Andreas Gergen: In der Andeutung liegt die Kraft

[Drei Fragen an …] Zum 25-jährigen Bestehen des Orchesters der Vereinigten Bühnen Wien wird ab dem 29. November an zehn Terminen eine konzertante Aufführung von „Das Phantom der Oper“ im Wiener Ronacher gespielt. Gezeigt wird die überarbeitete Konzertfassung, die Andrew Lloyd Webber für das im letzten Jahr stattgefunde Jubiläum in der Royal Albert Hall geschrieben hat – Christian Alexander Müller übernimmt die Hauptrolle. Regisseur Andreas Gergen berichtet im Interview von der Arbeit an einer solchen Konzertaufführung und seiner persönlichen Affinität zum „Phantom“.

Herr Gergen, Sie sagten in einem Interview, dass das „Phantom der Oper“ eines Ihrer ersten Musicalerlebnisse war, und dass Sie von da an wussten, dass das Genre Musical Ihre Berufung sein sollte. Was ist das Besondere am „Phantom“ und inwiefern hat es Sie dazu bewogen, sich aufs Musical zu spezialisieren?
Bereits vor meiner Ausbildung an der Universität der Künste in Berlin durfte ich am Saarländischen Staatstheater Saarbrücken in klassischen Werken mitwirken. So sang ich zum Beispiel bei den Opern „Carmen“, „Turandot“ und „Parsifal“ im Extra-Chor und tanzte in „Die lustige Witwe“ unter der Regie von Josef Ernst Köpplinger im Ballett-Ensemble. Als ich mit knapp zwanzig Jahren dann „Das Phantom der Oper“ sah, verbanden sich für mich darin die Sparten Gesang, Tanz und Schauspiel auf perfekte Art und Weise. Hinzu kam eine spannende Geschichte, die mich über die Aufführung hinaus beschäftigte. Auch die intelligente Inszenierung von Harold Prince beeindruckte mich, die immer für Tempo sorgte, Szenen auf filmische Art und Weise überblenden ließ und die Zuschauer emotional in den Bann der Geschichte zog. Deshalb war dieses Theaterereignis für mich solch ein Schlüsselerlebnis. Viele Jahre später las ich ein Zitat von Peter Zadek, der das Genre Musical als „vollkommenste Theaterform“ bezeichnete. Ich bin ganz seiner Meinung!

Konzertante Aufführungen bieten meist viel Bombast und erstklassige Darsteller, sind aber in der Erzählweise der Handlung zweifelsohne reduziert. Warum würden Sie auch einem „Phantom-Neuling“ raten, sich dieses Konzert anzuschauen?
Ich denke, gerade für einen „Phantom-Neuling“ wird das Konzert eine sehr gute Gelegenheit sein, das Werk kennenzulernen. Man wird „Das Phantom der Oper“ nicht so schnell wieder so opulent besetzt zu hören bekommen. In Broadway- und West-End-Besetzungen gibt es bei Musicals eine ungefähre Standardgröße mit Orchestern von etwa 20 Mitgliedern und Ensembles von ca. 30 Darstellerinnen und Darstellern. Bei unserem Konzert werden 46 Musiker ihre Instrumente unter dem Dirigat von Musikdirektor Koen Schoots erklingen lassen und das übliche Ensemble wird von weiteren 30 Sängerinnen und Sängern verstärkt. Es handelt sich also um eine musikalische Besetzung von über 100 Beteiligten auf der Bühne. Das gab es im deutschsprachigen Raum beim „Phantom der Oper“ noch nie und wird es wahrscheinlich so auch nicht mehr geben. Ich freue mich sehr auf diesen „musicalischen“ Genuss.

Worin liegt der Unterschied zwischen der Inszenierung eines Musicalkonzertes und einem Musical? Gerade für den Regisseur muss die Arbeit ja komplett anders sein…
Die Herausforderung bei einer halbszenischen Darstellung besteht für mich als Regisseur darin, die Zuschauer nach dem Konzert denken zu lassen, sie hätten eine komplette Aufführung gesehen. Das Publikum soll trotz der Tatsache, dass das Konzept keine Ausstattung vorsieht, emotional in die Geschichte eintauchen und miterleben. Dabei muss ich mich in erster Linie der Phantasie der Zuschauer bedienen. Auch in meinen anderen Inszenierungen ist dies die stärkste Darstellungsform, anstatt alles 1:1 auszuformulieren und naturalistisch zu zeigen: In der Andeutung liegt die Kraft des Theaters! Diese Erfahrung habe ich bereits in meinen Workshops bezüglich der Entwicklung neuer Stücke und Musicals gesammelt. Auf dem Weg zu einem neuen Musical gibt es nämlich die so genannten „Workshops“, bei denen – ebenfalls halbszenisch – die Werke komplett einstudiert und ohne Kulissen und Kostüme erzählt werden. Dabei hat sich für mich die Erfahrung bestätigt, dass es nicht auf die „große Ausstattung“ ankommt, sondern auf die darstellerische Beziehung der Figuren untereinander und die emotionale Ehrlichkeit. Dies ist bei unserem Konzert ähnlich. Man könnte das halbszenische Konzert mit einer Art live vorgetragen Hörspiel vom „Phantom der Oper“ vergleichen – allerdings, wie bereits erwähnt, mit über 100 Beteiligten. Ich werde mich dabei in erster Linie akustischer Mittel bedienen, aber natürlich auch zusätzlicher optischer Effekte. Wie dies genau aussehen wird, sehen – und hören – wir Ende November! Es wird auf jeden Fall eine Menge Überraschungen geben…

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