Constantin Braun (Lola) © Johannes Schneider
Constantin Braun (Lola) © Johannes Schneider

Kinky Boots (2024)
Performing Arts Ahaus e.V., Ahaus

Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
 

Performing Arts Ahaus e.V. bringt mit “Kinky Boots” ein in Deutschland selten gespieltes Stück von Harvey Fierstein mit der Musik von Cyndi Lauper auf die Bühne, das inhaltlich noch nie mehr Aktualität erfahren hat als im Hier und Heute der westlichen Welt. Mutig stellen sich die Laiendarsteller Themen rund um Diversität und vermeintlichen Peinlichkeiten auf der Suche nach sich selbst. Viel Herzblut und ein tolles Zusammenspiel des gesamten Ensembles lassen die Funken sprühen und zaubern dem Publikum ein Strahlen ins Gesicht. Dass die Musik aus der Retorte stammt, fällt für die eindrucksvolle Show kaum ins Gewicht.

Es ist kaum zu glauben, dass hier eine Laienproduktion auf die Bühne gebracht wird: Mit viel Liebe und Aufwand wird ein Streben  nach Perfektion deutlich erkennbar. Allein die Liste des Kreativteams will anscheinend kein Ende nehmen.  Viele kreative Köpfe und helfende Hände wirken an Lolas schillerndem Auftritt mit. Alles wird in Eigenregie des jungen Vereins auf die Beine gestellt und die Bühne gebracht. Und es gelingt wunderbar!

Die Inszenierung beginnt mit einem Video: Szenen aus Charlies und Lolas bzw. Simons Kindheit werden gezeigt. Beide sind unter der strengen Hand der eigenen Väter aufgewachsen. Hieraus werden im Weiteren noch einige Parallelen ihrer Biografien entstehen.

Die Schuhfabrik “Price & Son” steht vor dem Konkurs, als der alte Price, dargestellt von Harald Schneider, stirbt. Widerwillig tritt Lukas Hofmann als Charlie sein Erbe an. In der Schuhfabrik erwarten ihn Retouren, die den Lagerplatz zu sprengen drohen, und Mitarbeiter, die an ihrer Arbeitsstelle festhalten und sich nicht einfach auf die Straße setzen lassen. Vielmehr setzen sie den neuen Chef unter Druck, eine Marktlücke zu finden, die sie bedienen können, um den Familienbetrieb in fünfter Generation zu retten – und damit ihre eigene Existenz. Die zündende Idee begegnet Charlie in Lola (Constantin Braun), einer Drag-Queen, die er bei einer Zufallsbegegnung vor einem nächtlichen Überfall zu retten versucht. Schließlich liefert Lola die ersehnte Lösung: Niemals seist du mehr als zehn Schritte von einer (heimlichen) Drag-Queen entfernt. Nur die Highheels, die die Last eines Mannes tragen können, müssten noch erfunden werden. Bis zur Präsentation der neuen “Kinky Boots”-Collection in Mailand gilt es jedoch noch viele Aufgaben und Konflikte zu lösen.

Unter der Regie von Anna-Theresa Schneider bekommt jedes Ensemble-Mitglied einen – seinen persönlichen Möglichkeiten entsprechend – gebührenden Auftritt. Kleinere Schwächen in Gesang und Tanz werden so weitgehend ausgebügelt. Dennoch bleiben größere gesangliche Anforderungen beispielsweise an Lukas Hofmann als Charlie bestehen, denen er mit Kopfstimme nicht immer gerecht werden kann. Er besticht indes mit enormem Engagement und vielseitigem Schauspiel – sei es in Charlies nachdenklichen Momenten oder bei seinem Auftritt in roten Overknee-Lackstiefeln am Ende. 

Die große Anzahl an Darstellern wird durch authentische Kostüme (Annika Elpers, Jessica Mrosowski, Anna Schulten) und Maske (Judith Schmitz) mit großem Aufwand, gerade bei den Outfits der Drag-Queens, in Szene gesetzt. Die Ausstattung der Fabrikarbeiter ist ebenfalls mit zahlreichen Requisiten gespickt und kann sich sehen lassen: An die 200 Schuhkartons wurden eigenhändig vom Ensemble mit dem erdachten Logo “Price & Son” gestaltet.

Das ausgeklügelte Bühnenbild ist von einem achtköpfigen Team erstellt worden. Es erstreckt sich über verschiedene Ebenen, die mit Treppen verbunden sind, und beinhaltet bewegliche Wandelemente, sodass unterschiedliche Tiefen entstehen. Einige Auf- und Abgänge der Figuren finden über den Zuschauerraum statt, sodass in dieser Zeit die Umbauten auf der Bühne überhaupt nicht auffallen.

Alles – vom einzelnen Schuh bis hin zum mit Backsteinen gestempelten Vorhang – ist mit viel Liebe zum Detail gestaltet. Selbst die Toilettentüren, die zunächst eindeutig für Männer und Frauen gekennzeichnet waren, erfahren während des Stücks eine Umgestaltung, indem beide Symbole in Darstellungen für diverse Nutzung umgewandelt werden.

Die Choreographien von Christiane Nienhaus und Julia Gravemann bewegen mit teilweise recht einfachen Schrittfolgen das gesamte Ensemble. Die Masse macht viel wett, gerade, wenn im Finale rund 35 Ensemblemitglieder – und davon immer mehr Männer in High-Heels – über die Bühne fegen. Synchron, allerdings hier und da mit vermisster Spannung in Bewegungen und Haltungen, tanzen die Darsteller sich gemeinsam ins Finale der gelungenen Show.

Die musikalische Leitung unter Simon Hassels zeugt von Betonung der Stärken des Ensembles, und die liegen eindeutig in den Chorpassagen, die sauber und vollklingend gesungen sind. Diese Passagen klingen sehr professionell!

Die meisten humorigen Momente gehen, eindeutig auch dessen Rolle geschuldet, an Constantin Braun als Lola. Beeindruckend spielt er den Wandel der zunächst so kühlen und unnahbaren Drag-Queen, die im Laufe des Stücks immer wieder die Maske fallen lässt und tiefe Einblicke in ihr Seelenleben zulässt. Gekonnt bewegt sich Braun auf hohen Absätzen im Glitzerkleid und gibt sehr authentisch sowohl die schillernde Kunstfigur als auch den sensiblen jungen Mann Simon, der auf der Suche nach sich selbst und gar nicht so selbstsicher ist, wie er als Lola eingangs scheint. Seine Solo-Gesangparts gelingen ihm im Laufe des Stücks mit zunehmend festerer Stimme.

Lukas Hofmann als Charlie und Constantin Braun als Simon/Lola geben einander Halt und berühren durch das gemeinsame Spiel um ihre sich erst entwickelnde Freundschaft. Die Chemie zwischen den beiden Darstellern stimmt einfach.

Themen wie Diversität, Fetische, die Abgrenzung von Transvestiten und Drag-Queens werden diskutiert, ohne auch nur einen Moment schlüpfrig oder anrüchig daher zu kommen. Hier findet tatsächlich Aufklärung im besten Sinne statt. Dem Ensemble gelingt es nur zu gut, seinen Figuren entsprechenden Tiefgang zu verleihen, um diese Immersivität herzustellen. Ein großes Kompliment an das gesamte Team!

Aus der Masse der Darsteller springt außerdem Sophia Heying als Lauren ins Auge. Ihr vielseitiges Spiel zeigt eine große Wandlungsfähigkeit. Der Zuschauer nimmt ihr das zunächst naiv wirkende junge Mädchen ab, ebenso wie ihre Sehnsucht nach einem Mann, den sie sich erst erobern muss, was ihr schließlich dadurch gelingt, dass sie eine gewisse Entwicklung vollzieht. Heying verleiht ihrer Figur eine eigene Tiefe und spielt und singt gefühlvoll und treffsicher ihre Parts, sodass sie mit Abstand als stärkste Dame des Abends im Gedächtnis bleibt.

Es ist offensichtlich, dass das Ensemble als gesamte Gruppe unheimlich gut funktioniert und den von Lola diktierten Sechs-Schritte-Plan vollends verinnerlicht hat: Von “Sei nicht so scheu” mit einem besonderen Augenmerk auf die zahlreichen Provokationen innerhalb des Stücks bis hin zu “Wer anders denkt, der verändert die Welt”: Spielfreude und gelungenes Backstage-Handwerk macht dem Publikum vielleicht mehr Spaß als Perfektion in allen Punkten. Die herzliche Atmosphäre belebt diesen Premierenabend.


 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
KREATIVTEAM
Musik / TextCyndi Lauper
BuchHarvey Fierstein
deutscher TextRobin Kulisch
RegieAnna-Theresa Schneider
Musikalische LeitungSimon Hassels
Tänzerische LeitungChristiane Nienhaus
ChoreografieChristiane Nienhaus
Julia Gravemann
DesignMichael Kottig
Johannes Schneider
BühnenbauJohannes Bancken
Thomas Bancken
Jan Heying
Andreas Schabbing
Kimberly Steinhagen
Judith Schmitz
Harald Schneider
Johannes Schneider
KostümeAnnika Elpers
Jessica Mrosowski
Anna Schulten
MaskeJudith Schmitz
TontechnikJonas Tenbrink
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
CAST (AKTUELL)
LolaConstantin Braun
Joshua Mels
CharlieJohannes Bancken
Lukas Hofmann
NicolaAnnika Elpers
Anna Schulten
LaurenSophia Heying
Jessica Mrosowski
GeorgeThomas Bancken
Michael Kottig
DonAndreas Schabbing
Friedrich Schulten,
PatJudith Schmitz
Kimberly Steinhagen
TrishMarina Haase
Cäcilia Heidemann
SchiriLina Dersen
Johannes Schneider
MargeAnnika Schepers
HarrySteffen Keul
Mr. PriceSteffen Keul
Harald Schneider
Richard BaileyDominik Terweh
StagemanagerinJulia Gravemann
AngelsLina Dersen
Ina Pech
Jan Heying
Johannes Schneider
Anna-Theresa Schneider
Friedrich Schulten
Sarah Terweh
Andreas Schabbing
Constantin Braun
Joshua Mels
EnsembleSarah Büst
Anna Damer
Sandra Determann
Julia Gravemann
Noelle Grimmelt
Janine Kiefer
Christiane Nienhaus
Marie Schneider
Dominik Terweh
Anna Thiemann
Darsteller Film
CharlieMichael Wittenbrink
LolaMaximilian Herwig
Lolas VaterLukas Heying
  
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TERMINE
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TERMINE (HISTORY)
Fr, 05.04.2024 19:30Stadthalle, AhausPremiere
Sa, 06.04.2024 19:30Stadthalle, Ahaus
So, 07.04.2024 14:30Stadthalle, Ahaus
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