Dónal Finn (Orpheus), Grace Hodgett Young (Eurydice) © Marc Brenner
Dónal Finn (Orpheus), Grace Hodgett Young (Eurydice) © Marc Brenner

Hadestown (seit 02/2024)
Lyric Theatre, London

Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
 

Nach einer knapp fünfjährigen Pause ist “Hadestown” zurück im West End. Das im Jahr 2019 mit acht Tony-Awards, unter anderem als Bestes Musical, für die beste Musical-Regie und die besten Originalmusik ausgezeichnete Werk, hat auch in seiner neuen Londoner Spielzeit nichts von seinem besonderen Charme eingebüßt. Neben der immer zeitlosen, mystischen Geschichte von Orpheus und Eurydike mit ihrer großartigen musikalischen Umsetzung begeistert “Hadestown” vor allem auch mit einer der wohl spielfreudigsten Cast, die derzeit auf einer West-End-Bühne zu erleben ist.

Und obgleich sich die aktuelle Inszenierung nur marginal von den vorangegangenen unterscheidet, lässt sich bei dieser Produktion eine der Entwicklungen, die das Genre Musical im Londoner West End in den letzten Jahren erlebt hat, besonders eindrücklich nachvollziehen: Beim Casting wurde nämlich offenbar dem Wunsch der Autorin der Show Anaïs Mitchell stark Rechnung getragen, “Hadestown” solle so divers wie möglich besetzet sein. Schon in der Broadway-Fassung konnte die Rolle des Hermes, dem Erzähler der Show, auch als Miss Hermes gelesen werden und damit auch mit einer Darstellerin besetzt werden. Das derzeitige Casting in London geht noch einen Schritt weiter und besetzt eine der “Fates” – der drei bösartig verführerischen Schwestern, die nur im Kopf der Protagonisten vorkommen – mit der trans Darstellerin Allie Daniels. Im Ensemble der Arbeiter von Hadestown wurde mit Beth Hinton-Lever zudem eine Frau mit einer körperlichen Behinderung gecastet.

Die Story von “Hadestown” folgt größtenteils Homers Erzählung von Orpheus und Eurydike, verlegt die Handlung allerdings in eine unbestimmte Zeit und an einen unbestimmten Ort. Für das Bühnenbild hat Anaïs Mitchell, die neben dem Buch und den Texten auch die Musik zu “Hadestown” verfasst hat, lediglich die Vorgabe gemacht, dass der Zusammenhang zur Great Depression Ende der 1920er-Jahre in New Orleans erkennbar sein solle. Das Bühnenbild von Rachel Hauck und die Kostüme von Michael Krass folgen dieser Idee.

Die Bühne ist nach hinten durch ein Halbrund begrenzt. Vor dem Bühnenhintergrund sind Stufen und verschiedene Plattformen angeordnet, auf denen während der gesamten Show links und rechts die Band sitzt. Im mittleren Wandelement befindet sich ein Balkon auf dem Hades, der in diesem Stück als ausbeuterischer und strenger Herrscher der Unterwelt ‘Hadestown’ dargestellt wird, und seine Frau Persephone den größten Teil des ersten Aktes ein Brettspiel spielend miteinander verbringen. Am ehesten erinnert der gesamte Bühnenaufbau an eine etwas heruntergekommene Spelunke. Stühle und Tische, die je nach Szene immer wieder auf die Bühne gebracht werden, vervollständigen diesen Eindruck. Zentrales (aber beinahe unsichtbares) Element der Bühne sind sich gegenläufig bewegende Drehbühnenelemente sowie ein großes, tief in den Boden versenkbares Element, durch das die Zu- und Aufgänge in die Unterwelt sehr beeindruckend stattfinden.

“Hadestown” ist mit Sicherheit keine Show der großen, spektakulären Effekte. Es sind vor allem kleine Momente, durch die in dieser Inszenierung ein besonderer Bühnenzauber entsteht – wie beispielsweise der Auf- und Abgang von Figuren oder der Wechsel von Ober- zu Unterwelt, der durch ein Auseinanderbrechen der Bühnenwände und dem Erscheinen unbarmherzig blendender Scheinwerfer verdeutlicht wird. Hier kommt vor allem dem Licht-Design von Bradley King, der mit gelungen gesetzten Spots vor allem Szenen zwischen den beiden Welten eine ganz eigene Stimmung gibt, große Bedeutung bei.

Die Musik zu Hadestown lässt sich am ehesten als eine Mischung vieler US-amerikanischer Musikstile beschreiben. Der Grundtenor ist dabei die amerikanische Folk-Musik. Es mischen sich aber viele Elementen aus Jazz, Gospel, Country und Rockmusik darunter. Da die gesamte Show durchkomponiert und ohne jegliche Sprechszenen auskommt, verschmelzen sowohl die einzelnen Songs als auch die unterschiedlichen Stile immer wieder miteinander, so dass eine ganze eigene und ganz unverwechselbare musikalische Sprache entsteht. Die während der gesamten Show über auf der Bühne sitzende siebenköpfige Band setzt die Musik treibend enthusiastisch um.

Die Besetzung von “Hadestown” in London ist bis in die kleinste Ensemble-Rolle hervorragend gelungen. Angefangen von den drei “Fates” (Bella Brown, Madeline Charlemagne und Allie Daniel), die jede einzeln für sich und auch im Zusammenspiel gleichzeitig enorm verführerisch und abgrundtief bösartig wirken, bis hin zu den fünf Darstellerinnen und Darsteller des Ensembles, die mal die geschundenen Arbeiter von Hadestown sind, mal als Zuhörer der Geschichte lauschen, die Hermes erzählt.

Melanie La Barrie ist eine wundervolle Hermes. Sie versteht es ganz hervorragend, in ihre Rolle gleichzeitig großer mütterlichen Liebe zu Orpheus einfließen zu lassen, als auch die Abgeklärtheit, bereits zu wissen, wie die Geschichte enden wird. Die der Rolle zugewiesenen gospelartigen Songs interpretiert sie derart stimmgewaltig, dass sie das Lyric Theatre zum Beben bringt.

Gloria Onitiri ist Persephone, die griechische Göttin der Fruchtbarkeit und Frau des Hades, die dazu gezwungen ist, den größten Teil der Zeit in der Unterwelt zu leben und jedes Jahr nur für einige Zeit zurück in die Welt der Lebenden darf. Onitiri stellt diese Zerrissenheit ihrer Figur auf der Bühne sehr überzeugend dar und sichert sich mit ihrem beinahe unendlich wirkendem Stimmvolumen vor allem bei ihrem großen Song “Our Lady of the Underground” den meisten Szenenapplaus.

Zachary James’ Hades ist bedrohlich und hart. Mit seiner Stimme vermag er es, die Stimmung innerhalb von Augenblicken zu wandeln. Eben noch ist er der strenge Boss und im nächsten Moment umgarnt er Eurydike mit seinem verführerischen “Hey, Little Songbird”.

Die beiden Hauptrollen der Show, Orpheus und Eurydike sind mit zwei jungen Darstellern besetzt: Grace Hodgett Young hat vor wenigen Monaten erst in “Sunset Boulevard” ihr West-End-Debüt als Betty Schafer gefeiert. In “Hadestown” darf sie jetzt ihr Talent in ihrer ersten großen Hauptrolle zeigen und liefert ab! Ihre Eurydike ist selbstbewusst und trotzdem gleichzeitig verloren in der Welt. Anfänglich macht sie sich noch über Orpheus lustig, verliebt sich dann aber nachvollziehbar immer mehr in den Träumer und seine Idee, mit seinem Song den Frühling und damit das Leben zurück in die Welt bringen zu können. Auch Dónal Finn ist im West End ein neues, frisches Gesicht. Sein Orpheus ist mit der richtigen Mischung aus Naivität und dem Wunsch, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, angelegt. Stimmlich bewältigt er die aufgrund des Tonumfangs sehr anspruchsvolle Rolle mit Leichtigkeit und singt auch die hohen Parts mit klarer, kräftiger Stimme. Im Zusammenspiel harmonieren Hodgett Young und Finn sowohl stimmlich als auch darstellerisch sehr gut miteinander.

Mit seiner zeitlosen Geschichte, seiner besonderen musikalischen Umsetzung und seiner wirklichen großartigen Besetzung schickt sich “Hadestown” derzeit dazu an, einer der neuen Hits im Londoner West End zu werden. Bereits vor der offiziellen Premiere vor einigen Wochen wurde die begrenzte Spielzeit im Lyric Theatre bis zum Jahresende 2024 verlängert.

 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
KREATIVTEAM
Musik / Buch / TextAnaïs Mitchell
InszenierungRachel Chavkin
ChoreographieDavid Neumann
BühnenbildRachel Hauck
KostümeMichael Krass
Licht DesignBradley King
Sound DesignNevin Steinberg
Jessica Paz
Musical Supervisor / Vocal ArrangementsLiam Robinson
Arrangements / OrchestrierungMichael Chorney
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
CAST (AKTUELL)
OrpheusDónal Finn
EurydiceGrace Hodgett Young
HadesZachary James
HermesMelanie La Barrie
PersephoneGloria Onitiri
FatesBella Brown
Madeline Charlemagne
Allie Daniel
WorkersLauren Azania
Tiago Dhondt Bamberger
Beth Hinton-lever
Waylon Jacobs
Christopher Short
SwingLucinda Buckley
Ryesha Higgs
Miriam Nyarko
Simon Oskarsson
  
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
TERMINE
Sa, 27.04.2024 14:30Lyric Theatre, London
Sa, 27.04.2024 19:30Lyric Theatre, London
So, 28.04.2024 15:00Lyric Theatre, London
Di, 30.04.2024 19:30Lyric Theatre, London
Mi, 01.05.2024 19:30Lyric Theatre, London
Do, 02.05.2024 14:30Lyric Theatre, London
Do, 02.05.2024 19:30Lyric Theatre, London
Fr, 03.05.2024 19:30Lyric Theatre, London
Sa, 04.05.2024 14:30Lyric Theatre, London
Sa, 04.05.2024 19:30Lyric Theatre, London
▼ 265 weitere Termine einblenden (bis 22.12.2024) ▼
 
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TERMINE (HISTORY)
Sa, 10.02.2024 19:30Lyric Theatre, LondonPreview
Mo, 12.02.2024 19:30Lyric Theatre, LondonPreview
Di, 13.02.2024 19:30Lyric Theatre, LondonPreview
▼ 81 weitere Termine einblenden (bis 26.04.2024) ▼
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