Deutschsprachige Aufnahme zur tschechischen Eis-Show von Boris Urbánek und Jaromír Nohavica. Mit Nicole Seeger und Sascha Krebs in den Titelrollen.
Grundregel eins des CD-Rezensierens: Im Mittelpunkt soll immer die CD stehen, niemals der Autor. Doch bei dieser Aufnahme fällt das schwer – denn mit jedem Hören ändert sich die Wirkung dieser CD. Also soll hier doch die Geschichte des Autors erzählt werden. Die ist natürlich genau so subjektiv wie jede andere Rezension auch.Erster Eindruck beim Lesen des Booklets: Da stehen Leute gemeinsam im Studio, die sich kennen und schätzen. Nicole Seeger, Nicole Sieger, Brigitte Oelke, Darius Merstein-McLeod, Eberhard Storz, Karim Khawatmi – mit mehr als der Hälfte der Solisten hat der musikalische Leiter Koen Schoots auch schon bei „Jekyll&Hyde“ in Bremen zusammen gearbeitet. Verstärkt wird die Reihe durch Carsten Axel Lepper, Zoltán Tombor, Kerstin Frank und Jonathan Guss – für die Playbacks zu einer Eis-Show eine wirklich namhafte Cast.Also das erste Hören – und der erste Schreck. An den Orchestereinspielungen der Prager Symphoniker gibt es nichts zu meckern. Auch nicht an der Cast. Im Gegenteil: Was die Solisten hier abliefern, ist größtenteils erste Sahne. Starke Emotionen und Interpretationen, gesanglich hohes Niveau – so gute Aufnahmen hört man selten. Aber: Die meisten Songs klingen beim ersten Hören wie eine unmelodische Variante von Disneys Beauty&Beast. Und die Texte (deutsche Übersetzung: Melitta Edith alias Susanne Dengler) sind eine echte Zumutung. Im günstigsten Fall gestelzt (Julia: „Oh sag mit doch mein Stern / Wer wird im Tanz mich ehr’n / Mich begehr’n“), meist aber einfach nur pseudo-poetisch (Mercutio: „Traum als Boot gebrochen sind die Ruder / Traum als ob als wenn und dann als oder“, Julia: „Die Musik / Symbolik / Für die Wärme / Süßer Harfenmusik“). Erstes Fazit: Selten wurde ein solcher Mist derart hochwertig eingespielt.Aber für eine Rezension reicht es eben nicht, die CD einmal zu hören. Also findet die Scheibe, nach drei Tagen des Herausschiebens, wieder den Weg in den Player. Und bringt die erste Überraschung: Wenn man sich auf die ungewöhnlichen Melodieverläufe eingestellt hat, haben einige Songs doch etwas. Und ausgerechnet die Opening-Ensemble-Nummer Vivat Verona, beim ersten Mal noch verflucht (weil musikalisch aufdringlich und textlich schwach) wird zum Zwei-Tage-Ohrwurm. Und auch andere Songs sind musikalisch stark, wenn man sie erstmal im Ohr hat, etwa Königin Mab (Darius Merstein kämpft gegen Texte wie „Nacht für Nacht, aus rußig kleinen Gläsern / Finsternis macht blind“), Tybalt, das Tier (Zoltán Tombor lässt den Hyde raus), Gottes Wille (wohl niemand singt derart lange Tiefton-Melodien ohne Atempause wie Eberhard Storz), Es ist so wenig Liebe in uns (Nicole Sieger und Brigitte Oelke in Trauer-Duett der Mütter) und sogar das Quartett Wer ist wer (das fatal an „Martin Guerre“ erinnert). Ebenfalls gut gemacht sind die sakralen Nummern, ein Knabenchor-Ave Maria und ein Requiem – Übernahmen von der tschechischen Aufnahme. Karim Khawatmis Genug davon lässt erahnen, welche Bereicherung er für die CD gewesen wäre, hätte man ihm einen anständigen Song gegeben. Auch Sascha Krebs überzeugt – immerhin gelingt es ihm, in die doch sehr süßlichen Romeo-Passagen Emotion zu bringen. An Nicole Seeger dürften sich dagegen die Geister scheiden. Sie interpretiert die Julia mit kindlicher, leicht rauschiger Stimme. Das mag rollengerecht sein, ist aber nicht immer schön.Mittlerweile ist die CD einige Male gelaufen. Die Texte werden nicht besser, aber musikalisch ist die Qualität offensichtlich hoch. Also lassen wir die Eindrücke eine Woche lang sacken, bevor es an das Schreiben der Rezension geht.
Und? Ernüchterung. Die CD dafür noch einmal zu hören, kostet Überwindung und weitere drei Tage des Herausschiebens. Nein, trotz allen Lobes, trotz der Stärken – es macht keinen wirklichen Spaß, die CD zu hören. Dafür ist es einfach zu anstrengend.