Quelle: Studio publicity still, Public domain, via Wikimedia Commons
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Ingos Fernsehsessel "Vorhang auf" ("The Band Wagon")

Einmal pro Monat werde ich mich in meinen Fernsehsessel setzen und mir für euch einen Musicalfilm ansehen. Da werden bekannte Streifen dabei sein, aber auch Unbekanntes oder Vergessenes.

In diesem Monat orientiert sich meine Filmauswahl wieder an einem Geburtstag: Am 10. Mai wäre Fred Astaire 125 Jahre alt geworden. Ich habe mich für „Vorhang auf“ („The Band Wagon“) von 1953 entschieden. Es geht um einen alternden Hollywoodstar, der mit seinem nachlassenden Erfolg hadert. Da schimmert ein bisschen der echte Astaire durch, der seine Rolle mit einer guten Portion Selbstironie angeht. „Vorhang auf“ ist ein Paradebeispiel für das Filmmusical der 1950er Jahre: mit viel Aufwand gedreht und knallbunt.

Die Karriere von Tony Hunter (Fred Astaire) ist ins Stocken geraten. Der Filmstar setzt große Hoffnung in eine Broadway-Show, die seine Karriere wiederbeleben soll: Der Regisseur Jeffrey Cordova (Jack Buchanan) will eine bedeutungsschwangere Variation des „Faust“-Stoffes auf die Bühne bringen. Als Hunters Co-Star engagiert er die Ballerina Gabrielle Gerard (Cyd Charisse). Die beiden fühlen sich in puncto Talent dem jeweils anderen unterlegen. Aus Unsicherheit geraten sie immer wieder in Streit. Als die Voraufführung ein Desaster wird, übernimmt Hunter die Regie und bringt eine Revue nach den alten Regeln des Genres auf die Bühne. Und nach den alten Regeln Hollywoods kommen sich natürlich auch Tony und Gabrielle näher …

So richtig originell ist die Geschichte nun wirklich nicht. Sie beginnt sehr reizvoll mit dem damals 54-jährigen Astaire – bzw. seiner Figur Tony Hunter – in einer Sinnkrise. Seine Filme sind nicht mehr erfolgreich und aus dem öffentlichen Interesse ist er auch ziemlich verschwunden. Das ging Astaire selbst Mitte der 1940er Jahre ähnlich. Nach Erfolgen auf der Bühne (er trat seit seiner Jugend mit seiner Schwester Adele als Tanzduo auf), wechselte er in den 1930er Jahren zum Film und schaffte den Durchbruch mit Musicalkomödien, denen er – oft mit Ginger Rogers an der Seite – durch seinen eleganten Stepptanz seinen Stempel aufdrückte. Nachdem „Yolanda und der Dieb“ („Yolanda and the Thief“) 1945 ein Desaster an den Kinokassen war, drehte er noch „Blau ist der Himmel“ („Blue Skies“), zu dem er schon verpflichtet war, zog sich danach aber für zwei Jahre aus dem Filmgeschäft zurück. 1948 kehrte er mit „Osterspaziergang“ („Easter Parade“) erfolgreich auf die Leinwand zurück. Nach „Vorhang auf“ war Astaire zwar weiter in Prestigeprojekten der Hollywoodstudios zu sehen, aber sein Status war immer schwerer zu halten.

Der Tod seiner Frau während der Dreharbeiten von „Daddy Langbein“ („Daddy Long Legs“) traf ihn 1955 sehr. Er fand sich auch als Love Interest seiner viel jüngeren Filmpartnerinnen Leslie Caron und Audrey Hepburn nicht mehr überzeugend. Nach drei wenig erfolgreich Filmen in Folge – „Daddy Langbein“ („Daddy Long Legs“), „Ein süßer Fratz („Funny Face“) und „Seidenstrümpfe“ („Silk Stockings“) – war das Thema Filmmusical für ihn beendet. Mit der ernsten Nebenrolle in „Das letzte Ufer“ („On the Beach“) vollzog er zwar einen Imagewechsel, spielte aber vor allem in Komödien. 1968 kehrte er ein letztes Mal für „Der goldene Regenbogen“ („Finian‘s Rainbow“) zum Musical zurück. Für seinen letzten großen Erfolg, den Katastrophenfilm „Flammendes Inferno“ („The Towering Inferno“), erhielt er 1975 eine Oscar-Nominierung als Bester Nebendarsteller.

Doch zurück zu „Vorhang auf“! Der Originaltitel „The Band Wagon“ stammt von einer Revue, in der Fred Astaire 1931 zusammen mit seiner Schwester Adele auftrat. Die Songs von Arthur Schwartz (Musik) und Howard Dietz (Texte) wurden großteils aus anderen Bühnenstücken übernommen; das ikonische „That’s Entertainment“ entstand für den Film.

Betty Comden und Arthur Green, zwei Bühnenveteranen, die für Leonard Bernstein das Buch zu „On the Town“ verfassten und danach weiter erfolgreich für Theater und Film schrieben, haben ihre eigenen Theatererfahrungen im Drehbuch verarbeitet. Sie machen sich gehörig über den Theaterbetrieb lustig. In den Figuren von Lily und Lester Marton haben sie sich quasi selbst in der Geschichte verewigt. Lily und Lester sind ein quirliges Paar (auch wenn Comden und Green im echten Leben keins waren), das das Buch zur Faust-Revue schreiben soll. Die Figur des Regisseurs und Darstellers Jeffrey Cordova, der selbstverliebt bedeutungsschwangeres Schauspiel zelebriert, ist den Schauspielern und Regisseuren Orson Welles und José Ferrer nachempfunden.

Nachdem der Faust-Stoff zugunsten einer herkömmlichen Revue abgesägt wird, bewegt sich die Handlung in altbekannten Fahrwassern. Das ist fraglos hochwertig gemacht – Michael Kidds Choreografien sind erstklassig und auch getanzt wird hervorragend – aber der Pfiff der ersten Hälfte fehlt.

Das mag auch daran liegen, dass Cyd Charisses Figur in der Handlung wichtiger wird. Bevor sie für den Film entdeckt wurde, war Charisse Balletttänzerin. Ich will nicht mal sagen, dass sie eine schlechte Schauspielerin war, aber ihre Rollen forderten sie nicht besonders. Der Schwerpunkt lag immer beim Tanz – und das macht sie grandios. Die Liebesgeschichte zwischen Tony und Gabrielle entwickelt sich nach Schema F und ist nicht wirklich glaubhaft.

Wenn ich ehrlich bin, ist auch Astaire darstellerisch nicht sehr gefordert. Er spielt aber mit einer selbstironischen Nonchalance, die beim Zusehen viel Spaß macht. Die lustigen Sidekicks reißen es wieder raus. Nanette Fabray und Oscar Levant wirbeln als Autorenpaar Lily und Lester durch ihre Szenen und auch Jack Buchanan als eitler Schauspiel-Regie-Star ist sich keiner übertrieben Geste zu schade.

Obwohl die zweite Hälfte inhaltlich dünn ist, bietet sie toll umgesetzte Shownummern. „Triplets“ mit Fabray, Astaire und Buchanan als Babys und das finale Ballett „Girl Hunt“, eine Film-Noir-Parodie, haben mir dabei am besten gefallen. Bei letzterem verlässt Astaire sein fröhliches Stepptanz-Image und präsentiert sich als ausdrucksstarker Tänzer.

Regisseur Vincente Minnelli hat es in seinem Film bei Kostümen und Ausstattung ordentlich krachen lassen. Das hat „Vorhang auf“ ziemlich teuer gemacht und diese Kosten wurden leider nicht wieder eingespielt. Trotzdem hat der Streifen heute Klassikerstatus. Ich will an diesem Ruhm nicht zu sehr kratzen, denn alles in allem hatte ich einen kurzweiligen und bunten Fernsehabend.

 
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