Big Business

In künstlerischer Hinsicht bietet das Broadway-Jahr 2007 kaum Neues. Frischer innovativer Wind, z.B. vom Off-Broadway bleibt aus. Stattdessen dominieren Schlagzeilen über wirtschaftliche Entscheidungen.

Zehn Musicals sind im Laufe des Jahres 2007 (mindestens im Preview-Status) am Broadway eröffnet worden, mehr als die Hälfte davon mit guten bis sehr guten Auslastungszahlen. Ein finanzieller Erfolg dürfte also in vielen Fällen zu erwarten sein, aber wie sieht es mit Erfolgen in künstlerischer Hinsicht aus?
Die größte Gruppe der neuen Produktionen machen die Film-Adaptionen aus. Vier Film-Komödien haben eine Umsetzung auf Broadway-Bühnen erfahren. Alle vier bieten leichte Unterhaltung: Einfach zurücklehnen, lachen und für 90 bis 150 Minuten den Alltag vergessen! Das poppige und pinke „Legally Blonde“ öffnet im April die Pforten, zum Entsetzen der Kritiker und zur Freude der (zumeist weiblichen) Teens und Twens. Die Generation, die die (vermeintliche) Nichtskönnerin Paris Hilton zum Superstar gemacht hat, strömt in Scharen ins Palace Theatre. Aber schon wenige Monate nach der Premiere lässt der Kartenvorverkauf nach und die Werbestrategen versuchen die Zielgruppe über MTV zu erreichen. Zum ersten Mal wird die komplette Aufzeichnung einer Broadway-Show im Fernsehen während ihrer unbegrenzten Laufzeit ausgestrahlt. Der Musik-Sender zeigte sich zufrieden, die Erstausstrahlung hatte in der Gruppe der 12-34-Jährigen einen höheren Marktanteil als jedes andere zeitgleich ausgestrahlte Programm. Doch hat das Experiment auch der Broadway-Produktion genützt? In den letzten Monaten des Jahres liegt die Auslastung des Stückes deutlich niedriger als z.B. im Sommer. Tendenz eher abwärts!
Dass es im Juli zur „Xanadu“-Premiere kommt, darf schon als Überraschung gewertet werden. Der Film: ein finanzieller und künstlerischer Totalflop! Der renommierte Autor Douglas Carter Beane nahm sich aller Unkenrufe zum Trotz des Drehbuchs an und siehe da, mit vielen Änderungen hat er eine locker-leichte lustige Komödie aus der Vorlage gemacht, die erst einmal bejubelt wird. Doch schon 2-3 Monate nach der Premiere zeigt sich, dass es nicht so einfach ist, für die alles andere als gehaltvolle, nur 90-minütige Show die vollen broadway-üblichen Preise zu bekommen. Im Dezember ist das kleine Theater nur noch gut halb voll.

„Young Frankenstein“ und „Little Mermaid“ öffnen zum Ende des Jahres ihre Pforten. Beide müssen sich dem Vergleich mit schier übermächtigen Vorgängern stellen. Ersten Bildern zufolge ist das neue Disney-Musical längst nicht so kreativ ausgestattet und inszeniert, wie der Löwenkönig; wie lange sich die glänzende Auslastung der Vorweihnachtszeit (durchschnittlich 99%) halten kann, ist eine der spannenden Fragen des Jahres 2008. Das „Young-Frankenstein“-Kreativteam hatte mit „The Producers“ vor sieben Jahren einen Riesenerfolg gelandet, so dass der Erwartungsdruck kaum größer hätte sein können. Die mehrheitliche Meinung der Zuschauer und Kritiker befindet „Young Frankenstein“ für deutlich weniger gelungen als den Vorgänger. Hauptproblem scheint zu sein, dass die (eher durchschnittlichen) Songs die Handlung nicht wirklich voranbringen.
„Young Frankenstein“ gerät aber auch schon vor der Premiere durch zwei wirtschaftliche Entscheidungen ins Gerede. Im Juni wird mit 450 Dollar pro Eintrittskarte am Freitag bzw. Samstag eine neue Höchstmarke für Premium Tickets festgelegt. Wohlgemerkt, es geht dabei nicht um einen VIP-Service vor, nach oder während der Show, sondern nur um die vermeintlich besten Plätze des Theaters. Da für Hitshows der Schwarzmarkt blüht, wollen die Produzenten dabei nicht nur zusehen. Wer also bereit ist das Zwei- bis Vierfache für die besten Plätze auszugeben, soll es doch bitte an sie bezahlen statt an illegale Zwischenhändler. Zuerst einmal schluckt der Konsument angesichts eines Preises von 450 Dollar, doch es scheint eine ganze Menge Leute zu geben, die diese Summe ohne zu zögern bezahlen. Ansonsten würde sich das Ganze wieder zurückentwickeln. Kein Produzent lässt auf Dauer die besten 100 Plätze leer, wenn drumherum alles vollbesetzt ist.
Die zweite aufsehenerregende Entscheidung: „Young Frankenstein“ ist das erste Stück, das mit der freiwilligen Regelung, die wöchentlichen Einnahmen zu veröffentlichen, bricht. Anhand der veröffentlichten Liste kann jeder Interessierte sofort überblicken, ob eine Show ein wirklicher Hit ist. Es ist zu befürchten, dass zukünftig auch für weitere Produktionen die Zahlen zurückgehalten werden. Das wäre schade für die interessierte Öffentlichkeit, aber aus Sicht der Produzenten, die sich z.B. während des Bühnenarbeiter-Streiks immer wieder für die hohen Einnahmen rechtfertigen mussten, ist nachvollziehbar, dass die Veröffentlichung der Daten nicht unbedingt ihrem Interesse entspricht.

Erstaunlich wenige Revivals und Compilationshows bietet das Broadway-Jahr. Zwei „richtige“ Revivals (das auch in dieser Saison wieder erfolgreiche „Grinch“-Weihnachts-Musical kann eher als jährlich wiederkehrende Produktion gezählt werden) gibt es mit „Grease“ und der von vornherein auf zweieinhalb Monate begrenzten Produktion „110 in the Shade“. „Grease“ bietet nun endlich auch dem amerikanischen Publikum die Möglichkeit per Tele-Voting die Hauptdarsteller zu wählen. Nicht nur die Fernsehshow ist ein Erfolg, auch die Bühnenproduktion wird gut besucht. Also, alles im grünen Bereich? Nicht ganz – kritische Stimmen werden laut, die den Siegern der TV-Show, Laura Osnes und Max Crumm, zwar ganz passable Stimmen, aber darüber hinaus nicht im entferntesten die Ausstrahlung attestieren, die ein Broadway-Hauptdarsteller eigentlich besitzen sollte. „110 in the Shade“-Hauptdarstellerin Audra McDonald ist hingegen ein wirklicher Broadway-Star mit schauspielerischen Fähigkeiten, einer bemerkenswerten Stimme und umwerfender Ausstrahlung. Ihr alleine ist zu verdanken, dass das ansonsten belanglose Revival überhaupt Erwähnung findet.
Das Compilation-Genre hat mit „Jersey Boys“ und „Mamma Mia!“ zwar immer noch zwei äußerst erfolgreiche Vertreter im Rennen um die Zuschauergunst, nach den Flops des letzten Jahres sind die Verantwortlichen inzwischen vorsichtiger geworden. Keine einzige Neuheit auf diesem Gebiet findet sich in diesem Jahr am Broadway.
Denn einen Brecht-Abend mag wohl niemand wirklich als Compilation bezeichnen… „LoveMusik“ ist die einzige Premiere, die bekannte Songs in eine neue Handlung einfügt. Mit exquisiten schauspielerischen Leistungen unter Regie-Altmeister Harold Prince und einer fast schwermütigen Handlung steht dieses Drama über Bertolt Brecht und Lotte Lenya fast wie ein Außenseiter in der Reihe der Premieren.
Weitere Altmeister meldeten sich mit „Curtains“ und „The Pirate Queen“ am Broadway zurück. „Curtains“ kommt von John Kander und Fred Ebb. Die altmodisch angehauchte Krimikomödie bietet einen vergnüglichen Theaterabend ohne wirklich innovative Ideen. Aber eine gesunde Auslastung von über 80% spricht für sich.
„The Pirate Queen“ sollte das Comeback des „Les Misérables“-Teams Alain Boublil und Claude Michael Schönberg einläuten. Aber schon in den letzten Jahren zeigte sich, wie schwer es dramatische Pop-Opern momentan am Broadway haben. Das unausgegorene Buch trägt seinen Teil dazu bei, dass „Pirate Queen“ der Flop des Jahres wird.

Ein Blick auf die Top Ten bietet ein Wiedersehen mit vielen alten Bekannten. Zwei Shows, die im letzten Jahr am Broadway an den Start gingen, sind auch in diesem Jahr Publikumsrenner: Die aufwändige „Mary Poppins“-Inszenierung und der Überraschungs-Hit „Spring Awakening“! Ansonsten gilt: „Big Business as usual“! „Wicked“, „Jersey Boys“, „Lion King“ und „Mamma Mia!“ haben nichts von ihrer Attraktivität eingebüßt. „The Color Purple“ hat ein besonders gutes Jahr dank „American Idol“-Siegerin Fantasia Barrino. Man darf gespannt sein, wie gut sich das große Broadway Theatre füllen lässt, wenn sie die Produktion Anfang Januar verlässt. Die Beliebtheit von „Spamalot“ lässt ein bisschen nach, für einen satten Gewinn reicht es immer noch. „Hairspray“ kann sich vor allem dank der in den USA sehr erfolgreichen Verfilmung behaupten, und „The Phantom of the Opera“ …..ist ganz einfach ein Phänomen.

Spannende Fragen fürs nächste Jahr bleiben:
Geht die Erfolgswelle des Musical-Filmes in den USA weiter? Nach einem Oscar für „Dreamgirl“ Jennifer Hudson, Rekord-Einschaltquoten für das „High School Musical“ und einem großen Erfolg für die „Hairspray“-Verfilmung stehen mit „Mamma Mia!“, „Nine“, „Footloose“ und gerüchteweise „The Color Purple“ sowie „Grease“ viele spannende Projekte auf dem Plan.
Erleben wir endlich mal wieder Überraschungserfolge vom Off-Broadway? Nach einer Flaute 2007 stehen mit „Passing Strange“ und „In the Heights“ schon zwei innovative Produktionen zum Transfer bereit.
Steht im Sommer der nächste Streik bevor? In diesem Jahr waren es die Bühnenarbeiter, die für 19 dunkle Tage in den meisten Broadway-Theatern sorgten. Im Juni will Equity, die Schauspieler-Gewerkschaft, mit der Produzentenvereinigung über neue Bedingungen verhandeln und es ist fraglich, ob die Gespräche ohne Druckmittel vollzogen werden können.

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