Marc Seitz: Es geht darum, Türen zu öffnen

[Drei Fragen an …] Machen “Spektakel und großes Tamtam” ein gutes Musical aus, oder sind es das Handwerk und die Liebe zum Detail, die aus einem Musical einen Hit machen? Kevin Schröder, Robin Kulisch und Friderike Harmstorf initiierten das Projekt “Schreib:maschine”, bei dem kreative Köpfe neue Musicals entwickeln. Marc Seitz, Teilnehmer der “Schreib:Maschine”, spricht in der zweiten Folge unserer neuen Serie über den Wandel am deutschen Musicalmarkt und die Chancen, die ein solches Kreativprojekt bietet.

Herr Seitz, die Plattform “Schreib:Maschine” bietet jungen Autoren, Komponisten und sonstigen Kreativen die Möglichkeit, aktuelle Ideen und Arbeiten zu neuen Musicals zu präsentieren. Lohnt es sich überhaupt, neue deutsche Musicals zu erarbeiten? Bis auf “Linie 1” hat es kaum ein deutsches Stück geschafft, nach der Uraufführung in nennenswertem Umfang neu inszeniert worden zu sein.
Gerade aufrund der Tatsache, dass es bisher kaum ein deutsches Stück geschafft hat, öfter nachgespielt zu werden, scheint dieser Sektor komplett fehlgeleitet zu sein. Wir arbeiten nun an Stoffen und Stücken mit einem eigenen Anspruch, sodass daraus Produktionen wachsen, die leicht und gut überall nachgespielt werden können. Auf der anderen Seite findet zur Zeit ein komplettes Umdenken im ganzen Sektor Musical statt, was schon seit Jahren abzusehen war. Sowohl private Produzenten als auch Stadttheater setzen immer mehr auf neue eigene Produktionen, die in Deutschland entwickelt wurden. Diese Arbeit steckt noch extrem in den Kinderschuhen, und da kommt die “Schreib:Maschine” zum Einsatz als Vermittlungsbörse für beide Seiten, sowohl Künstler als auch Produzenten. Das Schreiben neuer Musicals ist schwieriger, als das bisher angenommen wurde, und da müssen Autoren, Komponisten und auch Produzenten besser und effektiver miteinander arbeiten und sich entwickeln. Nur durch eine rege Kommunikation und auch die Bereitschaft dazu kann der Markt belebt werden.

Welche Hoffnungen stecken hinter dem Projekt? Ist der deutsche Musicalmarkt nicht von Großproduktionen gesättigt?
Der Markt in Deutschland hat sich längst an glattgebügelten Großproduktion sattgesehen. Durch die Wieder- und Wieder-Produktionen in verschiedenen Städten begibt sich der Markt vollends in einen Leerlauf. Die Großproduktionen der Stage Entertainment setzen leider meist auf Spektakel und großes Tamtam, anstatt ordentliches Handwerk auf die Bühne zu bringen. Das Geheimnis liegt in der Vielfalt, die gepflegt sein will. Im Kino sind wir die Vielfalt längst gewöhnt und fordern sie geradezu ein. Das Musical-Publikum ist müde von den missverstandenen 80er-Jahre-Hitproduktionen aus dem Bereich der Drama-Musicals. Und nun denkt der zu junge Musicalmarkt in Deutschland, dass Musicals immer so sein müssen. Das Projekt “Schreib:Maschine” versucht hier die Brücken zu schlagen, sodass auch die Produzenten nicht mehr nur für sich im stillen Kämmerlein brüten und darauf warten, dass irgendwer irgendwann mit dem idealen Stück den Riesenerfolg herbeizaubert. Vielmehr spiegelt die Veranstaltung die Realität des Schreibens wider und echtes Schreiberhandwerk wird schnell sichtbar. Jeder ist herzlich dazu eingeladen, sich zu informieren und Kontakte zu knüpfen. Die Produzenten und auch die Kreativen sollen angehalten sein, aufeinander zuzugehen, ohne die allseits bekannte Ablehnungshaltung vor Neuem. Der Markt kann kein “Cats”, “Phantom” und “Mamma Mia!” mehr ertragen. Es geht darum, die Türen zu öffnen für neue Ideen, die klein anfangen und durch Zusammenarbeit der verschiedenen Posten und Seiten zu eventuellen großen Produktionen wachsen können. Genauso wird das in New York gemacht, man hat hierzulande nur noch nicht ganz verstanden, wie es zu den Erfolgsproduktionen kam, die letztendlich dann nach Deutschland importiert wurden. Ich bin sehr zuversichtlich, dass sich das Umdenken weiter in eine gesunde Richtung entwickeln wird.

Wie muss man sich die Arbeit der “Schreib:Maschine” vorstellen? Werden bei den “offenen Bühnen” die Ideen am Zuschauer getestet und daraus Ideen und Konzepte entwickelt? Gibt es bereits Erfolge bei der Entstehung neuer Shows?
Erst wenn das Geschriebene praktisch in die Tat umgesetzt und auf der Bühne erlebbar gemacht wird, dann ist das Stück lebendig. Ansonsten schreibt man für die Schublade und man weiß nie, ob das alles auch so funktioniert, wie im eigenen Kopf, wo bekanntlich immer die eigenen Ideen am besten funktionieren. Aber die Realität ist anders, und da sind wir froh, dass wir die einzigartige Möglichkeit nutzen können, unsere Ideen in Portionen zumindest vor einem Publikum zu testen, welches aus teils Fachleuten und Kollegen besteht und auch aus Theater-Interessierten. Es ist ein schwieriges, aber auch verständnisvolles Publikum. Man kann wunderbar die Reaktionen der Zuschauer testen und auch nach der Veranstaltung mit verschiedensten Seiten anregende Gespräche führen.
Solche Gespräche haben mittlerweile dazu geführt, dass mehrere potenzielle Produzenten auf uns zukamen und Interesse angemeldet haben. Kevin Schröder und ich haben nun die überarbeitete Fassung unseres gemeinsamen Stückes “Die Tagebücher von Adam und Eva” fertig und schicken das neue Skript in den kommenden Tagen raus. Wie es von hier aus weitergeht, hängt dann davon ab, wie der Markt auf neue Stücke reagiert. Hierbei bin ich jedoch zuversichtlich, da inzwischen auch im breiten Markt die Erleuchtung eintraf, dass “My Fair Lady” und “Evita” auch nicht das Allheilmittel sind.

Overlay