"Wir sind nicht der Broadway!"

„Und, was machst du so im Sommer?“ Stellt man diese Frage Musicalfans und Darstellern, so könnte die Antwort beider Parteien identisch ausfallen: „Ich bin in Tecklenburg!“ Die Freilichtbühne ist schließlich ein beliebter Pilgerort für Musicalanhänger jeden Alters und auch bekannte Darsteller spielen gerne in den diversen, immer mit viel Herzblut und Ideenreichtum inszenierten Produktionen mit. In diesem Jahr stehen mit „Zorro“ und „Cats“ wieder zwei Bonbons auf dem Spielplan. Intendant Radulf Beuleke stand uns zur anstehenden Saisoneröffnung Rede und Antwort.

Die Freilichtbühne in Tecklenburg hat sich spätestens seit dort 2006 die weltweit erste Open-Air-Inszenierung von „Les Misérables“ stattfand, zur absoluten Musical-Hochburg entwickelt. Das mit mehr als 2300 Sitzplätzen größte Freilichtmusiktheater Deutschlands in der Ruine der Burg Tecklenburg führt bereits seit 1924 Theaterstücke und Musikveranstaltungen aller Art auf. So richtig aufwärts ging es aber erst, als Radulf Beuleke dort 1992 den Vereinsvorsitz und die ehrenamtliche Intendanz übernahm. Beuleke verschob den Schwerpunkt der künstlerischen Arbeit von Sprechtheater und Operette hin zum Musical – eine Entscheidung, die maßgeblich zum heutigen Erfolg und Renommee der Bühne beitrug. Heute überzeugt Tecklenburg nicht nur durch die hohe künstlerische Qualität der Inszenierungen, die ebenso passgenauen wie prominenten Besetzungen, einem beeindruckenden Chor und einem großen Orchester, sondern auch durch eine innovative Spielplangestaltung, die immer wieder Überraschungen bereithält.

Herr Beuleke, in diesem Jahr ist es Ihnen gelungen, „Zorro“ nach Tecklenburg zu holen. Außerdem werden Sie in dieser Saison „Cats“ spielen – ein Stück, was noch nie Open-Air gezeigt wurde und welches Sie in einer freien Inszenierung präsentieren. Verraten Sie uns, wie es – gerade bei einem Stück wie „Cats“ – mit der Rechtsfreigabe läuft?

Gerne. Zunächst mal war das Angebot von Musik & Bühne, also der Verlagsgesellschaft, die die Rechte an „Cats“ innehat, eine große Überraschung – natürlich im positiven Sinne! Innerhalb weniger Tage habe ich dann die Gremien der Bühne informiert und ein positives Votum erhalten. Danach lief alles ganz normal, ohne äußere Eingriffe oder Auflagen, so dass wir schon mitten im letzten Sommer mit der Planung beginnen konnten. Ein solcher Vorlauf ist ein Glücksfall.

„Ganz normal“? Können Sie uns genauer erläutern, wie wir uns den Ablauf vorstellen können?

Ganz normal heißt, wir bekommen das Material und kümmern uns um die mögliche Umsetzung. Die Partitur, Klavierauszüge und Librettos stehen uns also bereits zur Verfügung und der Verlag wartet auf die Realisation. Bei „Cats“ ist es so, dass nichts aus bisherigen Produktionen kopiert werden darf, also eine völlig neue Konzeption in der szenischen Realisation erwartet wird. Wie die aussieht, kann ich noch nicht komplett verraten, aber das Setting wird auf keinen Fall eine Londoner Müllhalde sein und die Katzen werden zwar als solche definiert, aber auch überraschend präsentiert.

Das klingt spannend. Wie viele Freiheiten haben Sie eigentlich grundsätzlich bezüglich der Regie? Gilt es beispielsweise, gewisse Vorgaben zu befolgen?

Die Freiheit für Entscheidungen muss bei uns als Theater bleiben. Wir bestimmen grundsätzlich die Regieteams. In der Vergangenheit hat es zwar schon mehrmals Angebote gegeben, wo ganze Teams verbindlich „mit eingekauft“ werden sollten, aber darauf konnten und werden wir uns auch in der Zukunft nicht einlassen. Uns ist es nämlich sehr wichtig, unsere Autonomie zu erhalten. Ein gutes Beispiel für diese Freiheit ist die Entscheidung, den traditionell weiblich besetzten Charakter der Jennyanydots, der in der Show auch seinen eigenen Song hat („The Gumbie Cat“), von einem Mann spielen zu lassen. Ich finde, neuen Ideen gegenüber sollte man sich nicht verschließen!

Besondere Vorgaben gibt es aber in der Regel nicht. „Cats“ in diesem Sommer bildet da die Ausnahme. Da es sich um eine Neukonzeption handelt, gibt es hier eben die Auflage, dass nichts aus den bisherigen, standardisierten Inszenierungen übernommen werden darf.

Jedes Jahr steht bei Ihnen die Crème de la Crème der Branche auf der Freilichtbühne. Sie veranstalten aber keine Auditions im klassischen Sinne. Wie also besetzen Sie Ihre Rollen? Stehen die Stars bei Ihnen Schlange?

Seit vielen Jahren verfügen wir über einen Pool an Darstellern, die bei uns gearbeitet haben und deren weiteren Weg wir beobachten. Zusätzlich lassen wir uns von den Regieteams und den musikalischen Leitern unserer jeweiligen Produktionen beraten. Daraus ergibt sich – auch durch Vorstellungsbesuche – ein sehr klares Bild. Vor allem die Frage: „Wer passt auf die Rolle und wer passt in das Ensemble an diesem speziellen Ort mit völlig anderen Bedingungen als in einem herkömmlichen Innentheater?“ leitet uns bei Besetzungsüberlegungen.

„Zorro“ feiert am 13. Juni 2015 Premiere. Wann beginnen Sie generell mit den Proben und wie verlaufen die Probentagen und -wochen? Können Sie vielleicht einen typischen Probentag skizzieren?

Für jede Inszenierung haben wir vier Wochen Zeit. Das klingt nach einem kurzen Zeitraum und in der Tat vergeht die Probenzeit wie im Flug. Ich würde sagen, es ist eine sehr intensive Arbeit. Jeder Probentag ist in drei Sequenzen unterteilt. Wir proben von 10 bis 13 Uhr, von 15 bis 18 Uhr und von 19:30 bis 22 Uhr. Denn egal ob szenische Proben, Choreografie oder Fighttraining anstehen – alles muss in dieses Zeitschema eingepasst werden – und das zum Teil parallel. Eine echte Herausforderung!

Die Erarbeitung selbst erfolgt dann in der Reihenfolge der Szenen, die später für Durchläufe gebündelt werden. Die musikalischen Leiter sind hier natürlich immer mit von der Partie. Die Endproben beginnen eine Woche vor der Premiere im Originalbühnenbild. Zunächst sind das Bühnen-Orchesterproben, später finden dann die Proben mit Kostüm und Maske statt. Schließlich haben wir zwei Hauptproben und dann die Generalprobe. Bis zum letzten Moment gibt es Korrekturen für alle Abteilungen, also für Bühnenbild, Maske, Kostüm, Choreographie. Und auch die Darsteller müssen sich immer wieder auf Korrekturen und Änderungen einstellen. Eine sehr intensive und zeitraubende, aber auch unglaublich spannende Phase!

Stellen Sie sich vor, ein Intendanten-Traum würde wahr werden und Sie hätten für die nächste Spielzeit ein unbegrenztes Budget zur Verfügung. Was würden Sie damit tun?

Welche Fee soll mich wohl beglücken? [lacht trocken] Aber gut, ich spiele mal mit: Als allererstes würde ich pragmatisch denken und die wichtigsten Investitionen vornehmen. Will heißen, ein neues Dach über dem Zuschauerraum, Verbesserungen im Hintergrund und natürlich verstärkte Werbemaßnahmen. Künstlerisch muss ich sagen, dass wir eigentlich nicht besser „einkaufen“ können. Alles Weitere wäre übertrieben und passt nicht zu unserem Gesamtauftritt. Wir sind schließlich nicht der Broadway!

Erlauben Sie abschließend noch zwei persönliche Fragen. Es wäre interessant zu erfahren, wie Sie zum Musical gekommen sind und ob Sie ein Lieblingsstück haben?

Soll ich in den 60er Jahren anfangen bei „My Fair Lady“ in Hamburg? Das ist eine persönliche Entwicklung, die parallel zum Erfolg des Musicals in Deutschland abgelaufen ist. Die Perspektive auf diese Kunstform ist über Jahre gewachsen. Lieblingsstücke sind eigentlich, so abgedroschen es klingen mag, immer die neuen Stücke, die in jedem Sommer bei uns auf die Bühne kommen. Sie sind unsere „Kinder“, die wir betreuen, wachsen sehen, an denen wir uns erfreuen, um sie am Ende der Saison wieder in die Musicalwelt zu entlassen.

Sehr beliebt ist auch die Frage, welche Musicals Sie gerne für Tecklenburg realisieren möchten…

Ja, und da wiederhole ich mich seit Jahren. Ganz klar und immer noch „Elisabeth“, aber auch „Der Glöckner von Notre Dame“ und viele andere mehr. Insgesamt muss ich feststellen, dass der Markt für Musicals sehr eng ist. Auf der einen Seite gibt es da die Klassiker, die wir alle schon gespielt haben, auf der anderen Seite vieles, was bei uns nicht realisierbar ist. Das Prinzip lautet: Jedes Jahr etwas Neuen zu bieten und den Standard zu halten!

Herzlichen Dank, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben und weiterhin viel Erfolg!

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