[Die Beste ihrer Art] Nach ihrer Erstauflage im vergangenen Sommer setzen wir in den kommenden Wochen unsere CD-Reihe „Die Beste ihrer Art“ fort. Das Prinzip: muz-Autoren beschreiben jeweils für ein Musical, welche CD-Aufnahme die ihrer Meinung nach relevanteste und beste ist. Zum Auftakt empfiehlt Jens Alsbach die 1995er-Castaufnahme von „Blood Brothers“. Sie können mitdiskutieren.
Von deutschen Theatern bisher größtenteils verschmäht, war „Blood Brothers“ 24 Jahre lang als Klassiker im Londoner West End zu sehen (Ende Oktober fällt der letzte Vorhang). Immer wieder mit prominenten Besetzungen gespickt – jüngst bereicherten Mel C. von den Spice Girls und Marti Pellow, Sänger der schottischen Popband Wet Wet Wet, die Cast – hat es das Stück über zwei Jahrzehnte lang geschafft, sich erfolgreich im West End zu behaupten. Vom Musical über die Zwillinge, die nach ihrer Geburt getrennt werden, ohne voneinander zu wissen, gemeinsam aufwachsen und am Ende aufgrund einer Verkettung tragischer Umstände beide am gleichen Tag sterben, liegen dank der langen Laufzeit sieben Einspielungen vor, davon drei aus London, eine australische, eine internationale, sowie eine spanische und eine hebräische Fassung.
Die Londoner Einspielungen sind sich generell sehr ähnlich, dennoch fällt meine Wahl für die „Beste ihrer Art“ auf die Aufnahme aus dem Jahr 1995. Den Ausschlag geben nicht die Orchestrierung oder die Auswahl der Musiknummern, denn die sind auf allen Aufnahmen nahezu identisch. Besonders gefällt mir an dieser Aufnahme die warme Stimme von Stephanie Lawrence, der Hauptdarstellerin der Mrs. Johnstone, die mit ihrer Stimme wunderbar verdeutlicht, wie schwer es ihr fällt, ihr eigenes Kind wegzugeben, und der man den Horror anmerkt, wenn ihr Sohn am Ende zerbricht und ihre Zwillinge sterben. Das Gefühl, welches ihre Stimme vermittelt, bleibt meines Erachtens unerreicht und gibt auch demjenigen, der das Stück nicht kennt, einen guten Einblick in diese rührende Geschichte. Besonders intensiv: Der finale Song „Tell Me It’s Not True“, den sie kurz nach dem Tod ihrer Kinder singt und „Easy Terms“, das Lied, bei dem sie sich entschließen muss, einen ihrer neugeborenen Zwillinge wegzugeben, da sie nicht beide ernähren kann.
Ihr zur Seite stehen Paul Crosby und Mark Hutchinson als Mickey und Eddie, die die schwierige Aufgabe haben, die Zwillinge vom Kleinkind- bis zum Erwachsenenalter zu spielen, was sie vortrefflich schaffen. Warwick Evans singt bei dieser Aufnahme die Rolle des Erzählers und hat in seiner Stimme genau die richtige Portion Ironie und Schärfe, die es braucht, um die Szenerie zu kommentieren. Bei allen Aufnahmen macht sich bemerkbar, dass die Rolle des Erzählers eher mit einem starken Schauspieler und weniger mit einem starken Sänger besetzt ist, was beim heimischen CD-Genuss negativ auffallen mag, auf der Bühne aber Sinn macht.
Die Musik ist sehr synthesizerlastig, damals wie heute, und gerade dieser Pop-Sound und der starke Hall der Aufnahme machen den Charme dieser Einspielung aus. Wer etwas mehr Bombast mag, dem sei die internationale Aufnahme aus dem gleichen Jahr ans Herz gelegt, denn dort spielt statt dem Mini-Orchester der Originalfassung das Royal Philharmonic Orchestra auf. Dies verleiht dem Stück einen ganz neuen Charakter, für mich geht das Flair der Show dadurch jedoch verloren, zumal Petula Clark als Mrs. Johnstone eine zu weinerliche Stimme hat. Interessant bei dieser Aufnahme: Autor Willy Russell gibt selbst den Erzähler, ohne in der Rolle jemals auf der Bühne gestanden zu haben.
Für angehende Fans, die das Stück aus seinen Anfängen kennen lernen wollen, sei auch die 1983er-Aufnahme mit Barbara Dickson in der Hauptrolle erwähnt, eine Aufnahme mit einer starken Mrs Johnstone, aber einer ansonsten schwächeren Cast als bei den anderen Aufnahmen.
Generell bieten alle Einspielungen kleine Dialogpassagen, um sich ein wenig mit der Handlung vertraut zu machen, der starke Akzent der Darsteller – das Stück spielt im Liverpool der 60er Jahre – mag anfangs ungewohnt erscheinen, gehört aber zum Charakter des Stückes.
Wer sich auf andere Sprachen einlassen möchte, ist auch mit der spanischen und hebräischen Aufnahme gut bedient, wobei die spanische Darstellerin der Mrs. Johnstone sehr pathetisch singt und einige Songs dadurch eher wie Pop-Nummern klingen. (jal)
Welche „Blood Brothers“-CD bevorzugen Sie? Forum mitdiskutieren. Nächste Woche lesen Sie: muz-Redakteur Christian Heyden über das Disney-Musical „Die Schöne und das Biest“.