Gaines Hall: Ein wenig Klischee ist Bestandteil

[Drei Fragen an …] Ab dem 9. Juni zeigt das Volkstheater Frankfurt – seines Zeichens hessisches Mundarttheater – das Herman/Fierstein-Musical „La Cage aux Folles“ auf Hessisch. Aus dem Deutschen „übersetzt“ wurde das Stück vom Frankfurter Travestiekünstler Thomas Bäppler-Wolf, Choreografie und Regie kommen von Gaines Hall. Im Interview gibt der Künstler einen Einblick in die Vorbereitungen auf das Stück und den behutsamen Umgang mit Komik in einem komischen Musical.

Herr Hall, wenn es um das Musical „La Cage aux Folles“ geht, kann man durchweg von Superlativen sprechen – lange Laufzeiten am Broadway und im West End, Tony Awards, sowie Lieder mit Kultcharakter. In Frankfurt babbeln Zaza und Schorsch demnächst Hessisch. Ist die Show noch nicht unterhaltsam genug für das Frankfurter Publikum?
Die Idee, das Stück auf Hessisch zu spielen, kam uns eher nebenher. Das Volkstheater wollte das Stück zusammen mit Thomas Bäppler als Albin/Zaza machen. Thomas, alias Bäppi La Belle, ist der bekannteste Travestie-Star im Rhein-Main-Gebiet. Das Volkstheater, gegründet als Mundart-Theater von Schauspielerin Liesl Christ (auch bekannt aus der 60er-Jahre-Fernsehserie „Familie Hesselbach“), spielt dazu so gut wie alle Stücke auf Hessisch.
Thomas Bäpplers Humor als „Bäppi“ lebt unter anderem auch von seinem hessischen Wortwitz. Daraufhin war es nur eine schlüssige Folge, „La Cage“ auf Hessisch zu spielen. Nebenbei haben wir damit dem Stück auch einen ganz neuen, regionalen Charakter gegeben.
Thomas und ich haben das Skript komplett „auf Frankfurt“ umgewandelt. Statt „Nur Champagner von jetzt bis zum Finale“ gibt es natürlich Äppler (Apfelwein auf Hochdeutsch), das „Lied am Strand“ ist jetzt das „Lied am Main“, und die Cagelles haben nun ihre Herkunft verschiedenen hessischen Metropolen zu verdanken, nur um einige Beispiele zu nennen. Ich selbst habe über 10 Jahre in der hessischen Hauptstadt Wiesbaden gelebt und fühle mich, auch wenn ich Wahlberliner bin, meiner alten Heimat immer noch verbunden und habe das Hessische sehr lieben gelernt. Es hat Thomas und mir einen riesigen Spaß gemacht, den hessischen Aspekt zu kreieren bzw. zu ergänzen, und wir haben Gott sei Dank auch den Segen des Gallissas Verlags bekommen!
All das wird hoffentlich dem Frankfurter Publikum einen extra Kick geben und viel Spaß bereiten – dennoch, die Story bleibt dieselbe. Wie Sie sagten, das Stück ist von vornherein lustig und wirksam genug, und wir versuchen es gar nicht zu „verbessern“ oder zu ändern. Im Gegenteil, ich möchte zum Kern der Geschichte zurückkehren und diese durchaus universale und bewegende Geschichte mit Ehrlichkeit und Feingefühl erzählen – das Hessische ist dann am Ende nur ein kleines „Augenzwinkern“ dazu.

Sehen Sie bei der Inszenierung in einem regionalen Dialekt die Gefahr, dass das Musical „albern“ wirkt und seiner ursprünglichen, von den Machern gegebenen Komik nicht mehr gerecht wird?
Die Gefahr ist vorhanden, klar, aber das ist letztendlich dann meine Arbeit, das nicht passieren zu lassen. Ich greife zurück auf das, was ich gerade sagte: Ich möchte diese Geschichte auf jeden Fall rührend und würdevoll präsentieren, und ich bin der Meinung, dass dies möglich ist, egal in welchem Dialekt oder in welcher Sprache gespielt, gesungen und gesprochen wird. Das Original-Bühnenstück wurde auf Französisch geschrieben und gesprochen, das Musical erst auf Englisch und dann weiter in viele andere Sprachen übersetzt. Hat es dadurch etwas an Kraft und Wirkung verloren, hat die Komik deswegen nicht mehr funktioniert? Absolut nicht. Warum sollte das dann auf Hessisch anders sein?
Darüber hinaus möchte ich an diese Stelle auch sagen: Meines Erachtens wird das Stück oft viel zu sehr als Klamauk präsentiert – auch wenn es auf Hochdeutsch gespielt wird. Ich kann persönlich diese überdrehten, übertriebenen Stereotypen von den kreischenden Tunten nicht mehr sehen. Ein wenig Klischee ist natürlich integraler Bestandteil des Stückes, und das darf man nicht verleugnen. Aber nur weil man als Travestiekünstler arbeitet, heißt es bei weitem nicht, dass man auch Zuhause in Stöckelschuhen und Perücke schrill und kreischend durch die Wohnung läuft oder im Alltag immerzu feminin agiert. Deswegen werde ich sehr stark versuchen, den Unterschied zwischen Albin (in unserer Fassung Albert genannt) als Privatperson und Zaza als Travestie-Star auszuprägen.

Sie standen selbst mehrfach im „Käfig voller Narren“ auf der Bühne. Inwiefern beeinflusst Ihre aktive Arbeit als Darsteller in diesem Musical Ihre Rolle als Regisseur?
Rein technisch gesehen ist es eine große Hilfe, das Stück so gut zu kennen. Ich weiß zum Beispiel genau, wann die heiklen Umbauten stattfinden müssen, wo die schnellen Umzüge für die Darsteller sind, wo wir an Kostümkosten mehr oder weniger „auftragen“ dürfen oder nicht.
Künstlerisch gesehen war ich selber überrascht, wie viele verschiedene Ideen mir kamen, wie ich selber die verschiedenen Charaktere und Situationen sehe, wie ich sie empfinde.
Beispielsweise habe ich, als ich mit meinen Choreografie-Vorbereitungen anfing, glücklicherweise entdeckt, dass etliche Sachen scheinbar von selbst kamen und es keinerlei Anstrengung bedeutete, mich von anderen Versionen, die noch in meinem Unterbewusstsein stecken, fernzuhalten. Ich habe mich auch als Darsteller immer wieder mit dem Stück sehr intensiv auseinandergesetzt – bewusst und unbewusst immer wieder Gedanken zu den Rollen und den Charakteren gemacht und Ideen gehabt, wie ich die eine oder andere Sache selbst machen würde, falls ich das Stück irgendwann selber auf die Beine stellen dürfte. Jetzt freue ich mich, dass ich die Möglichkeit bekommen habe und dass ich darauf zurückgreifen darf.
Ich betrachte es als große Ehre und große Aufgabe, dem Stück gerecht zu werden und hoffe nur, dass ich all meine Ideen und Vorstellungen gut vermitteln und umsetzen kann. Es wäre meine größte Angst als Künstler überhaupt, etwas im Kopf zu haben, ganz bestimmte Bilder, ein genaues Empfinden, und das dann irgendwie nicht realisieren zu können.

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