Silke Buchholz, Nelly Politt, Fenna Benetz, Antonia Schirmeister © Marco Piecuch
Silke Buchholz, Nelly Politt, Fenna Benetz, Antonia Schirmeister © Marco Piecuch

La Grande Dame (seit 03/2024)
Bürgerhaus, Radevormwald

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Mit “La Grande Dame” erzählt Oliver Garofalo vom (Er-)Leben der Marlene Dietrich. Dabei konzentriert er sich auf die innere Auseinandersetzung der Diva mit sich selbst. So kommen diverse Persönlichkeitsanteile jenseits des Vorhangs zutage. Starke Ambivalenzen im Leben der Ikone scheinen sie zu zerreißen: Marlene Dietrich wird zeitgleich von vier Darstellerinnen interpretiert, die immer wieder in Dialog und Wettstreit treten. Wie beiläufig – und doch gezielt ausgesucht und mit viel Hingabe interpretiert – wird das Schauspiel von den großen Hits des Blauen Engels begleitet.

Marlene Dietrich ist, als Person der Öffentlichkeit, bis heute ein Begriff. Oliver Garofalo geht es um den Menschen hinter der Ikone, den vielleicht zu Lebzeiten niemand so ganz mit all seinen Facetten und Verletzlichkeiten kennen lernen durfte: Da ist die verletzte Tochter, verkörpert durch Nelly Politt, die den Erwartungen der Eltern nicht entsprechen kann und zu Hause im Schatten der großen Schwester steht. Mit dieser Schwester bricht sie, auch da diese sich später mit den Nationalsozialisten solidarisiert. Marlene wird in der Öffentlichkeit zur sogenannten Vaterlandsverräterin, die amerikanische GIs an der Front moralisch unterstützt: Silke Buchholz wirkt hier als Marlene herrisch und gibt bis zuletzt, 1992, die Zügel nicht aus der Hand. Zu groß scheint die Angst, man könne erkennen, dass sie nicht nur stark und kühl, sondern auch sehr empfindsam ist. Außerdem gibt es die Kämpferin Marlene – dargestellt von Antonia Schirmacher – die es durch viel Engagement und Einsatz ihres Sexappeals bis ganz nach oben schafft, die gleichzeitig aber keine liebende Mutter zu sein vermag. Man weiß um die zahlreichen Liebschaften der Dietrich: Marlene als Geliebte, die sich nie ganz auf jemanden einlassen kann, da sie nicht gelernt hat, was Liebe ist, wird interpretiert von Fenna Benetz. Passend zu ihrer Interpretation der Marlene, gibt sie sich auffallend lasziv und flirtet mit dem Publikum (“Ich weiß nicht, zum wem ich gehöre”).

Diese vier Persönlichkeitsanteile sind miteinander verwoben, keine agiert für sich allein. Bereits in der jungen Marlene ist die Anlage zur herrisch anmutenden und kühlen Lady. Je nach Begebenheit rückt die eine oder die andere Marlene in den Vordergrund, wird dann aber von einer der anderen Interpretationen verdrängt. Die Facetten, die nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen, machen durch Zwischenrufe auf sich aufmerksam und irritieren den gerade noch dominanten Anteil.

Selbst die einzelnen Interpretationen der Marlene zeigen in sich keine gerade Linie auf: So möchte die Liebhaberin (Benetz) die Beziehung zu ihrem Geliebten zwar nicht beenden, weiß sich aber am Ende keinen anderen Ausweg, um nicht aus ihrer Rolle zu fallen.

Auf der Bühne entsteht unter der Regie von Caroline Stolz zwischenzeitig ganz bewusst  ein heilloses Chaos. Der Zuschauer wird hin- und hergeworfen zwischen den verschiedenen Ansichten und Ambivalenzen der schillernden Kunstfigur Marlene Dietrich. Am Ende überwiegt die Betroffenheit, da die Grande Dame doch innerlich so zerrissen scheint. Ein trauriges Bild, das Bestand hat, nachdem alle Maskerade beendet ist und Marlene nur noch die Einsamkeit in Krankheit und Todesnähe bleibt.

Apropos auf der Bühne – ist hinter der Bühne: Das gesamte Schauspiel findet genau genommen zwischen zwei roten Vorhängen in Künstlergarderoben statt. Eingangs treten die einzelnen Darstellerinnen während ihrer Passagen in “Lili Marleen” vor den roten Vorhang des Rheinischen Landestheaters. Als dieser dann aufgezogen und das eigentliche Bühnenbild von Nina Wronka sichtbar wird, agieren die Darstellerinnen meist im Dialog bzw. Vortrag über das Leben der Dietrich vor den Garderobenspiegeln mit jeweils einem Glas Champagner in der Hand. Mit unzähligen Kostümen bestückte Kleiderstangen bilden einen ersten Rahmen um das Bühnenbild. Die Kostüme werden während des Stücks auf der Bühne bzw. in der Garderobe selbstverständlich auch gewechselt. So kommt der Eindruck zustande, Marlene ganz nah zu sein, wenn nicht sogar durch ihre Augen zu blicken. Die Kostümwechsel und augenscheinlich unterschiedlichen Frauenbilder in Figur, Alter und Stil, verstärken den Eindruck der erschöpfenden Unstetigkeit im Leben der Dietrich.

In der Tiefe wird das Bühnenbild durch einen zweiten roten Vorhang begrenzt, sodass deutlich wird, dass die Darstellungen der Marlene solche sind, die der Öffentlichkeit eigentlich verborgen bleiben.

Einmal nur wird der Vorhang in der Tiefe aufgezogen: Die Darstellung ihres Unfalls während ihrer One-Woman-Show stellt das Ende ihres Lebens in der Öffentlichkeit dar. Die Interpretinnen kommentieren entsprechend und bis zu diesem Zeitpunkt völlig nachvollziehbar, dass sich niemand so labil zeigen möchte. Andererseits kann sie sich selbst nicht offen ihre Abhängigkeiten und Depressionen eingestehen, was sie nur noch mehr zu schwächen scheint. Die Marlenes der Show können sich immer weniger selbst ertragen. Der Teufelskreis der Abwärtsspirale wird dramatisch aufgezeigt. Auch die Töne werden immer leiser, immer seltener herrisch dominant. Das improvisierte, blind gezeichnete Clown-Make-Up der einzelnen Marlenes zeigt, dass sie sich am Ende selbst – oder der Kunstfigur, wie man sie kennt – nicht einmal mehr ähnlich ist. Die Masken funktionieren nicht, um einen Schein aufrecht zu erhalten.

Christoph König am Piano und Hajo Wiesemann an der Violine und der Gitarre begleiten die Inszenierung musikalisch von einem Aufbau am linken Bühnenrand. Die Marlenes des Abends beziehen die beiden Musiker immer wieder durch direkte Ansprache bzw. Anmache in das Stück mit ein.

Die bekannten Chansons sind neu für das Stück arrangiert. So experimentieren die Darstellerinnen während ihrer Interpretationen beispielsweise mit Tonlagen. Die Dietrich scheint sich immer wieder neu zu suchen und am Ende neu zu erfinden. Die Gesangssprache ist überwiegend deutsch, zwischenzeitig werden Liedtexte aber auch ins Englische und Französische übersetzt. Dies passt zum Lebenskontext der historischen Vorlage und der ständigen Suche nach sich selbst.

Der Finalsong “Sag mir, wo die Blumen sind”, der a cappella endet, berührt sehr, weil er so schlicht und zart, fast schwach, gehaucht wird . Alle Interpretinnen, die so stark und dominant während des Stücks auch sind, verstummen hier nach eigenen Soli. Spätestens hier bleibt vor allem eins: Mitgefühl für die Frau hinter Marlene Dietrich, die vielleicht zu sehr zu stark sein will, um wirklich glücklich zu werden.


 
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KREATIVTEAM
InszenierungCaroline Stolz
AusstattungNina Wronka
MusikChristoph König
Hajo Wiesemann
 
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CAST (AKTUELL)
M1 / Marlene / ÄrztinAntonia Schirmeister
M2 / Marlene / Mutter / Rudi / Besitzer / Maria / ÄrztinNelly Politt
M3 / Marlene / Besitzer / Liesel / Maria / ÄrztinFenna Benetz
M4 / Marlene / Besitzer / Gabin / Maria / ÄrztinSilke Buchholz
  
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TERMINE
Mi, 22.05.2024 19:30Bürgerhaus, Radevormwald
Mi, 29.05.2024 20:00Schauspielhaus, Neuss
Do, 13.06.2024 20:00Schauspielhaus, Neuss
 
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TERMINE (HISTORY)
Sa, 16.03.2024 20:00Schauspielhaus, NeussPremiere
Fr, 22.03.2024 20:00Schauspielhaus, Neuss
Di, 09.04.2024 20:00Schauspielhaus, Neuss
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