Fusion als Chance

Jörg Gade, Intendant der Landesbühne Hannover, über mutlose Kollegen, Musical-Verkaufsstrategien und den geplanten Zusammenschluss mit dem Stadttheater Hildesheim.

„Das Apartment“, „Babytalk“, „Alexis Sorbas“, „100 Jahre HiopHop“, „I love you, you’re perfect…“ (unter dem deutschen Titel „Nimm mich, lieb mich, ändere dich“), „Harry und Sally“ – die Landesbühne Hannover hat in den vergangenen Jahren mit ihrem ungewöhnlichen Musical-Repertoire auf sich aufmerksam gemacht. Für die Spielzeit 2006/07 hat sie die deutschsprachige Erstaufführung von „Männersache“, nach dem Film „Männer“ von Doris Dörrie, angekündigt. Jörg Gade leitet das Reisetheater seit Juli 2004. Im Sommer 2007 soll die Landesbühne unter seiner Leitung mit dem Stadttheater Hildesheim fusionieren.

Herr Gade, auf dem Branchentreffen „Circle 2005“ hat einer der Teilnehmer gesagt: „Es gibt seit 100 Jahren Musicals, und die meisten Intendanten kennen gerade mal fünf.“ Stimmt diese Diagnose?

Leider ja. Viele Intendanten begreifen Musicals als einen anderen Weg, die Operettenposition im Spielplan zu füllen. Die Bereitschaft, im unterhaltenden Musiktheater ein Risiko einzugehen, ist sehr gering. Da gilt oft der Satz: Mit dem Musical beruhige ich die Zuschauer, die ich mit dem modernen Stück verschreckt habe. Das Musical sehr viel mehr kann, ist in den Köpfen nicht drin.

Die Landesbühne spielt seit Jahren weder „My Fair Lady“ noch „Kiss me, Kate“, „Cabaret“, „Jesus Christ Superstar“ oder die „Rocky Horror Show“. Wollen Sie keinen Erfolg haben?

Wir haben damit Erfolg. Mein Vorgänger, Gerhard Weber, hat angefangen, Musicals abseits des üblichen Stadttheater-Repertoires auszuwählen. Das setze ich gerne fort. Wir wollen das Musicalrepertoire erweitern – das ist der Anspruch. Aber natürlich muss jedes Stück für eine Landesbühne machbar sein – in kleinerer Besetzung und mit der Band auf der Bühne, weil die meisten unserer Bespieltheater keinen Orchestergraben haben.

Ihre Produktionen müssen sich nicht nur in Hannover, sondern auch in Orten wie Hankensbüttel, Hemmingen und Holzminden verkaufen. Geht das auch mit unbekannten Stücken?

Das ist in der Tat nicht einfach. Als Landesbühne müssen wir schon eineinhalb bis zwei Jahre vor der Premiere die Kulturdezernenten und Kulturvereinsvorsitzenden in den Gastspielorten von unserem Programm überzeugen. Der Erfolg hängt stark von dem Geschick desjenigen ab, der es verkauft. Man muss ein Stück auf einen Aspekt, auf wenige, interessante Sätze zuspitzen können. Diese Werbebotschaft muss man sich vorher gut überlegen. Bei „Harry und Sally“ hat natürlich der bekannte Film viel geholfen. Bei „Nimm mich, lieb mich…“ war es das Schlagwort „gesungener Beziehungsratgeber“. Auch der witzige deutsche Titel – über den wir eigentlich gar nicht so glücklich sind, weil er weniger transportiert als der Originaltitel – hat viel zum Erfolg dieser Produktion beigetragen. Als eine der wenigen Shows nehmen wir „Nimm mich, lieb mich…“ in der kommenden Spielzeit wieder auf.

Im Herbst inszenieren Sie „Männersache“, die deutschsprachige Erstaufführung von „The thing about men“ der „I love you“-Autoren Joe DiPietro und Jimmy Roberts. Das Musical basiert auf dem Film „Männer“ von Doris Dörrie. Steht beim Verkauf der Film im Mittelpunkt?

Ja, aber auch die Einstiegssituation lässt sich gut vermitteln: Ein Mann steht auf dem Höhepunkt seines Lebens, hat alles was man braucht – Karriere, Frau, Kinder und eine Geliebte. Doch als er erfährt, dass auch seine Frau eine Affäre hat, bricht für ihn eine Welt zusammen. Wenn man das erzählt, weckt das gerade bei weiblichen Gesprächspartnern eine gewissen Häme…

Sie spielen derzeit Musicals aus den USA und aus Spanien. Kann man auch mit deutschen Autoren Erfolg haben?

Wir haben da in der Vergangenheit sehr gute Erfahrungen gemacht. Unsere Sommer-Open-Air-Produktion „Sommernachtstraum“ von Heinz-Rudolf Kunze und Heiner Lürig geht jetzt in die vierte Saison. „Babytalk“ von Thomas Zaufke und Peter Lund war als Studio-Produktion ein Erfolg, und auch „Hundertwasser“ von Konstantin Wecker und Rolf Rettberg, das wir in Uelzen realisiert haben, war nicht so ein großer Flop, wie das heute mancher in seiner Erinnerung gespeichert hat.

Für den „Sommernachtstraum“, den sie im Gartentheater Herrenhausen und an verschiedenen Gastspielorten spielen, ist für diesen Sommer die letzte Saison angekündigt. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Kunze und Lührig als Nachfolgestück eine Musicalfassung von Shakespeares „Was ihr wollt“ schreiben.

Es ist richtig, dass Kunze und Lührig für uns an einer Musicalversion von „Was ihr wollt“ arbeiten. Allerdings wird das Musical unter dem Titel „Kleider machen Liebe“ herauskommen. Was den „Sommernachtstraum“ betrifft: In Herrenhausen spielen wir jetzt erstmal die letzte Saison. Aber wir halten uns die Option offen, das Musical zu einem späteren Zeitpunkt wieder auszugraben – oder 2007 auf Tournee zu schicken.

Im Sommer 2007 fusionieren die Landesbühne und das Stadttheater Hildesheim unter Ihrer Leitung zum „Theater für Niedersachsen“. Ist das wirklich, wie die Fachpresse überrascht feststellt, „die erste Theaterfusion, die alle wollen“?

Man muss ganz klar sagen: Nach der Fusion wird es in Niedersachsen ein produzierendes Theater weniger geben. Das tut uns als Theatermachern natürlich weh. Trotzdem sehen beide Theaterleitungen die Fusion als Chance, weil aus zwei strukturell schwachen Theatern ein starkes entsteht. Wir werden zwei Aufgaben haben: ein Stadttheater für Hildesheim zu sein – und eine Drei-Sparten-Landesbühne. Das besondere an der Fusion ist, dass die künstlerischen Ensembles gestärkt werden.

Aber es wird nach der Fusion weniger angestellte Künstler geben als vor der Fusion.

In der Summe ja, aber die Ensembles für sich wachsen. Zum Beispiel im Schauspiel: Derzeit haben wir in Hildesheim elf, in Hannover zwölf Schauspieler. Das „Theater für Niedersachsen“ wird 18 Schauspieler beschäftigen – da ist künstlerisch mehr möglich als vorher. Die Hauptmusik bei den Einsparungen liegt in der höheren Vorstellungszahl. Wenn eine Hildesheimer Produktion derzeit 15 Vorstellungen hat, werden es künftig 15 in Hildesheim, zehn in Hannover und 20 in der Region sein. Und anderswo wird das Personal sogar aufgestockt. Derzeit hat Hildesheim eine achtköpfige Tanzkompanie, wir gar keine. Daraus entsteht eine Musicalkompanie mit 14 Darstellern – meines Wissens sind wir das erste subventionierte Theater in Deutschland mit einer eigenen Musicalsparte.

Welche Aufgaben soll diese Musicalkompanie erfüllen?

Wir wollen pro Spielzeit drei Musicals spielen – ein Bandmusical, ein Orchestermusical und eine Freiluftproduktion – bei der alle wichtigen Rollen aus der Musicalkompanie besetzt werden sollen. Zudem gestaltet das Ensemble einen Tanzabend und übernimmt die Aufgaben, die ein Ballett an einem Drei-Sparten-Haus hat – also etwa den Tanzauftritt in der „Fledermaus“. Die Musicalkompanie ist bei Musicaldarstellern auf großes Interesse gestoßen. Ich weiß aus persönlichen Gesprächen, dass viele lieber als eine Ensuite-Produktion ein wechselndes Repertoire spielen wollen.

Overlay