Au weia, ein Deutscher leitet künftig die Musicalsparte bei den Vereinigten Bühnen Wien. Noch dazu einer, dessen Biographie eng mit dem Musical-Konzern Stage Entertainment verbunden ist. Und einer, der vor allem für seine Mitarbeit an Neufassungen von Operetten, Revue, der Markteinführung von „Best of Musical“ und eher seichten Shows wie „Ich war noch niemals in New York“ bekannt ist – für letzteres stellt der Musicalblogger Martin Bruny seinen Lesern den neuen VBW-Intendanten schon mal als „Koautor des Unaussprechlichen“ vor. Gründe, sich an der Entscheidung zu reiben, gibt es viele – gerade für die nicht als harmoniesüchtig bekannte Wiener Presse. Aber man kann auch zu einem ganz anderen Urteil kommen: Die VBW-Musicalsparte bekommt einen ausgewiesenen Musicalfachmann als Chef.
Denn Struppeck steht eben nicht nur für „Best of Musical“, Compilation und Operette, sondern – im Regieteam mit Andreas Gergen – für einige der in der Musicalszene meist beachteten Inszenierungen der vergangenen Jahre: Dällebach Kari in Thun, Jekyll & Hyde in Magdeburg, The Sound of Music in Salzburg. Und als langjähriger Leiter der deutschen Stage-Entertainment-Kreativabteilung kennt er nicht nur die Tücken bei der Entwicklung neuer Produktionen, sondern auch die Branche, die wichtigen Köpfe, die Rechtesituation und den Markt. Keine schlechte Ausgangssituation, um in Wien etwas zu bewegen.
Struppeck kommt zugute, dass es den VBW vergleichsweise gut geht. Die aktuellen Shows Sister Act und Ich war noch niemals in New York mögen in der Musicalszene keine Magneten sein, beim Publikum funktionieren sie offenbar bestens. Es gibt also keine Krise, keinen aktuen Handlungsbedarf, zumal mit Elisabeth die nächste Show bereits fixiert ist. Struppeck kann (vergleichsweise) in Ruhe etwas aufbauen.
Spannend wird, wie sich die VBW künftig zur Stage Entertainment (SE) stellen. Bisher gab es Stücketransfers in beide Richtungen, beide aktuell in Wien gezeigten Shows sind Lizenzprodukte der SE. Nun war Struppeck zwar jahrelang an führender Stelle im SE-Konzern tätig, aber das ist schon vier Jahre her. Und das Ende war damals offenkundig nicht ohne Knatsch: Während der Endproben zu „Ich war noch niemals in New York“ entmachtete die niederländische Konzernzentrale die deutschen Kollegen faktisch, setzte etliche Änderungen an der Show durch und ersetzte Regisseur Struppeck. Struppeck und Gergen verließen den Konzern und machten sich selbständig. Seitdem, sagen Konzerninsider, liegt die Kompetenz für wichtige künstlerische Entscheidungen in der SE-Zentrale in den Niederlanden. Wenn sich Struppeck und seine früheren Kollegen und Chefs nun als Verhandlungspartner bezüglich Showtransfers gegenübertreten, könnte das interessant werden.
Struppecks Vorgängerin Kathrin Zechner war zum Ende ihrer Amtszeit vor allem mit Reparaturarbeiten beschäftigt, nachdem die VBW infolge einiger erfolgloser Produktionen in die Krise geraten waren. Zechner riss das Ruder erfolgreich mit drei populären Shows herum, die aber nicht zwingend zur Profilbildung beitragen. Struppeck muss sich nun darauf konzentrieren, für die VBW-Musicals – deren Subventionen immer wieder infrage gestellt werden – dauerhaft eine Existenzberechtigung zu schaffen. Als Künstler mag es ihn besonders reizen, neue Stücke mitzuentwickeln. Viel wichtiger ist aber, die große Linie zu entwerfen und die Vereinigten Bühnen Wien als Großveranstalter für Musical zu sichern.
Einfach wird das nicht. Aber Christian Struppeck ist jemand, dem man das zutrauen kann.