© Jörn Hartmann
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NEUE REZENSION
Ku'Damm 59 (seit 05/2024)
Theater des Westens, Berlin

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Die vier Schöllack-Frauen sind zurück im Theater des Westens und entführen das Publikum unweit des traditionsreichen Kurfürstendamms in das Jahr 1959. Die Pop-Ballade “Ich versprech Dir” bildet einen großartigen musikalischen Auftakt und lässt die Zuschauenden am Innenleben der Schwestern Monika, Helga und Eva teilhaben – und das ist alles andere als rosig.

“Das, was du willst, bekommst du nicht”, erkennen die drei und hadern mit ihrem Schicksal. Monika (Celina dos Santos) sehnt sich nach ihrem unehelichen Kind, das ihr weggenommen wurde. Helga (Pamina Lenn) wünscht sich, sie könnte mit ihrem homosexuellen Gatten Wolfgang eine liebevolle und leidenschaftliche Ehe führen. Eva (Isabel Waltsgott) will der Kontrolle und Unterdrückung durch ihren frauenverachtenden Mann Jürgen entfliehen und frei und unabhängig leben. Gesanglich, schauspielerisch und optisch harmonieren die drei Darstellerinnen sehr gut miteinander. Stimmlich sticht Celina dos Santos deutlich heraus. Es ist unglaublich, welches Stimmvolumen sie hat. Generell ist der Cast hochkarätig besetzt. Das Ensemble wartet mit großartigen Stimmen auf, und die Songs von Peter Plate, Ulf Leo Sommer und Joshua Lange sind darauf ausgelegt, dass die Sängerinnen und Sänger ihr Potential entfalten und präsentieren können. Einzig Mathias Reiser als Freddy bleibt blass, was möglicherweise jedoch nicht seinem Können, sondern dem Musicalbuch von Annette Hess anzulasten ist. Freddy ist nicht mehr der coole Rock’n’Roller und Lebemann wie im Vorgänger “Ku’damm 56”. Er leidet zunehmend unter seinen Schuldgefühlen als Holocaustüberlebender, allerdings gelingt es weder Regie noch Darsteller, Sympathien für Freddy glaubhaft zu vermitteln.

Auch wie andere Charaktere im Musical angelegt sind, wirft Fragen auf. Während David Nádvornik als Waffenfabrikantensohn Joachim, der Monika aufrichtig liebt, geradezu eine 1:1-Kopie von Sabin Tambrea (dem Hauptdarsteller in den ZDF-Filmen) ist, haben Buch und Regie sich bei der Rolle der Caterina Schöllack mehr Freiheiten erlaubt. Aus dem starken weiblichen Oberhaupt der Familie Schöllack wurde ein unsicheres und unscheinbares Mäuschen. Galant? Stilvoll? Fehlanzeige. Caterina wirkt wie ein Schatten ihrer selbst. Dass sie sich in Christa Moser verliebt, ist zwar ein Plädoyer für sexuelle Vielfalt und Selbstbestimmung, passt jedoch nicht zur Rolle der strengen, stets aufs Ansehen bedachten Mutter. (Wobei das Duett “Speer und Riefenstahl” großartig ist.) Diese Caterina hat überhaupt nichts Mütterliches mehr an sich. Im Gegenteil, auch optisch könnte sie eher eine vierte Schöllack-Schwester sein. Katja Uhligs gesangliche Leistung als Caterina ist hingegen hervorragend. Im Song “Belinda Hochreiter” vermag sie in den hohen Tönen und im Up-Tempo zu glänzen. Wer das Publikum ebenfalls zu Begeisterungsstürmen hinreißt, ist Steffi Irmer. Nach ihrem Erfolg als Amme bei “Romeo & Julia” taten Plate und Sommer gut daran, ihr in “Kudamm 59” eine Rolle auf den Leib zu schreiben. So wurde aus dem Heimatfilmproduzenten Kurt Moser im Film eine Christa Moser. Steffi Irmer lebt diese Rolle und es macht große Freude, ihr dabei zuzuhören und zuzusehen. Ihr Solo “Showbetrieb” widmet sich der Ersetzbarkeit im Showbusiness und ist ganz großes Kino: Auf einer Showtreppe präsentiert Christa Moser aufstrebende und hoffnungsfrohe Tänzerinnen, berichtet von deren Absturz (im wahrsten Sinne des Wortes!) und zeigt auf, wie der Leistungsdruck und die Angst vor der Bedeutungslosigkeit diese Frauen bis an ihre physischen Grenzen gehen lässt.

An die Grenzen gesellschaftlicher Zwänge stoßen neben den Schöllack-Schwestern auch Helgas homosexueller Ehemann Wolfgang (Philipp Nowicki) und der am väterlichen Rüstungskonzern zugrunde gehende Joachim (David Nádvornik). Tief bewegend sind die Songs “Frühling in Berlin”, “Willkommen im Erwachsensein” und “Zwischen Ost und West”.

Annette Hess hat den ZDF-Dreiteiler “Ku’damm 59” auf eine Länge von ca. zweieinhalb Stunden verdichtet. Selbstverständlich muss dafür der Rotstift angesetzt werden und müssen Kürzungen in Kauf genommen werden. Möglicherweise allerdings zum Nachteil der Menschen im Publikum, die die filmische Vorlage nicht kennen und der Handlung daher schwerer folgen können.

Im Großen und Ganzen ist “Ku’Damm 59” ein Musical, das Spaß macht und zugleich eine Vielzahl gesellschaftlich relevanter Themen enthält wie etwa die Emanzipation der Frau, Homosexualität, die 1959 ein Straftatbestand war, die unbewältigte NS-Vergangenheit, den Umgang mit den Opfern der Shoah, den Kalten Krieg und das Sich-Flüchten in Heimatfilme. Regisseur Christoph Drewitz arbeitet kongenial mit Parallelmontagen, um die Verwobenheit der Themen und die Involviertheit der Charaktere darin zu illustrieren. Den Sound liefert die Band “The Monikas”, die am rechten Bühnenrand platziert ist und ab und an präsent in die Bühnenmitte gefahren wird. Sie spielt Schlagermusik der 50er Jahre, eingängige Pop-Songs, berührende Balladen und Hymnen, zu denen das Ensemble das Tanzbein schwingt (Choreografie: Jonathan Huor). Das Bühnenbild von Katrin Nottrodt arbeitet mit vielen beweglichen Elementen, sodass in Sekundenschnelle und oft unter Mithilfe der Darstellerinnen und Darsteller eine neue Szenerie geschaffen wird: zum Beispiel das Filmset für die Produktion von kitschigen Heimatfilmen, Evas eigene Wohnung oder das Haus der Familie von Boost. Warum Eva jedoch nach dem Angriff auf sie nicht in einem Krankenbett liegt, sondern auf einem Holzstuhl sitzt wie auf einer Anklagebank, ist unverständlich. Maske und Kostüme (Esther Bialas) sind passend und zeitgemäß.

Der erste Akt ist kurzweilig und mitreißend und reiht eine fantastische Nummer an die nächste. Der zweite Akt hat spürbare Längen. Das Ende wirkt arg inszeniert und übertrieben harmoniebedürftig. Dass der gewalttätige Frauenfeind Jürgen in Monikas Traumhaus aufgenommen wird, ist absurd. Ja, die “Liebmichallee” ist Monikas Utopie, dennoch erinnert das Ende des Stücks an einen der alten Heimatfilme: Alles muss gut ausgehen. Diese rosarote Brille hinterlässt einen faden Beigeschmack.

 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
KREATIVTEAM
BuchAnnette Hess
MusikPeter Plate
Ulf Leo Sommer
InszenierungChristoph Drewitz
ChoreografieJonathan Huor
Musik und musikalische ProduktionJoshua Lange
BühnenbildKathrin Nottrodt
KostümeEsther Bialas
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
CAST (AKTUELL)
Monika SchöllackCelina Dos Santos
(Elvin Karakurt
Mareike Heyen)

Helga von BoostPamina Lenn
(Karen Müller
Lisa Radl)

Eva FassbenderIsabel Waltsgott
(Faye Bollheimer
Lucille-Mareen Mayr)

Caterina SchöllackKatja Uhlig
(Lisa-Marie Sumner)
Walk-In Caterina SchöllackKarolin Konert
Freddy DonathMathias Reiser
(Silvio Römer
Nathan Johns)

Christa MoserSteffi Irmen
(Pamina Lenn)
Walk-In Christa MoserKarolin Konert
Wolfgang von BoostPhilipp Nowicki
(Alexander Auler
Timo Stacey)

Joachim FrankDavid Nádvornik
Tobias Joch
(Alexander Hartmann
Nathan Johns)

Professor Dr. Jürgen FassbenderCusch Jung
Dominik Schulz
Walk-In Professor Dr. Jürgen FassbenderMarco Billep
Ninette RabeElvin Karakurt
Hans LiebknechtAlexander Auler
EnsembleElvin Karakurt
Mareike Heyen
Faye Bollheimer
Michaela Giade Ventura
Alexander Auler
Alexander Hartmann
Silvio Römer
Riccardo Pastore
SwingsKaren Müller
Lisa-Marie Sumner
Lucille-Mareen Mayr
Lisa Radl
Timo Stacey
Nathan Johns
Cross-SwingsLars Wandres
AJ Kingma
  
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TERMINE
Mi, 08.05.2024 19:30Theater des Westens, Berlin
Do, 09.05.2024 19:30Theater des Westens, Berlin
Fr, 10.05.2024 19:30Theater des Westens, Berlin
Sa, 11.05.2024 15:00Theater des Westens, Berlin
Sa, 11.05.2024 19:30Theater des Westens, Berlin
So, 12.05.2024 15:00Theater des Westens, Berlin
So, 12.05.2024 19:30Theater des Westens, Berlin
Di, 14.05.2024 19:30Theater des Westens, Berlin
Mi, 15.05.2024 19:30Theater des Westens, Berlin
Do, 16.05.2024 19:30Theater des Westens, Berlin
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TERMINE (HISTORY)
Mi, 01.05.2024 19:30Theater des Westens, BerlinPreview
Fr, 03.05.2024 19:30Theater des Westens, BerlinPreview
Sa, 04.05.2024 19:30Theater des Westens, BerlinPreview
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