Das heiß erwartete Popmusical „& Julia“ wandelt das Hamburger Operettenhaus zur Partybühne. Die Energie des Ensembles sprüht greifbar in das Auditorium über und das Publikum zeigt sich allerbester Laune ob der zahlreichen großen Radiohits von Max Martin, die klug in ein gleichermaßen witzig-unterhaltsames sowie aussagekräftiges Bühnenstück eingewoben sind. Die Story, ein Plädoyer für Toleranz, Gleichberechtigung und das Recht, sich selbst zu verwirklichen, ist noch viel mehr als der musikalische Muntermacher, als der er beworben wird. „& Julia“ ist und bleibt – auch in der deutschen Fassung – ein absolut sehenswertes Erlebnis!
Das 2019 uraufgeführte „& Julia“ (Originaltitel „& Juliet“) ist mit Max Martins Pophits eines der größten internationalen Musical-Phänomene der letzten Jahre. Vom West End ging es trotz Pandemie an den Broadway, auf Amerika- und UK-Touren, nach Kanada, Australien und von dort sogar nach Singapur; eine japanische Version ist in Planung. In Hamburg ist nun erstmals eine nicht-englischsprachige Version auf die Bretter geschickt worden, die sich als Replikation vom West End (nahezu) derselben hervorragenden Ausstattung und eindrucksvollen Visualität erfreut. Das dynamische, peppige, Mittelalter und Moderne gekonnt verschmelzende und sich immer wieder verändernde Set-Design von Soutra Gilmour trägt ebenso zum Erfolg bei wie die sensationellen Hingucker-Kostüme von Paloma Young. Die abwechselnd dramatischen und stimmungsmachenden, immer hoch differenzierten Lichtdesigns von Howard Hudson mit Andrej Gouldings lebendigen Video- und Projektionsdesigns und allen voran Jennifer Webers hochmoderne, einmalig energetische Hiphop-Pop-Contemporary-Choreographien verfehlen auch in Hamburg ihre überwältigende Wirkung keineswegs und machen das Musical zu einem in sich stimmigen Gesamtkunstwerk, das gesehen werden will und auch sollte. Auch die selten so makellose Akustik und die siebenköpfige Band wissen zu gefallen. Nur kleine inszenatorische Abänderungen fallen denjenigen auf, die das Stück schon in London oder am Broadway gesehen haben, so beispielsweise die in einer Schlüsselszene romantisch fliegenden, mit Rauch gefüllten Seifenblasen – ein visuelles Schmankerl, auf das Hamburg zwar bisher noch verzichtet, aber dessen Fehlen der bombastischen Stimmung auf und vor der Bühne natürlich keinen Abbruch tut. Insgesamt wartet das Stück von inszenatorischer und ausstattender Seite mit Pauken und Trompeten auf und lässt keine Wünsche offen.
Die Geschichte funktioniert auch in Hamburg hervorragend. Das tragische Ende des klassischen Shakespeare-Dramas um Julia und ihren Romeo wird in David West Reads unterhaltsam-tiefgründigem Buch durch die Augen von William Shakespeare und seiner Frau Anne Hathaway, die sich in einer Schreibfehde befinden und sich durch diese wieder einander annähern, gänzlich neu geschrieben: Durch gewitztes Storytelling (mit kleinen schwächelnden Momenten im zweiten Akt, die verzeihlich sind) und zeitgenössische Sprache wandelt er Julia zur nach Selbstbestimmung suchenden modernen Heldin, die die Tragik ihres Lebens hinter sich lässt. Ergänzt durch markante, klar charakterisierte Nebenfiguren, die sowohl Julias Weg begleiten als auch ihre eigene Reise zum persönlichen Glück bestreiten, werden zahlreiche gesellschaftlich relevante Themen auf der Bühne in heiterer und doch gehaltvoller Manier zum Ausdruck gebracht. Die Botschaften des Stücks hallen bei dem Anteil des Publikums nach, der nicht nur nach bekannten Popsongs, der im Übermaß vorhandenen Partylaune und einer frivolen Bierzeltstimmung lechzt: Julias bester Freund May als nonbinäre, vielleicht auch transidente Person sucht nach Liebe und Akzeptanz für sich selbst. Julias zeitweise Angetrauter Francois befreit sich aus dem Generationskonflikt seiner Familie und lernt, dass für ihn die Liebe nicht an ein Geschlecht gebunden ist, Romeo erfährt Reue vor den Schattenseiten toxischer Maskulinität und Julias Amme Angelique kommt zur Einsicht, dass man auch in späteren Lebensphasen und trotz elterlicher Verantwortungsgefühle das Recht auf einen Neuanfang niemals verbüßt. Auch der die Rahmenhandlung präsentierende Shakespare vertritt am Ende die relevante Botschaft, Familie vor Karriere zu stellen. Seine Frau, die heimliche Protagonistin Anne Hathaway fungiert als moderne Stimme der Vernunft und proklamiert durch ihre Darstellung ein Manifest für die vollumfängliche Selbstbestimmung eines jeden Individuums, ungeachtet patriarchaler und gesellschaftlicher Zwänge, was das Publikum in Begeisterungsstürme versetzt.
Die deutsche Übersetzung von Jana Mischke und Heiko Wohlgemuth funktioniert, zum Teil überraschend gut. Erwartungsgemäß zünden bei weitem nicht so viele Lacher wie im englischsprachigen Original, da sich vieles des voller britischer Idiome steckenden Buches schlichtweg nicht auf die deutsche Sprache übertragen lässt. Hat man den Vergleich zum Original nicht, wird durch die Übersetzung, die immerhin noch mit einer guten Hand voll gekonnt umgewandelter Sprachwitze und der auch auf Deutsch funktionierenden Millennial-Komik des Ursprungslibrettos aufwartet, nichts vermisst. Sowohl der genannte, oftmals wohl eher auf bestimmte Altersgruppen abzielende Humor, als auch die immer wieder eingeworfenen Teenie-Anglizismen, die allesamt aus der Jugendwort-des-Jahres-Liste entlehnt sein könnten, bieten Potenzial zum Polarisieren, fügen sich aber in die Gesamtkomposition der jugendlich daherkommenden Übersetzung gut sein. Gewagt und glücklicherweise gelungen ist die Wahl, nur einzelne, bedeutungstragende Passagen, zumeist am Anfang der englischsprachigen Popsongs auf Deutsch zu übertragen.
Auch wenn die schauspielerisch wie gesanglich überstarke und unerreichte West-End-Originalbesetzung bei Wiederholungsgängern im direkten Vergleich einen nachhaltigeren Eindruck hinterlassen haben mag, überzeugt auch der Hamburger Cast: Das Ensemble ist bis ins Kleinste vortrefflich besetzt. Die fordernden und hochdynamischen Choreographien werden scheinbar spielend umgesetzt und die Energie schwappt so intensiv ins Publikum über, wie es andernorts nur selten zu beobachten ist. Ein Blick auf die besonders beeindruckende Liste der hochkarätigen Alternates, Covers und Walk-Ins, die auch das Ensemble füllen, verspricht für die Zukunft in Hamburg auch abseits der Main Cast großartige Unterhaltung und lässt für „& Julia“ aufgrund der hohen individuellen Auslegbarkeit der Hauptrollen mit Sicherheit auch nach wiederholtem Ansehen neue Impulse erwarten. Joanna Rozal bewegt in ihrer schrulligen Auslegung der Lady Capulet zu Kicher-Tiraden. Carlos de Vries gibt einen sympathischen und temperamentvollen Lance Du Bois, der mit Jacqueline Brauns Charakter, der Amme Angelique, schön harmoniert. Braun legt ihre mütterliche Figur mit Herzenswärme und trockenem Humor an, was ihr gut zu Gesicht steht. Ihr Solo „Fucking Perfect“ berührt das Publikum und ihr Duettpart von „Oops, I did it again“ verführt zu herzhaftem Lachen. Oliver Edward als Francois beweist eine grandiose Gesangsstimme und schauspielerisches Geschick, seine nerdige Figur authentisch und liebenswert identifizierbar zu zeichnen. Bram Tahamata als May wartet mit einer außergewöhnlichen Stimmkontrolle auf und verleiht den Popsongs den passenden Ton, weiß aber auch durch nuanciertes Schauspiel in den ruhigeren Szenen und Songs, so beispielsweise beim Selbstfindungslied „Not a Girl, not yet a Woman“ und dem emotionalen „Whataya want from me“ für Gänsehaut zu sorgen. Andreas Bongard und Raphael Groß als William Shakespeare und der unter seiner Patronage stehende Casanova Romeo beweisen viel selbstironischen Witz und Showmaster-Qualitäten. Chiara Fuhrmann als Julia gelingt es souverän, die Geschichte auf ihren Schultern zu tragen. Vor allem schauspielerisch überzeugt Fuhrmann auf ganzer Linie: Ihre im Vergleich zum Broadway und West End deutlich jünger wirkende Julia befindet sich auf einer Achterbahnfahrt der Gefühle, die das Publikum mit ihr geht. Einfühlsam füllt sie ihren Charakter mit Leben und zeichnet von „Baby one more time“ über „Since U been gone“ bis zu „Stronger“ und ihrem triumphalen „Roar“ den Weg von einem gebrochenen Mädchen zur selbstsicheren Frau, die als Heldin der Geschichte hervorgeht. Die heimliche Heldin des Stücks ist Willemijn Verkaik als Anne Hathaway, die mit viel subtilem Humor einen großen Kontrast zur vor Energie überbrodelnden, leicht schrulligen Cassidy Janson in der englischen Originalbesetzung schafft und der es gelingt das Publikum als Sympathieträgerin auf ihre Seite zu ziehen. Der Humor, der sich daraus ergibt, dass sich Anne als Julias vermeintlich gleichaltrige Busenfreundin April als Charakter selbst in die Handlung schreibt, gehört zu den lustigsten Momenten des Musicals. Das unangefochtene gesangliche Highlight des Abends bringt Verkaik mit „That’s the Way it is“ dar – das Publikum belohnt diesen Showstopper mit spontanen stehenden Ovationen und nicht endend wollendem Applaus.
„& Julia“ verkörpert auch in Hamburg eine hervorragende Inszenierung, die für viele Musicalfans etwas bereitzuhalten verspricht und all die richtigen Schalter betätigt und Haken gesetzt hat, um für alle Beteiligten ein großer Erfolg zu werden.
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