Eigentlich ein Klassiker, aber dennoch vergleichsweise selten auf deutschen Bühnen anzutreffen: Blake Edwards Verwechslungsspiel um die erfolglose Sängerin Victoria, die als „Victor“ berühmt wird und so für allerlei Verwirrungen sorgt. Überaus gelungene Inszenierung mit starkem Ensemble, aber wenig überzeugender Hauptdarstellerin.
Von „Paris bei Nacht“ geht, sofern man „Victor/Victoria“-Texter Leslie Briscuse glauben darf, eine ganz eigene Faszination aus. Torsten Händlers Regiedebüt gelingt es, diese Atmosphäre einzufangen. Mit einem stimmungsvollen, zumeist in schummrig roten Licht gehülltem Bühnenbild lässt die Inszenierung den Zuschauer ins Pariser Nachtleben der 30er Jahre eintauchen: geheimnisvoll, ein bisschen zwielichtig und gefährlich, aber dennoch reizvoll.
Die einzige Komponente der Aufführung, die sich nicht so recht in dieses Bild einfügen will, ist die Hauptdarstellerin. Während Claudia Müller in den ersten Minuten des Stücks als Victoria Grant noch überzeugt, wird danach schnell deutlich, dass sie als Travestiestar Victor Grazinski alles andere als ideal besetzt ist. Zu wenig Bühnenpräsenz, keine Spur von Erotik. Das größte Problem jedoch ist, dass Müller nicht glaubhaft machen kann, dass man sie auch nur ein Sekunde lang für einen Mann halten könnte – schade, denn eigentlich lebt „Victor/Victoria“ ja gerade vom Spiel mit den Geschlechtern und von der hier oftmals fehlenden Anziehungskraft Victors, die selbst gestandene Männer an ihrer sexuellen Identität zweifeln lässt.
Als Stars des Stücks entpuppen sich dagegen Matthias Winter als Victorias schwuler Freund Toddy und Muriel Wenger als eifersüchtiges Blondchen Norma Cassidy, die von der Faszination, die Victor auf Gangsterboss King Marchan ausübt, gar nicht begeistert ist. Sowohl Winter als auch Wenger bestechen mit viel Charme, komischem Talent und überzeugenden Showeinlagen. Winter als Toddy erweist sich von der ersten Minute an, in der er das Stück mit dem melancholischen Chanson „Paris bei Nacht“ eröffnet, als Sympathieträger Nummer eins – sowohl in den leisen, gefühlvollen Szenen als auch als Entertainer in seinen Shownummern. Wenger dagegen spielt herrlich schrill und überdreht, bedient mit einem Augenzwinkern sämtliche Blondinenklischees und kann in ihrem Showstopper, „Chicago, Illinois“, auch stimmlich auftrumpfen.
King Marchan, der durch seine Gefühle für Victor in eine Identitätskrise gestürzt wird, wird von Matthias Otte dargestellt. Gerade in Marchans Momenten der Selbstzweifel ist Otte brillant und kann trotz der fehlenden Androgynität seiner Partnerin die problematische Situation seines Charakters, sich als ach-so-heterosexueller Mann in einen (vermeintlichen) Mann zu verlieben, glaubhaft an den Zuschauer bringen. Viel singen darf Otte dabei nicht – stimmlich ist der Tenor klar unterfordert, aber zumindest darf er zwei der schönsten Lieder des Musicals zum Besten geben.
Obwohl die Musik erst 1982 entstanden ist und das Stück erst 1995 für die Bühne adaptiert wurde, wirkt „Victor/Victoria“ eher wie ein Musical der alten Garde. Es gibt vergleichsweise wenige Songs, dafür aber lange Sprechpassagen, und auf ein durchgehendes musikalisches Thema wartet man vergebens. Nicht zuletzt deshalb ist die Musik nicht wirklich eingängig, doch der zweite Akt wartet mit einigen Glanzlichtern auf. Frank Wildhorns nachträgliche Zusätze fügen sich hervorragend in Henry Mancinis Musik ein – auch wenn Wildhorns Handschrift hier und da unverkennbar ist. Seine melancholische Ballade „Living in the Shadows“ als Duett von Matthias Otte und Claudia Müller ist einer der musikalischen und dramatischen Höhepunkte des Stücks, ebenso wie das Mancini-Duett „Almost a Love Song“.
In Chemnitz setzt man größtenteils auf die deutsche Übersetzung von Stefan Huber, wobei einige von Victors Shownummern in der englischen Originalsprache bleiben – ein System, das funktioniert und im Gegensatz zu anderen deutsch-englischen Mischformen, bei denen nach Belieben zwischen den Sprachen hin- und hergewechselt wird, sinnvoll erscheint.
Auch sonst hat Händler bei der Inszenierung alles richtig gemacht. Die (von ihm selbst entworfene) Choreographie ist makellos – vor allem die Balletteinlagen sind eine Augenweide. Händler schafft es, die zahlreichen durch Buch und Libretto vorgegebenen Shownummern so in die Aufführung einzufügen, dass sie die Handlung nicht überschatten. Der im Genre der Travestiekomödie oftmals nicht ganz einfache Spagat zwischen Komik, Drama und Plädoyer für Toleranz wird hier mit Bravour gemeistert.
Sa, 29.10.2005 19:30 | Opernhaus, Chemnitz | Premiere |
So, 30.10.2005 19:30 | Opernhaus, Chemnitz | |
Di, 01.11.2005 19:30 | Opernhaus, Chemnitz | |
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Fr, 04.11.2005 19:30 | Opernhaus, Chemnitz | |
Fr, 11.11.2005 19:30 | Opernhaus, Chemnitz | |
Fr, 18.11.2005 19:30 | Opernhaus, Chemnitz | |
Mo, 12.12.2005 19:30 | Opernhaus, Chemnitz | |
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