Milica Jovanovic (Evita) © Nilz Boehme
Milica Jovanovic (Evita) © Nilz Boehme

Evita (2023 - 2024)
Theater, Magdeburg

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Bevor das Theater Magdeburg bei seinem nächstjährigen Domplatz-Open-Air das Experiment wagt, die selten gespielte Phantom-Fortsetzung “Liebe stirbt nie” zu zeigen, setzt es in diesem Herbst mit “Evita” noch einen wahren Stadttheater Klassiker auf seinen Spielplan. Regisseur Matthias Reichwald inszeniert die Geschichte Leben und Sterben der umstrittenen First Lady Argentiniens mit einem beeindruckend großen Ensemble und satter Ausstattung, inklusive einem von oben hereinschwebendem Balkon der Casa Rosada, dem argentinischen Präsidentenpalast.

Reichwalds Inszenierung präsentiert Eva ‘Evita’ Perón als die Heilige, für die sie bis zum heutigen Tag noch viele halten. Sei es in der Eröffnungsszene, wenn bei der Trauerfeier ein Glassarg von unten auf die Bühne fährt, in dem Evita – in Ausdruck und Kleidung an die Gottesmutter Maria erinnernd – ausgestellt wird, bis hin zur orchestralen Einleitung zu “Wein nicht um mich Argentinien”, in der Eva auf einem riesigen Balkon von der Bühnendecke heruntergelassen wird und sich vom argentinischen Volk als Heilsbringerin bejubeln lässt. Selbst der ihrem Handeln immer kritisch gegenüberstehende Che, der in dieser Inszenierung eher ein typischer Jedermann als der kubanische Revolutionär Che Guevara sein könnte, schwankt zwischen Bewunderung und Ablehnung. Erst wenn er im Song “Spendengelder fließen” die Machenschaften Evas aufdeckt, kippt seine Stimmung und er zerreißt wütend eines der Plakate, mit denen das Volk ihrer First Lady zujubelt.

Im ersten Teil der Geschichte zeichnet Reichwald Eva als kalte und berechnende Frau. Erst im zweiten Teil zeigt er dem Publikum den Mensch hinter dem Mythos. Sehr schön gelingt ihm das, wenn bei “Verlass mich nicht” Che mit einer Videokamera Eva frontal ins Gesicht filmt und dies über den gesamten Bühnenhintergrund auf einen Vorhang projiziert wird. Zum ersten Mal hat das Publikum dann den Eindruck, Eva ganz nah zu sein – und erlebt ein wahres Wechselbad der Gefühle: In einem Moment ist Eva noch strahlende Schönheit, die auf ihrer Reise durch Europa sogar dem König von England und dem Papst diktieren möchte, wie mit ihr umzugehen sei, im nächsten Moment ist sie schockiert, wenn sie beim Bürsten ihrer Haare die ersten ausfallenden Strähnen in den Händen hält. 

Die Bühne des Theaters Magdeburg bietet sich für eine große Inszenierung geradezu an. Bühnenbildner Michael Lindner nutzt mehrere große Treppenelemente, die er je nach Handlungsort immer wieder neu gruppiert. Teile davon stehen auch auf einer Drehbühne, die Ortswechsel auch innerhalb einer Szene möglich macht. Beeindruckende Bilder gelingen ihm dabei besonders bei der Montage am Ende der Show, wenn Evas Leben noch einmal an ihr vorbeizieht, ihr Sarg aber gleichzeitig schon – wie eine Ankündigung dessen, was unvermeidlich ist – auf der Bühne ist. Die Verbindung zwischen Wirklichkeit und Fiktion stellt Lindner mit Projektionen von Szenen aus dem realen Leben von Eva Perón dar. Die Kostüme der Show sind der Zeit entsprechend. Sie wirken hochwertig gearbeitet; lediglich dem Kleid Evas bei “Wein nicht um mich Argentinien” hätte ein bisschen mehr Glamour sicherlich gutgetan.

Für das notwendige Südamerika-Feeling auf der Bühne sorgt das Ballett-Ensemble des Theaters Magdeburg. Die Choreografien strotzen nur so von Energie und Lebensfreude und kann selbst den – von Natur aus eher steif agierenden – Opernchor zu dem einen oder anderen Tanzschritt verleiten. Gemeinsam mit dem Opernkinderchor und der Statisterie des Theaters ermöglichen sie tolle Massenszenen, die ein glaubhaftes Bild des argentinischen Volkes vermitteln.

Die Hauptrollen sind teils mit festen Ensemble-Mitgliedern, teils mit Gästen besetzt. An dieser Stelle wird das Manko vieler Musicalproduktionen an Stadttheatern deutlich: Rollen, werden mit klassisch ausgebildeten Sängerinnen und Sängern besetzt, die in ihrem Fach zwar tolle Leistungen bringen, im Musical dann aber in einem zu deutlichen Gegensatz zu den gastverpflichteten Musicaldarstellern stehen. Ist es bei Rollen wie der des argentinischen Präsidenten Juan Perón (Doğukan Kuran) oder des Tangosängers Augustin Magaldi (Aleksandr Nesterenko) noch rollendeckend, wenn diese mit Opernsängern besetzt sind, wirkt der – an sich schön vorgetragene – opernhafte Gesang bei “Du nimmst den Koffer wieder in die Hand”, dem Song der jungen Geliebten Peróns, die von Eva verdrängt wird, jedoch unpassend. 

Die Rolle des Che, Evitas Gegenspielers und Erzähler der Geschichte, ist mit Patrick Adrian Stamme besetzt. Er kommentiert die Geschichte mit einem Augenzwinkern, legt an den richtigen Stellen den Finger in die Wunde und vermittelt dem Publikum lange Zeit des Gefühl, dass er selbst ganz hin- und hergerissen von Eva ist. Stimmlich und tänzerisch ist er bestens ausgestattet, diese anspruchsvolle Rolle, die beinahe ununterbrochen auf der Bühne gefordert wird, zu bewerkstelligen. Sein “Spendengelder fließen” ist in der besuchten Premiere einer der Showstopper, der mit langem Szenenapplaus bedacht wird.

Alle Augen richten sich bei “Evita” natürlich auf Milica Jovanovic in der Titelrolle. Schauspielerisch legt sie eine beeindruckende Wandlung vom armen jungen Mädchen vom Dorf, das immer seine eigenen Bedürfnisse im Blick hat und jeden benutzt, um ans Ziel zu kommen, zur Nationalheiligen Argentiniens hin. Sie schafft das Kunststück, das Publikum dazu zu bringen, auf der einen Seite einen sehr kritischen Blick auf die wahre politische Figur zu werfen und auf der anderen Seite Mitleid zu empfinden für das Schicksal Evas, die bereits im Alter von 33 Jahre an einer Krebserkrankung verstarb. Auch die Stimme von Milica Jovanovic ist enorm wandelbar. In einem Moment eiskalt, wenn sie ihre politischen Forderungen diktiert, im nächsten Moment fragil und zerbrechlich, wenn sie – gezeichnet von der Krankheit – in einer Rundfunkansprache aller ihrer Ämter entsagt. Ihre Songs bleiben auch aufgrund der besonderen Stimmfarbe Jovanovics auch nach Ende der Show noch lange im Ohr. Das Zusammenspiel der Inszenierung mit dem von oben hereinschwebenden Balkon und Jovanovics Interpretation von “Wein nicht um mich Argentinien” entfaltet einen besonderen Moment von Theaterzaubers, mit dem keine fliegenden Autos oder brennende Schlösser mithalten können.

Während am Premierenabend die meisten Stimmen sehr gut ausgesteuert waren, hätte jedoch das Mikrophon von Milica Jovanovic gerne noch ein bisschen weiter aufgedreht sein können. Ihre Stimme klang in einigen Szenen recht weit in den Hintergrund gedrängt. Das Orchester unter der Leitung von Pawel Poplawski spielt mit der richtigen Mischung aus Tempo bei den schnellen Nummern der Shows wie “Bueons Aires” und Pathos bei den Donnerschlägen in Evas “Requiem”. 

Mit einer versöhnlich stimmenden Schlussszene endet Evita: Ihr Leichnam liegt aufgebahrt auf der Bühne, neben ihr kniet Juan Perón, während das argentinische Volk tieftrauernd Blumen niederlegt. Der mit dem Fahrrad gekommene Che beobachtet die Szene und hält seinen Schlussmonolog. Aus der Menge löst sich dann die junge Eva, steigt zu Che aufs Fahrrad und lehnt sich vertraut an seinen Rücken, als sie gemeinsam die Bühne verlassen. In diesem letzten Bild ist die Ambivalenz, die in Argentinien bis zum heutigen Tag gegenüber der ehemaligen First Lady herrscht, sehr schön zusammengefasst. Selbst ihr härtester Widersacher weiß immer noch nicht, was er vom Kult um Evita halten soll.

 
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KREATIVTEAM
Musikalische LeitungPaweł Popławski
RegieMatthias Reichwald
Bühne, VideoMichael Lindner
KostümTanja Liebermann
ChoreografieVolker Michl
DramaturgieMarie Julius
 
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CAST (AKTUELL)
Eva PerónMilica Jovanovic
ChePatrick Adrian Stamme
Juan PerónDoğukan Kuran
(Michael Rapke)
MagaldiAleksandr Nesterenko
GeliebteRosha Fitzhowle
Jeanett Neumeister
  
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TERMINE
keine aktuellen Termine
 
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TERMINE (HISTORY)
Sa, 11.11.2023 19:30Opernhaus, MagdeburgPremiere
Sa, 18.11.2023 19:30Opernhaus, Magdeburg
So, 26.11.2023 16:00Opernhaus, Magdeburg
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