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„Mein Dad und ich sind beide im gleichen Städtchen in Pennsylvania aufgewachsen. Er war schwul. Ich war lesbisch. Und er hat sich umgebracht. Und ich … wurde eine lesbische Cartoonzeichnerin.“ Alison Bechdel hat die Geschichte ihres Coming-outs und des Selbstmords ihres heimlich homosexuellen Vaters in einer Graphic Novel verarbeitet. Die mit fünf Tony-Awards prämierte Musicalversion (Bestes Musical, Bestes Buch, Beste Musik, Bester Hauptdarsteller und Beste Regie) feierte in der BlackBox des Landestheaters Linz deutschsprachige Erstaufführung. Ein berührender Abend mit entschlackt orchestrierten Songs und einer hervorragenden Ensembleleistung.
Beech Creek, Pennsylvania, Anfang der 1970er Jahre. Bruce Bechdel unterrichtet Englisch, führt das örtliche Bestattungsunternehmen und restauriert in seiner Freizeit Häuser. In einem dieser hingebungsvoll ausgestatteten Häuser lebt er mit seiner Frau und seinen drei Kindern. Doch Bruce führt ein Doppelleben: Er trifft sich heimlich mit Männern – auch mit Schülern. Nachdem seine Tochter Alison sich als lesbisch outet, wird er von einem Lkw erfasst und stirbt. Offiziell ein Unfall, aber Alison ist sich sicher, es war Selbstmord. Zwanzig Jahre nach dem Tod des Vaters macht sie aus ihrer Familiengeschichte einen Comic und lässt ihre Geschichte Revue passieren.
Wie schon die Vorlage erzählt die Musical-Bearbeitung die Geschichte nicht linear. Die Handlung kreist um die Monate zwischen Alisons Outing und dem Tod ihres Vaters – mit Rückblicken in Alisons Kindheit. Im Buch wird jedes Bild mit einem Text versehen, der einordnet, kommentiert, das Gezeigte auf Heuchelei abklopft. Auf der Bühne übernimmt die erwachsene Alison diese Funktion. Sie ist aber nicht nur Erzählerin, sondern Teil der Handlung, durchsucht ihre Vergangenheit, um der Wahrheit auf den Grund zu kommen. Alison deutet ihr Coming-out als Auslöser für den Selbstmord ihres Vaters.
In der Graphic Novel wirken die Eltern distanziert. Die Eheleute gehen kühl miteinander um. Auch die Beziehungen zu den Kindern scheinen nicht sehr eng. Lisa Kron, die Autorin der Bühnenfassung, lässt die Verbindung zwischen Alison und ihrem Vater etwas intensiver werden. Das erleichtert die emotionale Anbindung an die Figuren. Im Comic erfährt man die Geschichte nur aus Alisons Sicht. Im Musical gibt es auch Szenen, in denen Alison nicht dabei ist, von denen sie also nichts wissen kann. Diese zusätzlichen Einblicke geben Mutter und Vater mehr Hintergrund. Man erfährt mehr über ihr Verhältnis zueinander, was sie über die Situation denken, wie sie sich fühlen. Das tut den Charakteren gut.
Bis auf diese Freiheiten, hält sich Lisa Kron eng an die Vorlage, verarbeitet sie dramaturgisch geschickt und lässt die Zeitebenen ineinanderfließen. Ihre Songtexte (hier in der gelungenen Übersetzung von Roman Hinze) bringen das Innere der Protagonisten hervor und sind – wenn die Situation passt – stellenweise auch sehr witzig.
Die Musik dazu stammt vom Jeanine Tesori. Sie orientiert sich an den Singer-Songwritern der 1970er Jahre. Holzblasinstrumente, Violine, Cello, Gitarre, Bass, Keyboard und diverse Schlaginstrumente steuern einen Hauch US-Folk bei. Klarinette und Streicher geben einen warmen Klang; der Einsatz der Flöte macht die Arrangements leicht und luftig. Tesoris Songs sind nur bedingt Ohrwürmer, aber sie charakterisieren die Figuren in den Soli ausgesprochen gut. Ihr schlüssiges Konzept, Motive hier und da immer wieder einzustreuen, erschließt sich aber erst beim mehrmaligen Hören. Umgesetzt werden die Kompositionen von der siebenköpfigen Band „Six Feet Under“, die Juheon Han vom Keyboard aus leitet – ein klangschönes Fundament.
Zwei Songs stechen stilistisch heraus. Die Bechdel-Kinder haben den Werbespot-Song „Auf, auf ins Fun Home“ für das Beerdigungsunternehmen komponiert. Familienintern wird das Funeral Home „Fun Home“ genannt. Eine Steilvorlage für die grandiosen Kinderdarsteller (in der Premiere: Helena Unger, Benjamin Kirchschläger und Michael Falkner), die mit der Gute-Laune-Pop-Nummer die Herzen des Publikums erobern. Die zweite Nummer ist „Schirm aus Glück“, eine Traumsequenz. Die kleine Alison hat erfahren, dass ihr Vater einen Psychiater aufsuchen muss, nachdem er einen Jungen belästigt hat (offiziell hat er einem Minderjährigen Alkohol gegeben). Alison flüchtet sich in die Welt ihrer Lieblingsserie „The Partridge Family“, einer Sitcom über eine (vaterlose) Familie, die gemeinsam eine erfolgreiche Band wird. Hannah Moana Paul hat beides mit viel Tempo choreografiert und verarbeitet augenzwinkernd bei „Schirm aus Glück“ die erwarten 70er-Jahre-Klischees.
Die zeitgenössischen Kostüme sind von Julia Klug und Nina Holzapfel gut gewählt. Nur die Perücken von Vater Bruce und der erwachsenen Alison wirken wie Fremdkörper und lassen sie unnatürlich „verkleidet“ aussehen.
Um Zeit- und Ortssprünge zu ermöglichen, haben Karl Fehringer und Judith Leikauf ein drehbares Element in der Bühnenmitte platziert. Verschiedene Seiten zeigen so die erwachsene Alison bei ihrer Arbeit am Comic, das College-Zimmer der jüngeren Alison und das Heim der Familie Bechdel.
Die verschiedenen Orte und Zeitebenen so szenisch miteinander zu verknüpfen, dass das Publikum immer den Überblick behält, ist Regisseurin Nicole Claudia Weber geglückt. Sie zeigt einfühlsam die Beziehungen der Bechdel-Familienmitglieder zueinander und verdammt dabei niemanden für sein Verhalten. Das ist bei der Figur des Vaters besonders schwierig. Karsten Kenzel spielt ihn erst sympathisch, um dann mit unerwarteten Stimmungsschwankungen, Ausbrüchen und natürlich seiner Vorliebe für ziemlich junge Männer die Zuschauer emotional auf Distanz zu halten. Ein darstellerischer Drahtseilakt, den Kenzel meistert, ohne die Taten seiner Figur zu entschuldigen.
Mutter Helen hat ihre Schauspielkarriere zugunsten einer Familie aufgegeben. Ihr künstlerischen Ambitionen lebt sie im heimischen Klavierspiel und in der örtlichen Theatergruppe aus. Von den Eskapaden ihres Mannes weiß sie schon lange und hat sie akzeptiert. Daniela Dett gibt ihr eine gewisse künstlerische Eleganz, die in kurzen emotionalen Momenten – vor allem bei ihrem Solo „Tag um Tag“ – Einsamkeit und Resignation weicht.
Die Figur der Alison wird von drei Darstellerinnen verschiedenen Alters gespielt. In der Premiere spielt Helena Unger die ungefähr Zehnjährige. Sie hat den Song „Schlüsselbund“ zu singen: der Moment, in dem Alison erkennt, dass sie lesbisch ist. Alison und ihr Vater sind in einem Diner, als eine Paketbotin etwas liefert. Sie ist eine „Butch“ – eine queere Frau, deren Kleidungsstil und Auftreten tendenziell maskulin besetzt sind. Sie trägt einen Schlüsselbund – ein Code, sich in der Öffentlichkeit für Gleichgesinnte sichtbar zu machen. Und ohne zu wissen, worum es sich handelt, kann sich das Mädchen mit ihr identifizieren. Wir sehen die Botin nie, alles spielt sich in Ungers Gesicht und im Songtext ab. Eine darstellerische und auch stimmliche Herausforderung, die die junge Darstellerin eindrucksvoll meistert.
Stark auch Celinas dos Santos als Alison im College-Alter. Jetzt wagt sie es, homosexuelle Kontakte zu knüpfen, hat zum ersten Mal Sex und outet sich. Dos Santos spielt das sehr natürlich und mit Sinn für Komik. Ihr jubelnder Showstopper nach dem ersten Mal „Mein Hauptfach ab heute ist Joan“ birst vor Lebensfreude.
Sanne Mieloo als erwachsene Alison sieht den Rückblicken mal von außen, mal als Teil der Szenen zu. Sie ist emotional verbunden, geht mit. Der emotionale Druck entlädt sich am Ende. Das ist von Mieloo hervorragend gespielt und gesungen, aber hier und da verfällt sie in zu theaterhafte Gestik.
Das darstellerisch und stimmlich überzeugende Ensemble runden Bettina Schurek und Christian Fröhlich ab. Schurek spielt unverkrampft und natürlich Alisons Geliebte Joan; Fröhlich diverse „Objekte der Begierde“ des Vaters – mal unverfroren-naiv, mal bedrängt-verängstigt – und beherzt überzogen den Sänger in der Traumsequenz.
„Fun Home“ vermeidet alle melodramatischen Fallen, die der Stoff bieten könnte und drückt nicht künstlich auf die Tränendrüse, sondern transportiert Emotionen, die das Premierenpublikum nicht kaltlässt. Dass auch ernstere Kost auf deutschsprachigen Bühnen Chance auf Erfolg hat, beweist seit einigen Jahren „Next to Normal“. „Fun Home“ ist zu wünschen, in dessen Fußstapfen zu treten.
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KREATIVTEAM |
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Musikalische Leitung | Juheon Han |
Inszenierung | Nicole Claudia Weber |
Choreografie | Hannah Moana Paul |
Bühne | Charly Fehringer Judith Leikauf |
Kostüme | Julia Klug Nina Holzapfel |
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CAST (AKTUELL) |
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Alison | Sanne Mieloo |
Mittlere Alison / Susan Dey 1 | Celina dos Santos |
Bruce Bechdel | Karsten Kenzel |
Helen Bechdel | Daniela Dett |
Roy / Mark / Pete / Bobby Jeremy | Christian Fröhlich |
Joan / Susan Dey 2 | Bettina Schurek |
Kleine Alison | Rosa Gruber Helena Unger |
Christian Bechdel | Gabriel Federspieler Benjamin Kirchschläger |
John Bechdel | Michael Falkner Gabriel Federspieler |
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GALERIE |
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TERMINE |
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keine aktuellen Termine |
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TERMINE (HISTORY) |
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Do, 13.04.2023 20:00 | BlackBox Musiktheater Volksgarten, Linz | Preview | |||||||
Fr, 14.04.2023 20:00 | BlackBox Musiktheater Volksgarten, Linz | Premiere | |||||||
Mi, 19.04.2023 20:00 | BlackBox Musiktheater Volksgarten, Linz | ||||||||
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Sa, 22.04.2023 20:00 | BlackBox Musiktheater Volksgarten, Linz | ||||||||
Di, 25.04.2023 20:00 | BlackBox Musiktheater Volksgarten, Linz | ||||||||
Sa, 29.04.2023 20:00 | BlackBox Musiktheater Volksgarten, Linz | ||||||||
Di, 02.05.2023 20:00 | BlackBox Musiktheater Volksgarten, Linz | ||||||||
Mi, 03.05.2023 20:00 | BlackBox Musiktheater Volksgarten, Linz | ||||||||
Sa, 06.05.2023 20:00 | BlackBox Musiktheater Volksgarten, Linz | ||||||||
So, 14.05.2023 20:00 | BlackBox Musiktheater Volksgarten, Linz | ||||||||
Di, 16.05.2023 20:00 | BlackBox Musiktheater Volksgarten, Linz | ||||||||
So, 21.05.2023 20:00 | BlackBox Musiktheater Volksgarten, Linz | ||||||||
Mo, 22.05.2023 20:00 | BlackBox Musiktheater Volksgarten, Linz | ||||||||
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