Martin Sommerlatte (Kapitän E. J. Smith), Ensemble © Lutz Edelhoff
Martin Sommerlatte (Kapitän E. J. Smith), Ensemble © Lutz Edelhoff

Titanic (2023 - 2024)
Theater Erfurt, Erfurt

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Ein vollbesetzter Luxusliner kollidiert bei seiner Jungfernfahrt im April 1912 mit einem Eisberg und sinkt. 1.517 Passagiere kommen dabei ums Leben. Darf man nach dem Untergang der Titanic diese Katastrophe frenetisch bejubeln? Man muss es sogar, zumindest gilt das uneingeschränkt für all diejenigen, die das Unglück in der fantastischen Umsetzung der Musical-Fassung von Maury Yeston in Erfurt miterleben dürfen. Ein Tipp unserer Redaktion!

Vor Beginn der Vorstellung fällt beim Gang zu den Sitzplätzen dem ein oder anderen Besucher sofort der leere Orchestergraben auf. Folgt jetzt etwa das Theater Erfurt dem unsäglichen Trend, bei der musikalischen Begleitung zu sparen und Musik aus der Konserve einzuspielen?

Ganz im Gegenteil! Wenn zu den ersten mahnenden Noten der Ouvertüre der Schriftzug TITANIC mit dem an eine Bordwand erinnernden Eisernen Vorhang langsam nach oben fährt, wird der Blick frei auf das Oberdeck des Luxusliners. Leicht erhöht sitzen hier vor dem Schiffs-Schonstein die 30 Musikerinnen und Musiker des Philharmonischen Orchesters Erfurt und wirken wie die personell aufgestockte, legendäre Bordkapelle, die die Passagiere bis in den Untergang hinein musikalisch begleitet. Unter dem beherzten Dirigat seines Ersten Kapellmeisters Clemens Fieguth bringt der Klangkörper Maury Yestons vielschichtige, mit sinfonischen Klängen, schmachtenden Balladen und Ragtime ausgestattete Partitur zum Funkeln. Die Tonabteilung des Hauses sorgt zudem dafür, dass die Verdrängung aus dem Orchestergraben nicht zu Lasten des Klangs und der Textverständlichkeit geht.

Ausstatterin Lena Scheerer und Regisseur Stephan Witzlinger nutzen die zunächst verwaiste Vertiefung zwischen Bühne und Zuschauerraum als zusätzliche, herauffahrende Spielfläche, die das Geschehen unmittelbar an das Publikum herantransportiert. Im vom Duo Scheerer und Witzlinger ausgeklügelten Lichtkonzept schuftet hier die Heizer-Crew um Frederick Barrett, feiern ausgelassen die 3. Klasse-Passagiere und sammeln sich die verzweifelten, ums Überleben kämpfenden Menschen im Rettungsboot. Sogar das Krähennest mit dem Ausguck Frederick Fleet schwebt vor der Eisberg-Kollision aus dem Orchestergraben heraus über die Köpfe der Zuschauer, die sich mitten im Geschehen wähnen. So ungemein dicht, packend und emotional kann Musical sein! 

Das ist allerdings nur eine der Besonderheiten, mit der der Regisseur aufwartet. Witzlinger gibt in seiner Inszenierung auch den Opfern der Katastrophe eine Bühne, indem er sie vom Meeresboden mit waberndem Bühnennebel umgeben, aus der Versenkung hochfahren lässt. Als Untote geschminkt und kostümiert, klagen sie im Gesang („Zu allen Zeiten“, „Gott steh mir bei“) nicht nur an, sondern tragen Versatzstücke wie die Reling auf dem leeren Deck umher und schaffen so immer neue Spielräume. Genial auch der Einfall, dass sie mit Gittern den vor den eindringenden Wassermassen Flüchtenden den Weg zu den Rettungsbooten versperren.

Doch nicht nur die Untoten sind in Erfurt aus dem Atlantik geborgen worden, sondern auch Versatzstücke aus Lena Scheerers Bühnenbild: Die den 1. Klasse-Salon andeutenden Spiegelwände sind blind und mit Schlamm verschmiert, den wie abgebeizt wirkenden Stühlen fehlen die Rückenpolster. Das ebenfalls von Scheerer entworfene Kostümbild atmet Zeitkolorit und zeigt zwischen überbordender Eleganz und schlichter Funktionalität Standesschranken auf.

Auch Choreografin Kerstin Ried trägt gehörig dazu bei, dass das Schiffsdrama in Erfurt eine ganz eigene Handschrift bekommt, indem sie sich die handelnden Personen je nach Klassenzugehörigkeit in unterschiedlichen, kantigen Contemporary und Modern Dance-Moves bewegen lässt. Hierdurch bekommt die Handlung eine ungemeine Körperlichkeit, der auch die 40 Mitglieder des Opernchores mit Präzision folgen. Zum Song „Beim Klang der Ragtime-Band“ fordert Ried die Erste Klasse-Passagiere tänzerisch mit sehr synchron ausgeführten Schrittfolgen, zackigen Sprüngen und anspruchsvollen Hebefiguren.

Die gesamte Schiffs-Crew und die Passagiere sind ausnahmslos auf den Punkt genau besetzt, sodass das Publikum beim nicht enden wollenden Schlussapplaus den Cast mit stehenden Ovationen feiert. Aus dem hauseigenen Musiktheater-Ensemble sind neben den bereits erwähnten, stimmgewaltigen Choristen auch Jörg Rathmann (u. a. 1. Steward Henry Etches), Candela Gotelli (u. a. Kate Mullins) und Máté Sólyom-Nagy (J. Bruce Ismay) an Bord. Er zeichnet den zwielichtigen Reeder als eiskalten Machtmenschen, der sich nur noch durch einen beherzten Sprung in letzter Sekunde einen freien Platz im Rettungsboot sichert.  Als unter anderem forsche 2. Klasse-Passagierin Alice Beane mit Ambitionen zu Höherem glänzt Katja Bildt sowohl in komischen als auch tragischen Momenten.

Das Theater Erfurt gönnt sich den Luxus, die restlichen Rollen auf dem Schiff mit gastverpflichteten Musical-Darsteller zu besetzen. Von den größeren Partien gefällt zum Beispiel Benjamin Eberling als Eisenwarenhändler Edgar Bean, der resigniert unter dem Pantoffel seiner Frau Alice steht und zu spät realisiert, welche wichtige Rolle sie in seinem Leben eingenommen hat. Ebenso tragisch endet die Liebe des millionenschweren Ehepaares Ida und Isidor Straus, das sich nicht voneinander trennen will und auf dem sinkenden Schiff gemeinsam die letzten Momente verbringt. Kerstin Ibald und Martin Berger gelingt dann auch mit ihrem gefühlvollen Abschieds-Duett „Wie vor aller Zeit“ einer der gesanglichen Höhepunkte.

Einfach klasse sind auch Daniel Eckert als kraftstrotzender Heizer Frederick Barrett und Lukas Witzel als introvertierter Funker Harold Bride, die mit ihren Songs solistisch und im Duett glänzen. Gleiches gilt für das Paar Johanna Spantzel als Kate McGowan und Alexander Findewirth als Jim Farrell. Weitere Passagiere und Besatzungsmitglieder sind die ebenfalls großartigen Dennis Weissert (Konstrukteuer Thomas Andrews), William Baugh (u. a. Ausguck Frederick Fleet), Martin Sommerlatte (Kapitän E. J. Smith), Björn Christian Kuhn (u. a. 1. Offizier William Murdoch), Stefan Preuth (u. a. 2. Offizier Charles Litholler), und Helena Lenn (u. a. Kate Murphy).

Das Theater Erfurt erleidet mit „Titanic“ alles andere als Schiffbruch. Im Gegenteil: dank des gewaltigen Einsatzes aller Beteiligten auf und hinter der Bühne gelingt ein ganz großer Wurf. Das begeisterte Publikum goutiert das nicht nur mit stehenden Ovationen, sondern stürmt auch die Theaterkasse, sodass die komplette Vorstellungsserie bis Anfang Februar 2024 ausverkauft ist. Wer schnell ist, der kann noch Tickets für die angesetzten Zusatztermine ergattern. Es lohnt sich auf jeden Fall!

Musical in zwei Akten
Musik und Liedtexte von Maury Yeston
Buch von Peter Stone
Deutsch von Wolfgang Adenberg

 
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KREATIVTEAM
Musikalische LeitungClemens Fieguth
InszenierungStephan Witzlinger
AusstattungLena Scheerer
ChoreografieKerstin Ried
ChoreinstudierungMarkus Baisch
DramaturgieLarissa Wieczorek
 
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CAST (AKTUELL)
Thomas AndrewsDennis Weissert
Harold Bride / George WidenerLukas Witzel
(Christopher Wernecke)
Frederick Barrett / Benjamin GuggenheimDaniel Eckert
Frederick Fleet / John B. Thayer / ItalienerWilliam Baugh
J. Bruce IsmayMáté Sólyom-Nagy
Isidor Strauss / TschecheMartin Berger
Kapitän E. J. SmithMartin Sommerlatte
Edgar Beane / IreBenjamin Eberling
Jim Farrell / Andrew Latimer / John HumeAlexander Findewirth
Herbert Pitman / Henry EtchesJörg Rathmann
Charles Lightoller / John Jacob Astor / ItalienerStefan Preuth
William Murdoch / Wallace HartleyBjörn Christian Kuhn
Alice Beane / ItalienerinKatja Bildt
Kate McGowan / Eleanor WidenerJohanna Spantzel
Kate Mullins / Madeleine AstorCandela Gotelli
Kate Murphy / Marian ThayerHelena Lenn
Ida Strauss / ItalienerinKerstin Ibald
Madame Aubart / EnsembleRita Correia
EnsembleAndrea Viggiano
Manuel Schuler
Maya Gomez
ChorOpernchor des Theater Erfurt
OrchesterPhilharmonisches Orchester Erfurt
  
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TERMINE
keine aktuellen Termine
 
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TERMINE (HISTORY)
Sa, 02.12.2023 19:00Großes Haus, ErfurtPremiere
So, 10.12.2023 15:00Großes Haus, Erfurt
Sa, 16.12.2023 19:00Großes Haus, Erfurt
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