Chris Murrays erste Solo-CD präsentiert einen Streifzug durch diverse „Musical-Hits“, mit Schwerpunkt auf Frank Wildhorn und Les Misérables.
Solo-Alben mit Musical-Titeln leiden häufig darunter, dass die aus dem Kontext gerissenen Songs ohne wirkliche Interpretation dargeboten werden, und immer wieder verwendete Stücke wie „Bring ihn heim“ zum Einheitsbrei verschmelzen.
Dass es auch anders geht, beweist Chris Murray bei seinem Debüt-Album. Der Künstler interpretiert jeden einzelnen „Musical-Hit“ genauso intensiv, als würde er die jeweilige Rolle gerade spielen – und das, obwohl er nur die Hälfte der 18 Songs auch tatsächlich im Rahmen einer Aufführung auf der Bühne gesungen hat. Der Name der CD ist Programm: Chris Murray präsentiert eine bunt gemischte Auswahl von Stücken, die allesamt das Prädikat „Hit“ verdienen. Dennoch bewegt sich das Album bei der Titelauswahl zum Teil abseits vom Mainstream. So sind neben typischen Solo-CD-Nummern wie „Gethsemane“ oder „Stern“ eben auch Songs wie „Die Welt ist völlig irr“ (aus Jekyll & Hyde) oder „Die Mädchen von früher“ (aus The Scarlet Pimpernel) zu finden.
Alles in allem ist die CD etwas Wildhorn- und Les Misérables-lastig, was ihr aber nicht notwendigerweise zum Nachteil gereicht. Die Songs, die Chris Murray ausgewählt hat, erstrecken sich über eine erstaunliche Bandbreite und lassen ihn alle Register seines darstellerischen Könnens ziehen: Da sind der seine Existenz verachtende Vampir in „Die unstillbare Gier“, die fanatischen Rechtsvertreter Javert und Chauvalin („Stern“ bzw. „Falke auf der Jagd“), der einsame Glöckner in „Draußen“ und der von Selbstzweifeln geplagte Jesus in „Gethsemane“. Letzteres ist gleich zweimal auf der CD vertreten – ganz zu Beginn auf Englisch und am Ende noch einmal in der deutschen Version, was dem Album einen schönen „Rahmen“ gibt und zugleich einen interessanten Vergleich aufwirft. Nicht nur die Sprache unterscheidet die beiden Aufnahmen, auch die Interpretationen sind verschieden.
Ungewöhnlich, und nicht zuletzt deswegen auch sehr reizvoll, ist die Interpretation von „Der letzte Tanz“, bei der Chris Murray dem Tod eine deutlich gefährlichere Note gibt, als man es von den aktuellen Besetzungen gewohnt ist. Auch „Herodes‘ Song“ aus Jesus Christ Superstar ist ein Titel, den man eher nicht auf der CD erwartete hätte, doch auch der satirische Witz des Songs liegt dem Künstler offensichtlich.Einen besonderen Stellenwert nimmt die Ballade „Nosferatu“ aus Frank Wildhorns Dracula ein – eine Weltpremiere, denn das Solo-Album enthält damit die erste offizielle Veröffentlichung eines Titels aus Dracula. Der Song lebt vor allem vom Gegensatz zwischen melancholischer Orchestrierung und kämpferischem Text, und wird von Chris Murray mit viel Gefühl dargeboten. Für die meisten Arrangements des Albums zeichnet Koen Schoots verantwortlich. Er hat nicht nur bei „Nosferatu“ ganze Arbeit geleistet – auch die Orchester-Begleitung bei „Gethsemane“ ist grandios und weitab von der üblichen Instrumentierung. Etwas problematisch ist einzig „Die Welt ist völlig irr“, bei dem das Orchester besonders zu Beginn des Songs die Gesangspassagen zu verschlucken droht.
Das bleibt jedoch der einzige kleine Schwachpunkt des Albums. „Musical-Hits“ ist nicht nur professionell produziert, sondern zeigt auch einen Chris Murray in Höchstform, dem das Einspielen der Songs hörbar Spaß gemacht hat. Und genau das gibt dem Album mehr Tiefe als so manches andere Solo-Werk und macht beim Hören Lust auf mehr.