruchsvoll wie die von Leonard Bernstein. „I’m Great“ ist eine aufputschende „Wir schaffen es“-Nummer, die für Schwung sorgt; „Give Me a Band and My Baby“ ist ein lustiger Showstopper. Die restlichen Lieder sind funktional und gut gemacht, aber nichts, was mir lange im Gedächtnis blieb. Die in allen Fassungen vorkommende Conga gegen Ende hat bei Styne nicht die Ohrwurmqualität wie bei Bernstein. Die meisten Songs singt Garrett; die kurzen Gesangseinsätze von Leigh und Lemmon sind offensichtlich von professionellen Sängern eingespielt.
Positiv ist mir die federleichte Inszenierung aufgefallen. Regisseur Richard Quine begann seine Karriere als Schauspieler. Mit „My Sister Eileen“ kannte er sich bestens aus; er spielte den Frank sowohl am Broadway als auch in der Verfilmung von 1942. Er drehte vor allem Unterhaltungsfilme ohne großen Anspruch, aber für Komödien war er genau der Richtige. Die Wahl des Regisseurs und auch die Besetzung der Hauptrolle mit einer zwar sehr guten, aber nicht zugkräftigen Darstellerin, zeigen, dass Columbia bei diesem Film keine großen Ambitionen hatte. Betty Garretts Gage wird sich im Rahmen gehalten haben, Janet Leigh und Jack Lemmon waren Vertragsschauspieler des Studios, bis auf wenige Szenen wurde im Studio gedreht und es gibt keine Song-and-Dance-Nummern mit großem Ensemble – hier wurde recht günstig produziert.
Das Drehbuch von Blake Edwards und Richard Quine ist voller temporeicher Dialoge – und sexistischer Scherze. Die beiden alleinstehenden Schwestern werden nicht für voll genommen und sind Freiwild. Ein Nein von ihnen wird verächtlich von Männern beiseite gewischt oder einfach ignoriert. Das hat mir so gar nicht gefallen. Wenn ich das zähneknirschend als „so war das halt damals“ ausblende, muss ich sagen, dass ich 108 kurzweilige Minuten hatte. Außerdem habe ich zwei tolle Hauptdarstellerinnen gesehen: die überraschend komische Janet Leigh und das Allround-Talent Betty Garrett. Und Bob Fosse sieht man ja auch nicht alle Tage seine eigenen Choreografien tanzen.
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