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Nach dem Flop am Broadway wurde Frank Wildhorns „Dracula“ für die europäische Erstaufführung im schweizerischen St. Gallen kräftig überarbeitet – nicht immer zu seinem Vorteil.
Vampire haben in Musicals nach wie vor Hochsaison: „Tanz der Vampire“ hat seit seiner Uraufführung 1997 mehr als drei Millionen Besucher gelockt, die tschechische (und inhaltlich sehr freie) „Dracula“-Version von Karel Svoboda schaffte als eines der ersten osteuropäischen Musicals den Sprung in den deutschsprachigen Raum und Elton John arbeitet fleißig an der musikalischen Umsetzung des Anne Rice-Romans „The Vampire Lestat“. Frank Wildhorn („Jekyll&Hyde“) hat sich bei der Suche nach dem Stoff für sein Musical an den Klassiker schlechthin gehalten, Bram Stokers „Dracula“. Das Musical bleibt bis auf wenige eher unwesentliche Details nah am Original. Die Geschichte um den zur Unsterblichkeit verdammten Fürsten, der ein obsessives Verlangen nach Mina, der Verlobten seines Anwalts Jonathan Harker, entwickelt und in seinem Bestreben, die junge Frau in seinen Bann zu ziehen, seinen eigenen Untergang heraufbeschwört, ist hinlänglich bekannt – und dennoch immer wieder spannend.
Musikalisch bleibt Wildhorn beim bewährten Konzept, einem Mix aus großen Balladen (z.B. Jonathans „Before The Summer Ends“ oder Draculas „Fresh Blood“), emotionalen Duetten wie „Over Whitby Bay (One More Lonely Night)“ von Jonathan und Mina und einigen wenigen dynamischen Ensemblenummern. Wer die Musik von „Jekyll&Hyde“ oder „The Scarlet Pimpernel“ liebt, wird auch „Dracula“ mögen, denn die Songs reihen sich nahtlos ins musikalische Konzept der anderen Wildhorn-Musicals ein.
Diese Kombination von eingängigen Melodien und klassischem Thema ist ein klares Erfolgsrezept, sollte man meinen – aber der kurze Run des Musicals am Broadway hat einmal mehr bewiesen, dass schlechte Kritiken sich auch bei einem guten Stück vernichtend auswirken können. Nach nur 179 Vorstellungen im Belasco Theatre durfte Dracula (Tom Hewitt) zu letzten Mal seine Zähne in Minas (Melissa Errico) Hals bohren.
Nur drei Monate nach der Schließung der Broadway-Produktion hatte „Dracula“ nun in St. Gallen seine Europapremiere. Unter der Regie von Matthias Davids entstand eine auf das Stadttheater zugeschnittene Inszenierung mit namhafter Besetzung. Thomas Borchert übernahm die Titelrolle (alternierend: Drew Sarich), Ann Christin Elverum ist als Mina zu sehen, Caroline Vasicek als ihre Freundin Lucy. Jonathan Harker wird von Jesper Tydén gespielt, Chris Murray steht als Van Helsing auf der Bühne und Martin Pasching gibt Lucys Verlobten Arthur.
Von den spektakulären Effekten der Broadway-Aufführung, wo etwa Dracula über die Bühne schwebte oder die Überfahrt von Transsylvanien nach England bildgewaltig inszeniert war, ist wenig übrig geblieben – der Vergleich wäre allerdings auch unfair, denn das Stadttheater hat kaum dieselben Mittel zur Verfügung wie die New Yorker Großproduktion. Und die Möglichkeiten wurden in St. Gallen fast optimal umgesetzt. Das Bühnenbild ist eine stimmungsvolle Kombination aus verschiedenen Gemäuern (sei es das Schloss Draculas oder das herrschaftliche Haus Lucys) und videoprojizierten Landschaften im Hintergrund. Sehr schön auch der Einfall, Draculas verrückten, Insekten verzehrenden „Gehilfen“ Renfield (dargestellt von Stefan Vinzberg) ähnlich einer menschlichen Spinne im riesigen Netzt aus Seilen darzustellen.
Davids versetzte die Geschichte aus der viktorianischen Zeit in die 50er Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts. Das soll, so der Regisseur, eine einfachere Identifikation mit den Charakteren ermöglichen. Der unangenehme Nebeneffekt: Die Modernisierung nimmt der Geschichte einen Teil ihrer Mystik. Sicherlich ist die Handlung von „Dracula“ zeitlos, aber dennoch fügen sich die aufwendigen viktorianischen Kostüme und Frisuren der Broadway-Inszenierung besser ins Geschehen ein als der aus heutiger Sicht relativ nüchterne, biedere Stil der 50er.
Doch nicht nur die Visualisierung des Stoffes hat sich seit der Aufführung am Broadway verändert, auch an der Liederfolge hat man in St. Gallen einiges umgestellt. Mit Van Helsings Solo „Nosferatu“, „Die Einladung“ von Lucy und Draculas „Ich leb‘ nur weil es dich gibt“ sind dem Stück drei wunderbare Balladen hinzugefügt worden. Im Gegenzug gab es allerdings auch einige Streichungen. Die unsägliche Ensemblenummer „Modern World“ wird sicher kaum einer vermissen, aber der Verlust des eingängigen „Deep in the Darkest Night“, in dem sich Van Helsing, Jonathan und die drei Männer, die um Lucys Hand angehalten hatten, für die Jagd auf den Vampirfürsten wappnen, fällt schmerzlicher ins Gewicht. Frank Wildhorn selbst bedauerte die Streichung des Songs – machte aber gegenüber der Musicalzentrale Hoffnung, dass das Lied eventuell wieder eingefügt werden soll.
Mit der Besetzung hat man in St. Gallen einen Glücksgriff getan, denn die Darsteller vermögen fast durchweg den Charakteren mehr Leben einzuhauchen als am Broadway. Vor allem die Nebenrollen sind hervorragend besetzt. Caroline Vasicek bringt sowohl die naive, mädchenhafte Seite der Rolle als auch die von Dracula besessene Femme Fatal glaubhaft auf die Bühne und intoniert ihre Songs mit schöner, angenehmer Stimme. Stefan Vinzberg hat als Renfield nur zwei Szenen, um die Zuschauer zu überzeugen, nutzt diese aber optimal. Sein „Lied vom Meister“ ist eins der musikalischen Highlights des Stückes. Ebenso Van Helsings „Nosferatu“, von Chris Murray stimmstark und mit großer Überzeugungskraft interpretiert. Zugegeben – Murray und Vinzberg sind von der Akustik im Stadttheater St. Gallen auch vom Glück gesegnet. Die Soli der beiden Männer haben vergleichsweise wenig Orchesterbegleitung, was sich angesichts der Tatsache, dass die Tontechnik die Instrumentierung viel zu laut aufdreht und man zumindest im Rang viele Gesangspassagen kaum versteht, als Vorteil erweist.
In der literarischen Vorlage wie im Musical bleibt Jonathan Harker leider eine unterrepräsentierte Rolle. Jesper Tydén darf mit „Die Flamme für Freiheit“ („Before The Summer Ends“) die wohl schönste Ballade des Musicals vortragen, hat aber ansonsten unverhältnismäßig wenig Gelegenheit, seinen Charakter ins Bild zu setzen. Seine Bühnenverlobte Ann Christin Elverum hat da schon deutlich mehr Szenen und füllt diese auch überzeugend und mit bewegenderer Darstellung als Broadway-Mina Melissa Errico aus.
Wirklich ideal besetzt ist dagegen die Hauptrolle weder in New York noch in der deutschsprachigen Uraufführung. Sowohl Thomas Borchert als auch Tom Hewitt setzen rein stimmlich Highlights; die Mischung aus dämonischer Gefahr und dunkler Erotik, die von dem Ur-Vampir ausgehen soll, verkörpert aber keiner der beiden. Hewitts Dracula wirkt streckenweise etwas blutleer. Borchert dagegen ist zu sehr damit beschäftigt, mit dem eigenen Schicksal – sei es dem Dasein als Untoter oder der Liebe zu Mina – zu ringen, um gefährlich zu sein. Dass vom Vampirfürsten dennoch Faszination ausgeht, ist vor allem seinen dynamischen Songs zu verdanken. Besonders das Finale des ersten Akts „Life After Life“ / „Leb noch einmal“ ist eine gewaltige Hymne mit Ohrwurm-Qualitäten. Umso ärgerlicher, dass „Dracula“ in St. Gallen kein würdiges Ende findet. Was am Broadway abgeschlossen wirkt und einen Hauch Mystik aufweist, kommt hier zu abrupt. Wenn in der Schweizer Inszenierung der Schlussvorhang nach einem kurzen Schweigen, das Draculas „Erlösung“ durch Mina folgt, plötzlich fällt, bleibt ein leicht unbefriedigtes Gefühl zurück. In New York sorgt der im Sarg verschwundene Leichnam des Fürsten dagegen für einen abschließenden Gruselmoment, während für Mina und Jonathan ein Happy End angedeutet wird.
Letztendlich ist „Dracula“ trotz keiner Schwächen deutlich besser als der Ruf, der dem Musical vorauseilt. Zwar wartet das Stück – weder musikalisch noch inhaltlich – nicht mit revolutionären neuen Ideen auf, ist aber durchweg spannendes, gut gemachtes Musicaltheater.
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KREATIVTEAM |
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Regie | Matthias Davids |
Musikalische Leitung | Koen Schoots |
Bühne | Mathias Fischer-Dieskau |
Kostüme | Noelle Blancpain |
Choreographie | Kurt Schrepfer |
Lichtdesign | Fabrice Kebour |
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CAST (AKTUELL) |
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Dracula | Thomas Borchert Drew Sarich |
Mina Murray | Ann Christin Elverum |
Lucy Westenra | Caroline Vasicek Nicole Sieger [ab 13. September 2005] |
Jonathan Harker | Jesper Tydén |
Prof. Abraham van Helsing | Chris Murray |
Renfield | Stefan Vinzberg |
Arthur Holmwood | Martin Pasching |
Dr. Jack Seward | Alen Hodzovic |
Quincey Morris | Frank Winkels |
Draculas Bräute | Marion Furtner Ines Hengl-Pirker Anna Thorén |
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GALERIE |
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TERMINE |
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TERMINE (HISTORY) |
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Sa, 23.04.2005 19:30 | Theater, St. Gallen | Premiere |