© Thomas M. Jauk/Stage Picture
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Sunset Boulevard (2016 - 2017)
Theater, Dortmund

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Eine solide, sehenswerte Inszenierung mit großem Staraufgebot und einigen Schwächen – das ist „Sunset Boulevard“ in Dortmund. Betrachtet man den frenetischen Jubel und die minutenlangen Standing Ovations des Premierenpublikums, so kommt die Adaption der Bad Hersfelder Fassung von Regisseur Gil Mehmert äußerst gut an. Zweifelsfrei ein großer Gewinn für die Produktion ist die Entscheidung für die „symphonic version“. Unter der Leitung von Ingo Stadtmüller bringen die Dortmunder Symphoniker einen in heutigen Zeiten fast schon vergessenen, großen Musical Sound ins Opernhaus.

Älterwerden ist nichts für Feiglinge, sagt der Volksmund treffenderweise. Älterwerden im Showbiz schon gar nicht. Und dann auch noch würdevoll damit umgehen – geradezu unmöglich! Davon kann Stummfilmdiva Norma Desmond mehr als ein Lied singen. In ihrem Fall bevorzugt „Träume aus Licht“, mit dem sie dem Ruhm und dem Glanz vergangener Zeiten nachhängt.

Geblieben ist lediglich die große Villa am Sunset Boulevard, Hollywoods erste Adresse. Aber auch hier: Der Lack ist ab, das Grundstück verwahrlost, drinnen alles düster und verstaubt. Das nahezu statische Bühnenbild von Heike Meixner besteht aus einen großen, dunklen Raum. Im Hintergrund befindet sich eine Marmorwand und ein großes, verdrecktes Fenster, links die unvermeidliche Showtreppe, auf der die Diva jeden einzelnen ihrer Auftritte dramatisch als Reminiszenz an ihr jüngeres Selbst inszeniert. Mal in einem prachtvollen schwarz-goldenen Art-Deco-Überwurf, mal im aufwändig gearbeiteten Morgenmantel, mal im exquisiten Silvester-Kostüm und mal im schlichten schwarzen Kleid: Jeder Auftritt von Pia Douwes als Norma Desmond ist – nicht zuletzt aufgrund der großartigen Arbeit der Kostümbildner – ein Hingucker. Ihr bloßes allererstes Erscheinen im ersten Akt sorgt für tosenden Applaus und gerät damit beinahe zum Show-Stopper.

Douwes verkörpert Norma Desmond mit großen, dramatischen Gesten. Dieses beinahe durchgängige, gnadenlose Over-Acting scheint so vom Regisseur gewollt und macht es für den Zuschauer schwierig, nachzuvollziehen, wann Normas wahrer Charakter durch die Fassade schimmert und wann sie Dramatik nur benutzt, um ihren Willen zu bekommen (etwa, um den jungen Joe Gillis zum Bleiben zu überreden). Die Figur in all ihrer Dramatik stellt Douwes hervorragend dar – es sind die anderen Facetten, die ein wenig auf der Strecke bleiben. Gänsehaut-erzeugend und zurecht umjubelt ist „Nur ein Blick“; darstellerisch unter die Haut gehend gerät die Szene, wo sie dem jungen Gillis ihre Stummfilm-Erfolge vorspielt und dabei ganz in diese eintaucht.

Ebenfalls bewegend ist die Schlüsselszene im zweiten Akt, wo die Desmond Mr. DeMille (Hans Werner Bramer) am Set der Paramount besucht: Hier wird für den Zuschauer überdeutlich, dass DeMille es im Gegensatz zu Norma geschafft hat, mit der Zeit zu gehen und weiterhin aktiv am Arbeitsleben teilzunehmen, während sie im modernen Filmset wie ein Fossil aus vergangener Zeit wirkt und von den Kunstschaffenden genauso behandelt wird.

Parallelwelten, die nebeneinander existieren und sich nur selten berühren – auch darum geht es in „Sunset Boulevard“. Wunderbar plastisch wird das, wenn wir diese im direkten Vergleich nebeneinander sehen können wie etwa in der Silvester-Szene: Links tanzt Norma nach Joes abruptem Abgang verzweifelt und betrunken in ihrer Villa, rechts sehen wir die ausgelassene, jugendliche Künstler-Szene in farbenfrohen 50er-Jahre-Kostümen und voller Hoffnung ins neue Jahr feiern – ein Highlight der Inszenierung.

Der erfolglose Drehbuchautor Joe Gillis (Oliver Arno) entstammt dieser Parallelwelt. Arno steht vor der gar nicht so einfachen Aufgabe, einerseits den Erzähler Joe zu geben, der die Geschichte in Rückblicken preisgibt, und andererseits die Figur Joe zu spielen – und zwar so, dass den Zuschauern der Unterschied zwischen diesen beiden stets bewusst ist. Arno meistert diese Aufgabe nicht schlecht und zeigt einen Joe, der zwar mit einer gehörigen Portion Kalkül agiert, sich letztendlich aber doch nicht ganz den Reizen Normas und ihrer Verletzlichkeit entziehen kann.

Auch gesanglich liefert Arno ab, wobei er bei seinem eigentlich größten Auftritt zu Beginn des zweiten Akts viele Chancen verschenkt: Das Titellied „Sunset Boulevard“ plätschert bedeutungslos vor sich hin – schade! Vor allem, weil Arno bei der Reprise des Stücks gegen Ende des zweiten Akts, als er Betty Schaefer (sehr ansprechend verkörpert von Wietske van Tongeren) endlich reinen Wein einschenkt, zeigt, dass er es durchaus anders kann. Hier stellt sich nämlich die Gänsehaut ein, die beim ersten Mal ausblieb – sicherlich aber auch aufgrund der Tatsache, dass diese Szene ein atmosphärisch wirklich dichtes Bild schafft: Oben auf der Treppe sitzt Norma wie ein Häufchen Elend, ganz in schwarz gekleidet und mit grauem, ungestyltem Haar; unten macht Joe mit Betty Schluss, die wie immer ein Kleid aus kräftigen Pastelltönen trägt und im Gegensatz zur Stummfilm-Diva aussieht wie das blühende Leben. Leider verkommt die Beziehung zwischen ihr und Joe in dieser Inszenierung ein wenig zum Beiwerk.

Großen Eindruck macht Hannes Brock von der Oper Dortmund in seiner Rolle als Butler Max. Obwohl er leider nicht viel zu singen hat, ist er ständig präsent und der Zuschauer ahnt gleich, dass hinter dieser ominös anmutenden Erscheinung mehr stecken muss als es zunächst den Anschein hat. Warum Max allerdings so aussehen muss, als sei er einem zweitklassigen Vampirfilm entsprungen, wird wohl ein Geheimnis der Produktion bleiben. Immerhin passt er gut in das düstere, irgendwie an ein Mausoleum erinnernde Bühnenbild. Auch das restliche Ensemble des Theaters Dortmund zeigt sich sehr spielfreudig und gut bei Stimme. Dass die Abmischung an diesem Abend nicht optimal ist und so der Chor meist zu leise im Zuschauerraum ankommt, ist daher besonders schade.

Trotz des recht statischen Bühnenbildes schafft es Heike Meixner, dass durch Requisiten und pfiffige Ideen immer wieder neue Bilder entstehen – so werden Versatzteile zu einem Auto und Tore mit Paramount-Schriftzug simulieren den Eingang der berühmten Filmstudios. Die Kostüme (ebenfalls von Meixner designt) sind sehr aufwändig und authentisch und spiegeln die unterschiedlichen Lebensstile und -gefühle wieder. Die Choreografie (Melissa King) kann ebenfalls immer wieder punkten, etwa bei der witzig inszenierten Verfolgungsjagd zu Beginn oder den Szenen im Paramount-Studio. Stefan Schmidts gelungenes Lichtdesign setzt Akzente und so manchen Moment wirkungsvoll in Szene.

Trotzdem bleibt unter dem Strich das erhoffte „Wow“-Gefühl aus. Obwohl „Sunset Boulevard“ thematisch und musikalisch ein zeitloser Klassiker ist, kann das Stück in Dortmund über weite Strecken zwar berühren, aber nicht wirklich mitreißen. Vielleicht, weil die Adaption aus Bad Hersfeld dann doch nicht so recht ins Dortmunder Haus passen mag. Vielleicht, weil die Besetzung an diesem Abend zwar gut, aber (noch) nicht herausragend ist. Vielleicht, weil die Inszenierung einige Längen hat. Oder aber weil der Ton an diesem Abend alles andere als optimal ist. Wie dem auch sei: Es ist noch Luft nach oben.

 
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KREATIVTEAM
Musikalische LeitungIngo Martin Stadtmüller
RegieGil Mehmert
ChoreographieMelissa King
Bühne und KostümeHeike Meixner
DramaturgieWiebke Hetmanek
 
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CAST (AKTUELL)
Norma DesmondPia Douwes
Joe GillisOliver Arno
Betty SchaeferWietske van Tongeren
Sarah Wilken
Max von MayerlingHannes Brock
Artie GreenMorgan Moody
Cecil B. DeMilleHans Werner Bramer
SheldrakeDaniel Berger
Mr. Manfred / MyronJoshua Whitener
Heather u.a.Charlotte Katzer
Mary u.a.Esther Conter
Ursula u.a.Anneke Brunekreeft
Jean u.a.Yara Hassan
LisaLina Gerlitz
Joanna u.a.Martina Vorsthove
Katherine u.a.Natascha Valentin
Cliff u.a.Thomas Stitilis
John u.a.Marvin Kobus Schütt
Sammy u.a.Anton Schweizer
Wunderkind u.a.Florian Minnerop
Jonesy u.a.Henry Lankester
Schuldeneintreiber u.a.Alexander Sasanowitsch
  
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TERMINE
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TERMINE (HISTORY)
Sa, 08.10.2016 19:30Theater, DortmundPremiere
So, 16.10.2016 18:00Theater, Dortmund
So, 23.10.2016 18:00Theater, Dortmund
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