Keine glorreichen Tage

Viele unterschiedliche Shows bereichern den Broadway 2008. Doch die Wirtschaftskrise räumt gnadenlos auf, sodass am Ende nur wenige Hits übrig bleiben: Ein frisches Original-Musical, ein behäbiges Revival und ein London-Import.

Es klingt nach einem guten Jahrgang: 15 neue Produktionen wurden im Laufe des Jahres 2008 am Broadway gestartet. Doch am Ende fällt die Bilanz trotzdem düster aus. Sechs der 15 Shows sind schon wieder verschwunden, für fünf weitere steht das Enddatum Anfang 2009 bereits fest. Auf der Suche nach einem Grund für die geringe Anzahl der überlebenden Shows sind sich die Produzenten schnell einig: Die große Wirtschaftskrise, die, ausgehend von den USA, die Welt in der zweiten Hälfte 2008 in Beschlag nahm, führte zu einem deutlichen Rückgang der Vorverkaufszahlen.

Ein Blick auf die vier neuen Shows, die dem Broadway zumindest vorerst erhalten bleiben, zeigt, dass es durchaus möglich ist, die Theater voll zu kriegen. Als heißestes Ticket der Stadt wurde 2008 ein behäbig inszeniertes Revival einer fast 60 Jahre alten Show gehandelt: „South Pacific“. Die Liebes- und Kriegsgeschichte, die ihr Konfliktpotential hauptsächlich aus der Frage, ob Beziehungen zwischen verschiedenen Rassen möglich und moralisch vertretbar sind, bezieht, ist angestaubt. Doch dank einer reichen Orchestrierung der Evergreens und des bekannten Opernsängers Paulo Szot in der Hauptrolle lässt ein finanzstarkes Publikum „in den besten Jahren“ die Kassen klingeln.

„Billy Elliot“ schickt sich an, die zweite Erfolgsshow des Jahres zu werden. Das ist nach den Erfolgen, die das Musical seit mehr als drei Jahren in London feiert, keine große Überraschung. Die Befürchtung, dass die Hintergründe aus der britischen Geschichte den Amerikanern den Zugang verwehren könnten, scheint sich nicht zu bewahrheiten. Die Vorverkaufszahlen deuten darauf hin, dass die Geschichte des Jungen, der gegen alle Widerstände seinen Weg geht, auch in Amerika ein Hit wird.

Als Überraschung des Jahres darf „In the Heights“ angesehen werden. Die Show des Newcomers Lin-Manuel Miranda ist der diesjährige Beweis dafür, dass der Great White Way immer wieder offen für neue Einflüsse ist. Mit für Broadway-Verhältnisse ungewöhnlichen Salsa- und Hip-Hop-Klängen und vier Tony Awards (u.a. für das beste Musical) hält die Show trotz einer wenig innovativen Original-Story und ohne große Namen über das Jahr eine ordentliche Auslastung von mehr als 80 Prozent. Ob „In the Heights“ ein Dauerbrenner wird, mag bezweifelt werden, aber im Moment sollten sich Miranda und sein Team einfach nur über den Erfolg freuen.

Die vierte und letzte neue Show, die das Jahr 2008 ohne Schließankündigung überlebt, ist „Shrek – The Musical“, eine mit vielen Millionen gepushte Produktion, die dazu verdammt ist, den Erfolg des zugrunde liegenden Animationsfilms über die Abenteuer eines von allen zu Unrecht gemiedenen grünhäutigen Sumpfbewohners zu wiederholen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die erst Mitte Dezember gestartete Show entwickelt; die Zeichen stehen jedoch alles andere als gut. Wenn im Dezember, dem ertragreichsten Monat des Jahres für Familienshows, „Shreks“ Auslastung in der Premierenwoche mit 52 Prozent schlechter ist als die aller anderen Broadway-Stücke, läuft die Erfolgsgeschichte nicht nach Plan. Im Broadway Theatre sieht es also nicht gerade nach Hit aus.

Ein neutrales Resümee darf für das „Gypsy“-Revival gezogen werden. Die gelobte Inszenierung von Autor Arthur Laurents lebte vor allem vom Spiel der mehrfach ausgezeichneten Hauptdarsteller Patti LuPone, Laura Benanti und Boyd Gaines. Das riesige St. James Theatre zu füllen, fiel der Produktion allerdings schwer, nicht zuletzt da das Stück erst vier Jahre zuvor ein Broadway-Revival erlebte und somit keine wirkliche Neugier vorherrschte.

Aber in vielen anderen Theatern sah es deutlich bitterer aus: Am härtesten traf es das junge unbekannte Team Nick Blaemire und James Gardiner, die schmerzhaft einsehen mussten, dass am Broadway ein härterer Wind weht als in anderen Theater-Regionen der USA. Ihr in Virginia positiv aufgenommenes Erstlingswerk „Glory Days“ fiel in New York gnadenlos durch. In den Broadway-Chroniken wird das Stück über die Freundschaft von vier jungen Männern nur einen besonderen Platz erhalten, da die Premiere am 5. Mai auch gleichzeitig die Dernière war.

Ähnlich schlechte Kritiken fuhr die Film-Adaption „Cry-Baby“ ein. Nachdem John Waters seine Komödie „Hairspray“ äußerst erfolgreich am Broadway platziert hatte, sollte dies nun mit einem zum Teil identischen Kreativteam der ähnlich gewinnbringende Nachfolger werden. Doch das dümmliche, wenig charmante Buch über einen rebellischen Kleinstadt-Casanova konnte nur wenige Freunde gewinnen, und so war der Traum nach fünf Monaten ausgeträumt.

Bei „Passing Strange“ verhält es sich ein bisschen anders. Während „In the Heights“ mit ungewohnten Klängen punkten konnte, schreckte das in verschiedener Hinsicht extremere „Passing Strange“ das Broadway-Publikum eher ab. Rockige Klänge, die nicht ganz einfache Geschichte eines Künstlers auf Selbstfindungstrip und eine Inszenierung, die eher in Richtung Konzert zielte, zogen nicht genügend Zuschauer an, sodass auch hier nach fünf Monaten die Notbremse gezogen wurde.

Es gab in der jüngeren Vergangenheit mehrere Versuche, neben den aufwändigen, glamourösen Shows Musicals mit reduziertem Bühnenbild, kleinerer Besetzung, möglichst nicht mehr als 90 Minuten Spielzeit und ohne Pause am Broadway zu platzieren. Doch zumeist scheitern diese Versuche; da die Eintrittspreise im Vergleich zu den aufwändigeren Shows nur wenig reduziert werden, brauchen diese Shows schon ein ganz besonderes Flair, um sich durchzusetzen. Von „Glory Days“ war bereits die Rede, die weiteren diesjährigen Vertreter „A Catered Affair“ und „[title of show]“ hielten sich jeweils etwas mehr als drei Monate und konnten, obwohl die Storys in beiden Fällen durchaus viele gute Kritiken nach sich zogen, nicht genügend Zuschauer in die Theater locken.

Komponist Jason Robert Brown versuchte es in diesem Jahr mit einer Schüler-Komödie. Hörenswerte Popmusik, eine Story ohne Tiefgang über erste Liebe und Intrigen in einer High School sprachen sicher viele Teenager an, doch im Vergleich zu den wirklichen Familien-Shows à la Disney bot „13“ den Eltern, die in der Regel ja die Tickets kaufen sollten, zu wenig fürs Ohr und fürs Auge, sodass auch diese Show Anfang Januar Platz machen muss für etwas Neues.

Die großen Dramen haben es nach wie vor schwer. „Les Misérables“ und „Phantom of the Opera“ haben gezeigt, wie erfolgreich solche Geschichten auf der Musical-Bühne sein können, doch schon seit Jahren gab es keinen erfolgreichen Vertreter dieser Kategorie. In diesem Jahr sollte „A Tale of Two Cities“ nach der berühmten Literatur-Vorlage von Charles Dickens den Broadway revolutionieren. Buch-Autorin und Komponistin Jill Santoriello, eine Newcomerin im Business, gelang zwar eine Handvoll bewegender Songs, doch alles in allem war das Stück langatmig und wurde nicht annähernd der Dramatik der Buchvorlage gerecht. Und so dauerte es nach der Premiere keine zwei Monate bis zum Auszug aus dem Theater.

Drei Shows starteten zum Ende des Jahres mit begrenzter Spielzeit in New York und nutzten so den ertragreichen Dezember. Den Anfang machte am 23. November „White Christmas“. Die aufwändige Inszenierung des Filmklassikers hat in den vergangenen Jahren zur Weihnachtszeit in mehreren amerikanischen Städten zahlreiche Zuschauer begeistert, sodass in dieser Saison trotz Zweifeln an der Wirtschaftlichkeit eine sechswöchige Spielzeit bis Anfang Januar in New York stattfindet. Und der Erfolg gibt dem Produzententeam recht. Große Shownummern, prachtvolle Ausstattung und eine kitschig-schöne Weihnachtsstimmung sorgen für eine Auslastung, die locker mit Blockbustern wie „Wicked“ mithalten kann.

Am 3. Dezember fiel der Startschuss für Liza Minnellis Rückkehr an den Broadway. Bis heute wurde die kurze Spielzeit bereits zweimal verlängert. Und auch diese Show ist auslastungstechnisch unter den Top Ten des Monats zu finden. Am 18. Dezember feierte das Revival von Rodgers‘ und Harts „Pal Joey“ Premiere. Ob das Musical über einen attraktiven Aufschneider, der dank des Geldes seiner älteren Geliebten groß rauskommt und genauso schnell wieder abstürzt, auch zum Ende seiner Laufzeit im Februar noch so gut besucht ist wie derzeit, ist fraglich.

Gerade in Anbetracht der schwierigen wirtschaftlichen Lage sind die Ticket-Preise wieder ein heiß diskutiertes Thema. Nach den Premium Tickets, die seit letztem Jahr zu Preisen von teilweise mehr als 300 Dollar erhältlich sind, kam in diesem Jahr ein Zuschlag für Plätze am Mittelgang, die sich offenbar einer besonderen Beliebtheit erfreuen, hinzu. Wer also nur auf einer Seite einen direkten Sitznachbarn haben möchte, muss bei einigen Produktionen tiefer in die Tasche greifen als der Zuschauer zwei Plätze weiter rechts. Erfreulicherweise konnte sich diese Entwicklung nicht durchsetzen, sodass es nur vereinzelte Shows sind, die diesen besonderen Zuschlag verlangen.

Zum Ende des Jahres startete zum Beispiel der Disney-Konzern eine Aktion, in der für alle drei Disney-Broadway-Shows jeder vollzahlende Erwachsene eine kostenlose Kinderkarte dazubuchen konnte. Die für April 2009 angekündigte Show „Rock of Ages“ wirbt bereits damit, dass die PK-1-Tickets sozusagen als Zugeständnis an die schwierigen Zeiten „nur“ bis zu 99 Dollar kosten sollen, während die anderen Shows in der Regel mehr als 120 Dollar pro Ticket nehmen.

Es gibt also durchaus Versuche, mit Preisreduzierungen den schleppenden Vorverkaufszahlen entgegenzuwirken; langfristig scheint es allerdings zweifelhaft, dass die stetig steigende Preisspirale gestoppt werden kann und soll.
Denn – Krise hin oder her – in vielen Fällen reichen die Einnahmen auch 2008 für einen satten Gewinn: Als ertragreichste Show des Jahres spielt der Dauerbrenner „Wicked“ in diesem Jahr mehr als 72 Millionen Dollar ein und übertrifft damit sogar noch die Einnahmen aus 2007. Und auch „Lion King“ und „Jersey Boys“, die die Medaillenplätze seit Jahren halten, können sich über einen nahezu ungebremsten Zulauf freuen. „The Little Mermaid“, 2007 mit gemischten bis schlechten Kritiken in eine somit eher unsichere Zukunft gestartet, hat sich am Broadway als Familienshow etabliert und „Mary Poppins“, die Konkurrentin aus dem eigenen Stall, sogar ein wenig ins Wanken gebracht. Doch letztlich scheint am Broadway Platz genug für drei Familien-Shows der Marke Disney zu sein.

Der Erfolg von „Mamma Mia“ am Broadway ist unverändert, nicht zuletzt dank der erfolgreichen Verfilmung. „Phantom of the Opera“ ist eine Konstante, die ihresgleichen sucht; da können Krisen kommen und gehen – dem Phantom bleiben die Zuschauer seit nunmehr fast 21 Jahren erhalten. Als Aufsteiger des Jahres sind „South Pacific“ und „In the Heights“ in die Top Ten eingezogen, während „Spamalot“ (im Vorjahr auf Platz 7) eher zu den Absteigern des Jahres gehört und Anfang 2009 nach fast vier insgesamt betrachtet erfolgreichen Jahren den Broadway verlassen muss.

Und dank der vielen Schließungen 2008 ist im kommenden Jahr viel Platz für Neues am Broadway. Schade nur, dass die Investitionsbereitschaft der Geldgeber derzeit, verständlicherweise, eher gering ist. Unter den für 2009 angekündigten Produktionen sind auffällig viele Sprechtheaterstücke, die in der Regel kostengünstiger auf die Bühne zu bringen sind als Musicals, mit Berühmtheiten wie Jeremy Irons, Angela Lansbury, Nathan Lane, Jane Fonda und Matthew Broderick.

Sechs Musicals stehen derzeit fest auf dem Premierenplan des ersten Halbjahres 2009, darunter mit „Guys and Dolls“, „Hair“ und „West Side Story“ drei Revivals, bei denen das Risiko nicht ganz so groß erscheint. Ein interessantes Projekt ist „The Story of My Life“: mal wieder eine kleine Produktion mit nur zwei Darstellern und einer vielversprechenden Storyline. Vom Off-Broadway kommt „Rock of Ages“ mit Hits der 1980er Jahre, und im April soll die groß angelegte Film-Adaption „9 to 5“ starten, die allein schon mit dem Namen der in den USA sehr populären Musikerin Dolly Parton punkten kann. Einige Premieren mehr dürften es gerne noch werden; das bereits mit Starttermin angekündigte Musical „Vanities“ wurde aufgrund der Rezession bereits verschoben und so gibt es noch einige Broadway-Häuser, die für 2009 einen erfolgversprechenden Nachmieter suchen.

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