Einmal pro Monat werde ich mich in meinen Fernsehsessel setzen und mir für euch einen Musicalfilm ansehen. Da werden bekannte Streifen dabei sein, aber auch Unbekanntes oder Vergessenes.
Rom, 1965: Der renommierte italienische Regisseur Guido Contini hat einige Flops in Folge produziert. Jetzt sollen die Dreharbeiten zu seinem neuesten Film starten, aber er hat ein Problem: Er hat noch nicht mal ein Drehbuch geschrieben. Seine Midlife-Crisis macht ihm beruflich und privat zu schaffen. Durch die Auseinandersetzung mit seiner Beziehung zu Frauen aus seiner Vergangenheit und Gegenwart versucht er, wieder Fuß zu fassen.
Ich habe „Nine“ damals im Kino gesehen, kannte daraus vorher nur den Song „Unusual Way“, den ich sehr mochte, und wusste grob, worum es ging. Von ein paar Highlights abgesehen, ist mir der Abend als Kinobesuch der zähen Sorte in Erinnerung geblieben. Trotzdem war „Nine“ immer ein Stück, das ich gern mal auf einer Bühne sehen wollte. Nachdem ich für die Musicalzentrale bei der Premiere von „Neun“ in Baden bei Wien war und von der Aufführung und dem Stück an sich sehr begeistert war, habe ich mich gefragt, was wohl mit der Filmversion los war, dass sie mich so kaltgelassen hat. Also habe ich mich nochmal an den Streifen rangewagt.
Erst mal die positive Seite: die Optik. Der Film ist wunderschön gefilmt und hervorragend geschnitten. Kostüme und Ausstattung sind auch vom Feinsten.
Ein großer Schwachpunkt ist das Drehbuch. „Nine“ basiert auf dem Film „8 ½“ von Federico Fellini. Der Klassiker diente dabei aber nur als grobes Gerüst. Die Handlung wurde Broadway-gängiger begradigt, das surreale Verschwimmen von Traum, Erinnerung und Realität wurde aber beibehalten – wenn auch in leichter konsumierbarer Form. Für die Verfilmung hat man nun Figuren aus dem Bühnenstück komplett verändert. Liliane La Fleur wird von der fordernden Filmproduzentin zur Kostümbildnerin und mütterlichen Freundin, dafür gibt es wie bei Fellini einen männlichen Produzenten und aus der Filmkritikerin Stephanie Necrophorus wird eine Vogue-Journalistin. Guidos angehimmelter Star Claudia bekommt einen neuen Nachnamen und heißt statt „Nardi“ hier „Jessen“.
Es wirkt ein bisschen so, als hätten die Film-Autoren Michael Tolkin und Anthony Minghella lieber ein Fellini-Remake gemacht. Diverse Elemente, die aus dem Original nicht ins Musical übernommen wurden, tauchen hier im Film wieder auf. Dafür wurden ganze 18 Songs gestrichen und drei neue kamen dazu.
Anders als auf der Bühne sind im Film Realität und Guidos Traumwelt klarer getrennt. Die Handlung läuft – mit einigen Rückblenden – eigentlich linear ab. Sie wird von den Songs unterbrochen, die in einem Filmstudio, losgelöst von der Geschichte auf einer Bühne aufgeführt werden. Und jetzt werden einige ganz sicher „Chicago“ murmeln, denn diese Show-Acts ähneln in der Anlage frappierend denen in „Chicago“. Kein Wunder, denn beide Filme wurden von Rob Marshall inszeniert und choreografiert. Auch wenn ich in diesen Sequenzen Déjà-vus hatte, sind sie super umgesetzt. „Be Italian“ mit seiner Sandschlacht und die atemlose Catwalk-Nummer „Cinema Italiano“ sind für mich Musicalfilm-Szenen für die Ewigkeit.
„Cinema Italiano“ ist einer der neuen Songs und der einzige Grund, warum Stephanie Necrophorus im Film überhaupt auftaucht. Sie ist ein weiterer Flirt von Guido, eine nicht sonderlich gut entwickelte Rolle; dafür hat sie diese furiose Nummer, in der Kate Hudson zeigen kann, dass sie ziemlich gut singt und tanzt. Stimmlich stellt allerdings Stacey „Fergie“ Ferguson alle in den Schatten in der kleinen Rolle der Hure Saraghina, die dem neunjährigen Guido und seinen Freunden am Strand die Kunst der Verführung erklärt. Ihre Energie sprengt nahezu die Leinwand bzw. meinen Fernseher.
Die anderen Mitglieder des All-Star-Ensembles können ihr stimmlich nicht das Wasser reichen. Sie schlagen sich zwar wacker, retten sich aber immer wieder in Sprechgesang. Am wenigsten überzeugen dabei Judi Dench als Liliane La Fleur und Sophia Loren als Guidos Mutter. Dench ist wenigstens darstellerisch präsent, aber Loren wandelt wie eine steife Wachsfigur durch ihre Szenen. Marion Cotillard ist Luisa, die hier ganz auf „Guidos unter Vernachlässigung leidende Ehefrau“ reduziert wird. Der resignative, trockene Witz der Vorlage wurde ihr völlig genommen.
Die Rolle von Guidos anhänglicher Geliebten Carla ist im Vergleich zum Musical etwas ausgebaut (wie bei Fellini). Sie bekommt mehr Hintergrund und wird greifbarer. Penélope Cruz bringt in ihrer Verkörperung ordentlich Pepp in die Szenen und wurde verdientermaßen für den Oscar als beste Nebendarstellerin nominiert.
Guidos Muse Claudia ist mit Nicole Kidman besetzt, die die passende Star-Eleganz mitbringt. Ich kann mich nicht entscheiden, ob es mir gefällt, dass ihr wunderbarer Song „Unsual Way“ immer wieder durch Dialoge unterbrochen wird. Filmisch macht es Sinn, weil der Text zwischen Claudia und Guido in dieser Szene wichtig ist und die Szene dadurch schneller vorankommt, andererseits fühlt es sich wie ein Sakrileg an, dass ein so schönes Lied ständig unterbrochen wird. Was mich ein bisschen mit der Entscheidung, es so zu machen, versöhnt: Diese Szene ist die einzige, in der ich gespürt habe, dass zwischen den Figuren etwas passiert. Zwischen Kidmans Claudia und Daniel Day-Lewis‘ Guido stimmt die Chemie.
Und das ist für mich auch ein großes Problem des Films: Daniel Day-Lewis spielt fast den ganzen Film lang nur auf sich konzentriert. Er scheint völlig darin aufzugehen, ein grübelnder Mann in der Midlife-Crisis zu sein. Da ist es völlig egal, ob sich seine Partnerinnen mit Elan in ihre Rolle werfen (Cruz) oder einfach nur im Bild sind (Loren). Aber so kommt Guido mir als Zuschauer auch nicht näher und lässt mich emotional außen vor. Deshalb war mir die Figur Guido Contini in dieser Darstellung völlig Wurst. Womöglich hätte es mich mehr mitgenommen, wenn im Drehbuch nicht nahezu alle Interaktionen des erwachsenen mit dem Kind Guido gestrichen worden wären, wenn mehr Traum-Realität-Vermischung stattgefunden hätte. Die Begegnung mit seinem neunjährigen Ich bringt ihn im Stück dazu, sich zu erkennen und zu ändern. Im Film wird die Veränderung ausgelöst, weil Luisa ihn verlässt; ein Ende, das so auch nicht bei Fellini vorkommt.
Maury Yeston wird mit der Aussage zitiert: „Rob Marshall hat etwas gemacht, das weder ‚Nine‘ noch ‚8 1/2‘ ist. Es ist eine Hommage an beide.“ Dem ersten Satz stimme ich voll und ganz zu. Die „Nine“-Verfilmung ist ein unentschlossener Mix, der trotz gelungener Elemente nicht funktioniert.
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