Imelda Staunton (Momma Rose), Ensemble © Johan Persson
Imelda Staunton (Momma Rose), Ensemble © Johan Persson

Gypsy (2015)
Savoy Theatre, London

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„Gypsy“ ist ein Starvehikel für die Hauptdarstellerin. Der Rest der Besetzung läuft Gefahr, zu funktionalem Beiwerk degradiert zu werden. Doch die einfallsreiche und detaillierte Regie und eine durchweg starke Besetzung machen daraus unerwartet ein begeisterndes Ensemble-Stück.

Was wäre wohl aus dem Stück geworden, wenn wie geplant Stephen Sondheim die Musik geschrieben hätte? Nach Einspruch der Uraufführungs-Hauptdarstellerin Ethel Merman, die sich einen erfahreneren Komponisten wünschte, blieb ihm wieder nur das Schreiben der Lyrics. Doch die haben es in sich. Sie sind pointiert, witzig und bieten sich geradezu zum Verkörpern an. Und wenn ein Liedtext wie „Let Me Entertain You“ kulleräugig-unschuldig klingt, wenn es ein Kind singt, und mit anderer Betonung plötzlich verrucht und frivol zu einem Strip passt, dann ist das große Kunst. Jule Styne liefert dazu musikalische Konfektionsware nach dem Geschmack der Zeit. Eingängige Melodien, satter, jazziger Bigband-Sound, parodistische Vaudeville-Nummern und dramatische Showstopper, die perfekt auf die belastbaren Stimmbänder von Merman geschrieben wurden.

Momma Rose ist die übergroße Hauptfigur, der sich alle anderen Rollen unterordnen müssen. Doch Regisseur Jonathan Kent beschränkt sich nicht damit, in diesem Fall Imelda Staunton als Momma Rose ins Rampenlicht zu stellen und den Rest um sie zu drapieren. Staunton spielt „Übermutter“ Rose sehr nuanciert: Sie ist ruppig, kann überraschend flirten, zeigt den eisernen Willen, auf Biegen und Brechen einen erfolgreichen Show-Act zu landen (und die offensichtlichen Defizite der Nummer gnadenlos zu ignorieren), verfügt über die nötige stimmliche Kraft für „Everything’s Coming Up Roses“ ohne am Ende zu brüllen und berührt in „Rose’s Turn“.

Ihr zur Seite stehen zu Beginn der Geschichte sehr gute Kinderdarsteller, von denen sich besonders Isla Huggins-Barr als Baby June in die Herzen der Zuschauer quietscht. Ihr erwachsenes Pendant ist Gemma Sutton, die nicht nur quietschen und hervorragend tanzen kann, sondern auch darstellerisch deutlich macht, wie sehr sie aus dem Korsett, in das sie ihre dominante Mutter quetscht, ausbrechen will. Lara Pulver ist ihre Schwester Louise, die von der Mutter wenig Beachtung bekommt und in die erste Reihe aufrücken muss, als June sich auf und davon macht. Pulvers leichte und wandelbare Stimme veredelt das unsagbar kitschige „Little Lamb“. Wenn sie in „The Strip“ vom verschüchterten Mädchen, das zu einem Burlesque-Tanz auf die Bühne geschubst wird, in verschiedenen Zeitsprüngen (und Kostümwechseln in Windeseile) zur Diva Gypsy Rose Lee reift, dann ist das ganz große Schauspielkunst.

Die Familie komplettiert Peter Davison als Herbie, der geduldige Mann an Momma Roses Seite. Er vergöttert sie auf sehr warmherzige Art, ist grundsympathisch, tanzt tapsig bei „Together, Wherever We Go“ und wenn er sie schließlich desillusioniert verlässt, leidet man mit ihm. Erwähnt werden müssen unbedingt noch Dan Burton als Tulsa, der bei „All I Need Is The Girl“ leicht wie Fred Astaire über die Bühne tanzt, so dass man bedauert, dass seine Rolle nicht größer ist, sowie das witzige Burlesque-Tänzerinnen-Trio Anita Louise Combe, Louise Gold und Julie Legrand.

Die Inszenierung ist temporeich, holt jeden möglichen Lacher aus Text und Aktion ohne den Bogen zu überspannen, nimmt sich trotzdem Zeit für die einzelnen Figuren, entwickelt selbst Nebenrollen zu Charakteren und spielt mit dem Theater auf dem Theater. Die Szenenwechsel verlaufen verblüffend schnell und auch im Bühnenbild und in den Kostümen, besonders bei den Vaudeville-Nummern, sind Gags eingebaut. Sehr schön auch der Schluss, wenn sich Mutter und Tochter wieder versöhnen. Natürlich ist das vorhersehbar und schmalzig, aber wenn Momma Rose und Louise gemeinsam die Bühne verlassen und erst im letzten Moment, bevor die Scheinwerfer ausgehen, die Arme umeinander legen, dann muss man aus Stein sein, um nicht wohlig aufzuseufzen.

Nicholas Skilbeck dirigiert das Orchester mit dem richtigen Gefühl für Bigband-Sound, coolen Jazz, Balladen, leichten Swing und Marschmusik. Schon die Ouvertüre bekommt vom ohnehin sehr wohlgesonnen Publikum zu Recht Bravos. Nach dem letzten Ton hält es niemand mehr auf den Sitzen. Verdienter Jubel für alle Beteiligten und Standing Ovations für Imelda Staunton. Ganz klar: „Gypsy“ ist das neue Must-See-Stück im West End!

(Anmerkung der Redaktion: Unsere Rezension wurde nach dem Besuch einer Preview-Veranstaltung verfasst.)

 
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KREATIVTEAM
MusikJule Styne
BuchArthur Laurents
TexteStephen Sondheim
InszenierungJonathan Kent
ChoreografieStephen Mear
KostümeAnthony Ward
 
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CAST (AKTUELL)
Momma RoseImelda Staunton
LouiseLara Pulver
HerbiePeter Davison
JuneGemma Sutton
TulsaDan Burton
Uncle JockoBilly Hartman
Mr GoldstoneJack Chissick
Tessie TuraAnita Louise Combe
PopHarry Dickman
MotherLucinda Shaw
L.A.Roger Dipper
MazeppaLouise Gold
Majorie MayClare Halse
Mr WeberTom Hodgkins
YonkersKieran Jae
ElectraJulie Legrand
GeraldineDanielle Morris
Little RockLuke Street
KansasDamien Poole
DeloresLauren Hall
AgnesNatalie Woods
EnsembleLiz Ewing
Lauren Ingram
Tom Murphy
Phillip Catchpole
  
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TERMINE (HISTORY)
Sa, 28.03.2015 19:30Savoy Theatre, LondonPreview
Mo, 30.03.2015 19:30Savoy Theatre, LondonPreview
Di, 31.03.2015 19:30Savoy Theatre, LondonPreview
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