„Rebecca“, „Blaubär“ und „Schöne Neue Welt“ erstmals als Musicals, „Dirty Dancing“ als Kassenschlager, ein Volksmusik-Moderator als Tod, ein Castingshow-Gewinner als Alfred, Rechtsstreitigkeiten und zwei 20. Geburtstage: Das Musical-Nachrichtenjahr 2006 im Schnelldurchlauf.
Januar: Kleines oder großes Recht? Der Verlag Bloch Erben lässt „Hartz IV“ am Dresdner Staatsschauspiel stoppen, weil in die Show Songs aus bekannten Musicals eingebunden sind. Das Theater beklagt „kunstfeindliche Gesinnung“, der Verlag wirft dem Theater dagegen in der Musicalzentrale vor, nur auf Publizität durch das Gerichtsverfahren aus zu sein. Dem Theater und der Komödie am Kurfürstendamm drohen die Schließung, nachdem ihnen der Mietvertrag für die Immobilie gekündigt wurde. In München zeigt das Amateurensemble „Show ab“ die deutschsprachige Erstaufführung der Off-Broadway-Show Bat Boy. Die CD-Fachhändler von „Sound of Music“ kündigen eine eigene Konzertreihe in Oberhausen an. Titel: Musicalstars in Concert.
Februar: „Pinkelstadt“ im Doppelpack: Nach der deutschen Erstaufführung im Berliner Schlossparktheater starten im Februar die Produktionen zwei und drei – auf deutsch in Chemnitz und auf englisch in Stuttgart. In Leipzig zeigen Absolventen der staatlichen Musical-Schulen in einer sechsstündigen Show ihr Können. Die Rent-Produktion am English Theatre Frankfurt wird wegen guter Zuschauerresonanz um zwei Wochen verlängert. Nach dem Probelauf 2004 in Köln startet die Stage Entertainment in München ihr Gala-Programm Best of Musical erstmals als Tournee durch große Hallen in Deutschland und Österreich. Derweil übernimmt Wietske van Tongeren in Stuttgart die Rolle der Elisabeth von Maike Boerdam.
März: Die Stage Entertainment verzichtet bei der Europapremiere von Dirty Dancing in Hamburg weitgehend auf Live-Gesang und eine Theateradaption des Films. Aus der Fachwelt und vom Musical-Stammpublikum gibt es dafür Kritik, aber die Kassen klingeln – die Show bricht Vorverkaufsrekorde und erzielt auch im weiteren Verlauf sehr gute Auslastungen. Die Produzenten des Überraschungserfolgs „Bonifatius“ stellen ihr neues Projekt vor: Elisabeth – Der verhängnisvolle Traum von Liebe soll im Sommer 2007 in Eisenach gezeigt werden. In Bremen wird bekannt, dass Andrea Friedrichs nicht, wie von ihr angestrebt, das Musical-Theater Bremen übernimmt. Laut der örtlichen Tageszeitung hatten andere Tourneeveranstalter damit gedroht, das Haus in diesem Fall nicht mehr zu bespielen. Roger Whittaker erklärt, dass er an einem Musical über eine mystische Stadt im Süden Afrikas arbeitet.
April: Mit einer „Cats“-Jubiläumsvorstellung in München wird der 20. Geburtstag der Sparte Ensuite-Musicals in Deutschland begangen – Anlass für Zwischenbilanz. Auch Linie 1 in Berlin feiert seinen 20. Geburtstag. Hardy Rudolz geht mit dem Tanzschul-Musical Immer montags – Cha Cha Cha auf Tournee, bevor er im Sommer als Walk-In-Cover für diverse Rollen zu Dirty Dancing wechselt. In Paderborn erlebt das ursprünglich für Anna Montanaro geschriebene Mädchen Rosemarie seine zweite Produktion. Die Rent-Verfilmung mit Idina Menzel kommt in Deutschland, von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, in die Kinos. Das wegen schwacher Zuschauerzahlen in Bedrängnis geratene Musical Ludwig² in Füssen trennt sich von seinem künstlerischen Leiter Klaus Naseband, verpflichtet keine Gaststars mehr und verzichtet später auch auf Live-Musiker. Der Boulevard und die Feuilltons geraten in Aufregung, als Dieter Bohlen ankündigt, ein Musical über sein Leben zu schreiben. Wolfgang Adenberg arbeitet an einer neuen „Rent“-Übersetzung und lässt sich dabei von der Musicalzentrale über die Schulter gucken.
Mai: Der Titelheld sagt kein Wort: In Berlin feiert das Zaufke-Lund-Musical Held Müller mit viel schwarzem Humor seine Uraufführung. Leichter verdaulich ist das neue Stück im Hamburger Schmidt-Theater: Emmi, die Salome vom Spielbudenplatz. Stargast Ingolf Lück gibt bei der Oberhausener Die Schöne und das Biest-Produktion den Kerzenleuchter ab, Paul Kribbe übernimmt die Rolle. Elmar Ottenthal verschiebt das in der Steiermark geplante Excalibur-Musical auf 2007. Letzter Vorhang im Schlossparktheater: Am 28. Mai endet die Spielserie von „Non(n)sens“ (zum Schluss mit einer männlichen Cast), unmittelbar vorher wird bekannt, dass Intendant Andreas Gergen das Haus verlässt. Die Pläne der Stage Entertainment, in Berlin-Steglitz ein „kleines Haus“ zu etablieren, sind damit gescheitert, bis zum Jahresende gibt es keinen Spielbetrieb mehr. Unterdessen wird bekannt, dass die Stage Entertainment für 2008 die Deutschlandpremiere des neuen Disney-Musicals Tarzan plant. Die Vereinigten Bühnen Wien teilen mit, dass sie durch die Umwidmung des Theaters an der Wien in ein Opernhaus in finanzielle Bedrängnis geraten sind.
Juni: Les Misérables kommt erstmals in deutscher Sprache auf eine Open-Air-Bühne. Die Tecklenburger Produktion wird – trotz zahlreicher krankheitsbedingter Ausfälle – zu einer der meistgelobten Produktionen des Jahres. Generell starten die Freilichtbühnen aber in eine schwierige Saison: Im Juni ist es für die Jahreszeit noch viel zu kalt, der August ist weitgehend verregnet. Zahlreiche Vorstellungen fallen aus. Im warmen Juli haben die Theater in Deutschland zudem starke Konkurrenz durch die Fußball-WM. Auf großes Medienecho stößt die Ankündigung der Produzentin und Regisseurin Sabine Otto, in Berlin in großer Produktion eine Musicalfassung des Stummfilms Metropolis auf die Beine zu stellen. Bis zum Jahresende gibt es dazu allerdings keine weiteren Neuigkeiten. Die „Dirty Dancing“-Rechteinhaber lassen eine geplante Tournee unter dem Titel „Dirty Dance Fever“ stoppen. Die Kieler Konzertdirektion Gerhartz benennt die Show zunächst in „Dancing Dirty“ um, zum Tourneestart heißt sie dann „Dance Fever“. Nach dem Erfolg mit „Rent“ kündigt das English Theatre an, künftig verstärkt auf Musical zu setzen.
Juli: Die Produzenten von „Ludwig²“ kündigen eine Winterpause von November bis April für die Musicalbespielung des Festspielhauses Neuschwanstein an. Da das Musical allein das Haus nicht tragen könne, sollen Gastspiele, Kongresse und Tagungen das Haus füllen. „Bonifatius“-Produktionsleiter Michael Weiss und die deutsche Ur-Eliza Karin Hübner sterben im Juli. Premieren-Elisabeth Pia Douwes übernimmt in Stuttgart noch einmal den Part der Kaiserin. Eine weitere Phantom der Oper-Version ohne Musik von Andrew Lloyd Webber geht auf Tournee. Die Rolle der Christine übernimmt Deborah Sasson, die Ex-Frau des Ex-Webber-Phantoms Peter Hofmann.
August:Für das Hamburger Operettenhaus wird ein Klaus-Maria Brandauers Inszenierung der Dreigroschenoper mit Tote-Hosen-Frontmann Campino und Katrin Sass im Berliner Admiralspalast wird von der Kritik eher verhalten aufgenommen. Mit dem 25-jährigen Christian Müller wird (laut Theater) „das jüngste Phantom aller Zeiten“ Erstbesetzung im Essener Colosseum. Im Wiener Museumsquartier kommen zum Mozartjahr Die Weberischen in einer ungewöhnlichen Inszenierung und Besetzung (u. a. mit Ruth Brauer und Eva Maria Marold sowie einem männlichen Hauptdarsteller als Mutter Weber) auf die Bühne. Kritisch diskutiert wird die Entscheidung der Stage Entertainment, Volksmusikmoderator Florian Silbereisen für ein Gastspiel als Tod in „Elisabeth“ zu verpflichten.
September: Premiere des Jahres: Rebecca von Michael Kunze und Sylvester Levay kommt im Wiener Raimund Theater auf die Bühne. Trotz einiger Reminiszenzen an „Mozart!“ und „Elisabeth“ kann das Stück mit seiner eindrucksvollen Darstellerriege (herausragend bewertet: Susan Rigvava-Dumas und Uwe Kröger) und einer dichten Inszenierung auch bei der Kritik punkten. Das Konzert mit Elaine Paige wird nach schleppendem Kartenverkauf (mutmaßlich aufgrund mangelnder Werbung) abgesagt. Brigitte Oelke, die Killer-Queen der Kölner „We Will Rock You“-Inszenierung, kündigt ihren Wechsel in die Züricher Produktion des Stückes an. Ihr folgen einige weitere Darsteller aus der Domstadt. Lovette George, die Pearl auf der Bochumer „Starlight Express“-CD, stirbt an Krebs. Pro 7 zeigt die US-Fernsehproduktion „High School Musical“ erstmals im deutschen Free-TV. Veranstalter Arena schickt eine mit West-End-Darstellern besetzte „Rent“-Tournee durch die Hallen und Theater deutscher Kleinstädte, von der aber zahlreiche Vorstellungen mangels Nachfrage abgesagt werden. Die Stage Entertainment kündigt unter großer Anteilnahme des Fachpublikums an, 2007 das Hexen-Epos Wicked nach Deutschland zu holen. In Stuttgart fällt der letzte Vorhang für Elisabeth.
Oktober:In Köln kommen nach einer Premierenverschiebung „Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär“ auf die Bühne eines mobilen Zelttheaters, das anschließend u. a. in Frankfurt und Hamburg Station machen soll. Doppelschlag: Die vom ehemaligen Hauptdarsteller John Cashmore produzierte Neuauflage von „Gaudi“ wird als Tourneedoppelpack mit der James-Bond-Eigenproduktion „Licence 4 Two“ vorgestellt. Das Pfalztheater Kaiserslautern bringt den selten gespielten Andersson/Ulvaeus-Klassiker „Chess“ in deutscher Sprache auf die Bühne. Das Stadttheater Braunschweig lässt in einer Sonderaktion das Publikum über den Ticketpreis für ihre „Kiss me, Kate“-Produktion bestimmen. Volker Ludwig, der Autor von „Linie 1“, zeigt sein neues Musical Schöne Neue Welt im Berliner Grips-Theaters und spricht mit der Musicalzentrale auch über den anhaltenden Erfolg des U-Bahn-Musicals.
November: Die Stage Entertainment verkündet kurz nacheinander die Schließµng beider „Mamma Mia“-Produktionen in Hamburg und Stuttgart, um die Theater für neue Produktionen frei zu bekommen. Im darauf folgenden Show-Roulette ergeben sich das Udo-Jürgens-Musical „Mit 66 Jahren“ (Arbeitstitel) für das Hamburger Operettenhaus und „Wicked – Die Hexen von Oz“ für die Stuttgarter Theater als wahrscheinlichste Bespielungslösungen. Die „3 Musketiere“ werden in einer leicht überarbeiteten Fassung in Stuttgart wieder aufgelegt. Pia Douwes übernimmt wieder die Rolle der Milady de Winter, an ihrer Seite spielt Ethan Freeman als Kardinal Richelieu. Die Produktion übertrifft beim Kartenverkauf die Erwartungen der Macher. In München kommt die Budapester Mozart!-Produktion mit Patrick Stanke in der Titelrolle und Caroline Vasicek als Nannerl auf die Bühne. Musicaldarsteller Wolfgang de Marco kündigt für 2007 die Uraufführung seines Musicals Brave Heart mit Musik des amerikanischen Komponisten Todd Schroeder im Bremer Musicaltheater an.
Dezember: Direkt anschließend an das „Mozart!“-Gastspiel kommt im Deutschen Theater in München Die Schöne und das Biest in der Version von Martin Doepke auf die Bühne. Die Hauptrolle übernimmt erneut Patrick Stanke. Die Berliner Produktion von Tanz der Vampire feiert Premiere im Theater des Westens. Neben Thomas Borchert, der wie schon in Hamburg als Graf von Krolock zu sehen ist, spielt Ex-Superstar Alexander Klaws als Alfred und erregt die Gemüter der Fans. Entgegen anderslautenden Befürchtungen entpuppt sich das für das TdW zum Teil neu angefertigte Bühnenset nicht als tourneekompatible Sparvariante. In Zürich kommt im neu gebauten Theater 11 „We Will Rock You“ in einer speziell auf die Schweiz abgestimmten Version auf die Bühne. Drei auf einen Streich: Die Stage Entertainment gibt bekannt, dass „Mamma Mia!“ ab Frühjahr 2007 „Das Phantom der Oper“ im Essener Colosseum ablösen soll. Damit werden kurzzeitig gleichzeitig drei Produktionen des ABBA-Musicals in Deutschland zu sehen sein. Daddy Cool, das Boney M.-Musical, wird nun für 2007 und eine dreimonatige Spielzeit in einem Zelttheater neben dem Berliner Ostbahnhof angekündigt. Ziel, so Produzent Frank Farian, sei, den Erfolg von „Mamma Mia!“ zu übertreffen. Musicaldarsteller Heiko Stang will das seit der Schließung im Mai leer stehende Schlossparktheater übernehmen. In Greifswald wird „Der kleine Horrorladen“ in einer musikalischen Punk/Ska-Version gespielt. Die Produzenten von „Elisabeth – Der verhängnisvolle Traum von Liebe“ stellen mit Sabrina Weckerlin und Chris Murray die Hauptdarsteller der Uraufführung in Eisenach vor. Im Hamburger Operettenhaus bringt Musicaldarsteller Frank Logemann sein Projekt Tosca als Try-Out auf die Bühne. Mit einem Paukenschlag überrascht die Stage Entertainment kurz vor Jahresende mit zwei Ankündigungen die heftig spekulierende Fachwelt: In den nächsten Jahren will sie Musicalversionen von „Die Unendliche Geschichte“ und „Der Schuh des Manitu“ produzieren. Weniger überraschend ist dagegen die endgültige Bestätigung der Udo-Jürgens-Musical-Planung und die erneute Ankündigung des Mauer-Musicals „Wind of Change“.