Gelungene Aufnahme mit einer stimmstarken Sabrina Weckerlin und den wohl komplexesten Kompositionen von Sylvester Levay.
Michael Kunze wird nicht müde, immer wieder zu betonen, dass sich die Musik in einem Musical der Geschichte unterzuordnen und ihr ausschließlich zu dienen habe. Naturgemäß präsentiert eine CD-Veröffentlichung nur eben jenen Part eines Werkes, der in diesem Sinne zur Knechtschaft verdammt ist. Da wundert es nicht, dass die Aufnahme zu „Marie Antoinette“, dem neuesten gemeinsamen Musical von Autor Michael Kunze und Komponist Sylvester Levay, noch nicht einmal ansatzweise das Werk in seiner Komplexität abzubilden vermag. Vielmehr handelt es sich um eine Ansammlung von musikalischen Appetithäppchen, die zum Verzehr der eigentlichen Hauptmahlzeit, dem Theaterbesuch, anregen sollen. Nur so ist die lediglich fragmentarische Editierung mit nur 13 Titeln (darunter sogar ein sogenannter „Bonus“-Track) und einer Gesamtlaufzeit von noch nicht einmal 39 Minuten zu erklären.
Was schade ist, denn Sylvester Levay hat für „Marie Antoinette“ seine bisher komplexeste und nach meinem persönlichen Empfinden gelungenste Partitur für ein Musical vorgelegt. So konsequent wie in keinem anderen Vorgängerwerk arbeitet er mit Leitmotiven und führt diese im zweiten Akt zu einer atmosphärisch dichten Struktur zusammen. Das bereits zur Europapremiere am 30. Januar 2009 veröffentlichte Album – von Michael Kunze und Sylvester Levay produziert und mit einem 28-seitigen Booklet, das Angaben zur Produktion, eine ausführliche Synopsis, die Songtexte und etliche Produktionsfotos beinhaltet, erfreulich großzügig ausgestattet – gibt hiervon jedoch so gut wie nichts preis und führt lediglich die in sich geschlossenen Titel auf. Darunter auch musikalische Belanglosigkeiten wie „Langweilen will ich mich nicht“ und „Die Frau, die er liebt“, die ohne den narrativen Kontext nicht überzeugen können. Die Songtexte von Michael Kunze sind stimmig und detailliert ausgearbeitet, während das um eine Rhythmusgruppe erweiterte Orchester der Bremer Philharmoniker unter der souveränen musikalischen Leitung von Bernd Steixner für das typisch Levay’sche Klangbild sorgt.Zentraler Leit- und Hitsong des Musicals ist „Blind vom Licht der vielen Kerzen“, den Sabrina Weckerlin in der Rolle der Margrid Arnaud mit großer Beltstimme interpretiert. Auch der Song „Ich weine nicht mehr“, den Uwe Kröger bereits 1994 unter dem Titel „Engel in Schwarz“ veröffentlichte, gerät in Weckerlins kraftvoller Interpretation zu einem Höhepunkt dieser Aufnahme. „Weil ich besser bin“ überzeugt als treibende Rocknummer mit Hit-Qualität, wenngleich Thomas Christ in der Rolle des Herzog von Orléans nicht über die hierfür notwendige kräftige Stimme verfügt. Einen echten Einblick in die Seele dieses Musicals vermitteln jedoch andere Titel wie „Warum muss ich sein, was ich nicht bin?“, mit dem Tim Reichwein einfühlsam ein tragisches Charakterbild von Louis XVI. zeichnet und „Das Einzige, was richtig ist“, womit Roberta Valentini in der Hauptrolle der Marie Antoinette ein eindringliches und gesanglich differenziertes Psychogramm der geläuterten Königin abliefert. Ein wenig überproduziert erscheint der Titel „Gefühl und Verstand“, den Roberta Valentini im Duett mit Patrick Stanke als Marie Antoinettes Liebhaber Graf Axel von Fersen gibt – vor allem der glückselige Harfenklang am Schluss mag nicht so recht zum bitteren Unterton dieses Songs passen, der für eine unerfüllte Liebesbeziehung steht. Passend zum Bühnen-Bohei des Zauberers Cagliostro präsentiert sich dagegen die voluminöse und druckvolle Einspielung des Titels „Illusionen“, den Ethan Freeman ausdrucksstark interpretiert.
„Marie Antoinette“ hält jedoch auch wunderschöne Kompositionen vor, die keinerlei studiotechnischer Aufrüstung bedürfen. Dies offenbarte sich anlässlich kleinerer Präsentationen im Vorfeld der japanischen und deutschen Aufführungen, bei denen einige Songs nur mit Klavierbegleitung vorgetragen wurden und in dieser reduzierten Form ihre ganze musikalische Größe sowie eine eigene Faszination entwickeln konnten. Hier sind vor allem „Still, still“ und „Gott sieht uns zu“ zu nennen, die auf dieser Aufnahme von Maike Switzer mit warmer und einfühlsamer Stimme interpretiert werden. Diese Auftritte haben durchaus Lust auf mehr gemacht: Kunze/Levay unplugged – das wär‘ doch mal was, auch auf CD, sozusagen als revolutionärer Befreiungsakt für die bis dahin geknechtete Musik.