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 Kult-Grusical
The Rocky Horror Show It's just a jump to the left
© Vincent Leifer
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Wenn Richard O’Briens rockige Parodie auf das Gruselfilm-Genre auf dem Spielplan steht, resultieren daraus Sonderschichten für das Reinigungsteam des Theaters. So auch am Theater Vorpommern, dessen kurzweilige Inszenierung von Dirk Böhling nicht nur durch tolle Darsteller, sondern auch durch die Interaktionen mit dem Publikum getragen wird.
(Text: Kai Wulfes) Premiere: | | 18.11.2017 | Rezensierte Vorstellung: | | 18.11.2017 | Dernière: | | 16.01.2020 |
Sobald sich Riff Raff und Magenta in Richtung ihres Heimatplaneten zurückbeamen, beginnt die Zerstörung. In Jakob Knapps zweigeschossigem, funktionalen Bühnenbild knicken Streben nach innen, die rückwärtigen Vorhänge werden nach oben gezogen und die herabhängenden, bunten Lichtschläuche verheddern sich. Ins durch Nebel verräucherte Chaos krabbeln auf allen Vieren Brad und Janet auf die Bühne. Verstört wirkend singen sie "Super Heroes" – den Song, mit dem sich üblicherweise die beiden heimkehrenden Aliens verabschieden. Nach dem letzten Ton schauen sich die Verlobten an, halten kurz inne und verlassen getrennt voneinander die Bühne. Ihre Beziehung existiert nicht mehr.
Mit diesem unerwartetem Schluss gibt Regisseur Dirk Böhling dem Kultmusical, das bis dahin auch am Theater Vorpommern eine überdrehte, interaktive Party zwischen Publikum und Protagonisten ist, ein überraschend bitteres Ende. Ein gelungenes Ausrufezeichen, das die routiniert-launige und zuweilen recht deftige Inszenierung krönt. Auch mit den tradierten Personencharakterisierungen bedient Böhling die Zuschauer-Erwartungen, sodass diese fetzige, humorvoll-gruselig umgesetzte "Rocky Horror Show" prächtig unterhält und einfach nur Spaß macht.
© Vincent Leifer
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Optisch punktet die Aufführung ohnehin, denn Kostümbildner Stephan Stanisic hat mit sexy Schnitten, viel Pailletten und überraschenden Accessoires bizarr-raffinierte Kreationen geschaffen, die gemeinsam mit den oft grell-bunten, opulenten Haartrachten und einem freakigen Make-up die Welt der Aliens lebendig werden lässt. Selbst die Mitglieder der in der oberen Bühnenetage positionierten, heftig losrockenden Band unter Leitung von Sebastian Undisz sind "monstermäßig" ausstaffiert.
Mit vollem, rockigen Bariton, ganz viel laszivem Charme und einer ungeheuren Bühnenpräsenz gibt Manfred Ohnoutka den Frank N. Further als abgetakelte Transe, die bis zum Schluss glaubt, aller Fäden in der Hand zu halten. Unglaublich, wie selbstverständlich und lasziv er auf den recht hohen High Heels über die Bühne schwebt und sich in der Floorshow als Glamour-Diva inszeniert. Beim anschließenden "I'm Going Home" nimmt sich Ohnoutka dann völlig zurück und berührt das Publikum, indem er Perücke und Makeup entfernt und sich mit kleinen Gesten und einer leicht zuckenden Lippe auf sein vorbestimmtes Ende vorbereitet. Eine bravouröse Leistung.
© Vincent Leifer
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Doch auch die restlichen Darsteller – mit einer Ausnahme allesamt Mitglieder des hauseigenen Schauspiel-Ensembles – sind auf den Punkt besetzt. So hält sich Dirk Löschner als stocksteifer Erzähler wacker gegen die "Langweilig!"-Zwischenrufe aus dem Publikum und erscheint wie von Geisterhand immer im genau richtigen Moment an den unterschiedlichsten Orten auf der Bühne und im Zuschauerraum. Bieder und zunächst völlig verklemmt sind auch Sarah Bonitz und Tobias Bode, deren Janet und Brad jedoch zunehmend Gefallen am lockeren Treiben der Alien-Gesellschaft finden. Ihre Stimmen harmonieren hervorragend im Duett "There's A Light", können aber auch in den Soli überzeugen.
© Vincent Leifer
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Mit tadellosen Gesang überrascht auch Stefan Hufschmidt, der als tätowierter und gepiercter Rocker Eddie auf seinem Motorrad auf die Bühne braust und mit satter Rock-Röhre "Hot Patootie – Bless My Soul" herauspowert. Marvin Rehbock gibt einen tumben, muskelbepackten Rocky, Anne Greis eine quietschige Columbia und Markus Voigt einen Dr. Scott mit bewusst sehr deutsch klingendem englischen Akzent.
Alexander Frank Zieglarski und Isabella Rapp begeistern als zwielichtig-linkisches Geschwisterpaar Riff Raff und Magenta, das auch im Gesang keine Wünsche offenlässt. Beide agieren mit bedrohlich wirkender Mimik und Gestik und sprechen mit lasziv-rauen Stimmen. Von der gastverpflichteten Musicaldarstellerin Isabella Rapp stammen auch die quirligen Choreografien, die von den Solisten und der Komparserie schwungvoll ausgeführt werden.
Auch wenn "The Rocky Horror Show" bald 45 Jahre auf dem Buckel hat – den Titel als DAS Kultmusical schlechthin macht ihr so schnell keiner streitig. Die durch und durch großartige Umsetzung am Theater Vorpommern zeigt das auf eindrucksvolle Weise.
(Text: kw)

Kreativteam
Besetzung
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| Handlung | Nach einer Reifenpanne landet das prüde Pärchen Brad Majors und Janet Weiss auf dem Schloss des exzentrischen Wissenschaftlers Dr. mehr Frank 'n' Furter. Dieser nutzt die Gewitternacht, um seinen Traumliebhaber aus allerlei Zutaten (unter anderem Körperteilen seines Ex-Gelieben) zu erschaffen. Faszniert und angewidert zugleich lassen sich Brad und Janet in die kuriose Welt ziehen und schrecken schließlich auch nicht vor sexuellen Abenteuern zurück. Die Dienerschaft hat jedoch genug von diesem rücksichtslosen Verhalten und strengt noch in derselben Nacht eine Revolte gegen den Schlossherrn an, um zum Heimatplaneten Transylvania zurückkehren zu können.
Musik und Songtexte stammen von Richard O'Brien, der häufig auch in die Rolle des Dieners Riff Raff schlüpfte. Die Premiere fand am 16. Juni 1973 im The Royal Court Theatre Upstairs, der Studiobühne des Royal Court Theatres in London, statt. 1975 wurde die Verfilmung als "The Rocky Horror Picture Show" in die Kinos gebracht.
Berühmte Darsteller der Uraufführung waren unter anderem Tim Curry als Frank 'n' Furter, Richard O'Brien als Riff Raff und Little Nell als Columbia.
In der Filmversion übernahmen diese drei ebenfalls die gleichen Rollen und verhalten dem Film zu Kultstatus. Curry und O'Brien sind heute noch das Urbild von Frank 'n' Furter und Riff Raff. Neben diesen Darstellern waren zusätzlich Meat Loaf als Eddie und Susan Sarandon als Janet zu sehen.
Die "Rocky Horror Show" wie auch "The Rocky Horror Picture Show" leben ihren Kultstatus vor allem durch die Interaktion des Publikums. Fliegender Reis, der Einsatz von Wasserpistolen, Gummihandschuhen, Zeitungshüten und rollenspezifische Kostüme sind keine Seltenheit. Ein Versuch von Richard O'Brien, die Show wieder zu einem normalen Theaterstück zu machen, scheiterte aufgrund es Widerstands des Publikums im Jahr 2007 kläglich.
Ergänzend ein kleiner Mitmach-Guide zur Bühnenversion. Bitte darauf achten, dass z.B. Wasserpistolen und vor allem offenes Feuer in Theatern ungerne gesehen sind, OpenAir sind sie meist kein Problem. Toastbrotscheiben sind meist aus hygienischen Gründen verboten.
Reis: Brad und Janet besuchen zu Beginn des Stücks die Hochzeit von Ralph und Betty. Wenn die beiden aus der Kirche kommen, darf ordentlich Reis geworfen werden.
Wasserpistolen/Zeitungen: Brad und Janet machen sich auf den Weg zu Ihrem ehemaligen Professor Dr. Scott. Dabei geraten sie in ein Gewitter. Zeit für die Wasserpistolen und Hüte aus Zeitungen.
Taschenlampe/Wunderkerzen: ... und schon wenige Sekunden später sehen sie das Schloss von Frank'N'Further. Im Song erklingt "There's a light" und Taschenlampen/Wunderkerzen unterstützen das Bild.
Tröten: Einige Zeit später hält Frank'N'Further seine Schicksalsrede und endet mit (z.B. "Ich halte den Schlüssel des Lebens in meinen Händen"). Wir nehmen sie nicht so ganz ernst und tröten los.
Gummihandschuh: Im Labor angekommen zieht sich Frank seine Handschuhe an/aus. In dem Moment, in dem er damit schnalzt, darf auch das Publikum es ihm gleich tun.
Klopapier: Frank'N'Further hat mit Rocky den für sich perfekten Mann geschaffen. Meist erscheint er wie eine Mumie und wird ausgewickelt. Was liegt näher, als mit Klopapier zu werfen? Tipp: Das Papier zunächst etwa 2 Meter abwickeln, das Ende festhalten und dann die Rolle werfen. Macht natürlich von hinten nach vorne bzw. vom Rang am meisten Spaß.
Reis/Konfetti: Wohl dem, der nicht den ganzen Reis bereits in der ersten Szene geworfen oder noch Konfetti dabei hat. Wenn Frank und Rocky in die Hochzeitsnacht entschwinden, bricht der zweite Reis/Konfettisturm los.
Glöckchen: In "Planet Schmanet" heißt es genau hinhören. Ein einziges Mal im Song kommt die Stelle "When we made it, did you hear a bell ring?". Wer das Glöckchen schnell genug gezückt hat, bimmelt los.
Spielkarten: Die Geschichte entwickelt sich nicht zu Franks Vorteil und er stimmt "I'm Going Home" an. Darin singt er auch von "Cards of Sorrow, Cards of Pain". Mit zwei Fingern wie eine Frisbee geschnippte Spielkarten fliegen besonders gut.
Mitmachspielchen im Text:
Der Erzähler unterbricht die Handlung des Stücks regelmäßig und deutet sie. Die Texte sind manchmal etwas langatmig. Da kommt ein beherztes "BORING!" (Langweilig!) gerade recht. Wann entscheidet jeder Zuschauer für sich. Unser Tipp ist, den Erzähler zunächst ein paar Sätze erzählen zu lassen, dann passt's besser als wenn er schon beim Betreten der Bühne mit "BORING!" übertönt wird.
Eddy hat kein wirkliches Glück im Stück und scheidet so viel zu früh dahin. Aber darüber spricht man nicht. Immer wenn irgendwo im Text der Name "Eddy" fällt, machen wir "Schhhhhhh...." oder "Psssssst".
Der richtige Name "Dr. von Scott" ist den wenigsten bekannt. So wird er immer nur "Dr. Scott" genannt. Den kennen wir allerdings nicht. Daher rufen wir immer, wenn "Dr. Scott" in einem Text aufkommt "Who?!" ("Huu'?").
Im Laufe der Geschichte gibt es eine Szene, die die Konzentration des Publikums auf die Probe stellt. Nämlich genau dann, wenn Dr. Scott, Eddy, Brad und Janet aufeinandertreffen.
Echte Fans kommen gerne verkleidet. Dabei stehen vor allem die Charaktere Frank'N'Further, Magenta, RiffRaff und Rocky hoch im Kurs. Eher selten sieht man einen Brad oder eine Janet. Wer sich nicht enscheiden kann, kann immer auch als Transilvanian kommen. Dabei ist fast alles erlaubt, das schräg ist. Am Besten einfach einen Blick in den Film oder die Bildersuche bei Google werfen. Geschminkte Lippen und Augen sind bei Männern keine Seltenheit und es darf auch (passend zur Rolle) Haut gezeigt werden.
Der Einsatz der Requisiten ist je nach Publikum und Theater unterschiedlich. Echte Fans haben (fast) alles dabei, andere nur Klopapier und Reis. Die meisten Theater wissen was auf sie zukommt und nehmen die Einlasskontrollen daher weniger ernst, es gab schon Aufführungen, in denen die Taschen verkleideter Zuschauer nicht durchsucht wurden, aber die der Anzugträger. Wichtig ist, die Regeln des Theaters (z.B. kein Feuer) einzuhalten. Spannend sind vor allem die Momente, in denen unwissende Zuschauer von den Ritualen überrascht werden. Die meisten nehmen es mit Humor. Beim Einsatz der Mitbringsel gillt: Gemeinsam Spaß haben steht ganz oben. Also keinen Wasserstrahl direkt in den Nacken des Vordermanns richten, nicht mit Taschenlampen in die Augen blenden usw. Wer das beherzigt, wird schnell Teil der Show und verbringt einen sehr interaktiven Theaterabend.
(Im Lexikon findet sich neben weiteren Infos auch ein Mitmach-Guide mit allen wichtigen Mitbringseln zur Show)
| Weitere Infos | (Im Lexikon findet sich neben weiteren Infos auch ein Mitmach-Guide mit allen wichtigen Mitbringseln zur Show)
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Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
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Leider keine aktuellen Aufführungstermine. |
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