©  Reinhard Winkler
© Reinhard Winkler

Verschiedene Farben zeigen

Sie spielte „Les Misérables“ in Duisburg, „Joseph“ und „Elisabeth“ in Essen, „Cats“ in Hamburg, „Phantom“ in Stuttgart, „Drei Musketiere“ in Berlin und Stuttgart und hat damit eine beachtliche Zahl an Rollen in Long-Run-Produktionen vorzuweisen. Am Landestheater Linz, einem der wenigen deutschsprachigen Theater mit eigener Musicalsparte, konnte sie u.a. in „Die Hexen von Eastwick“, „The Wiz“, „Next to Normal“ und „Hairspray“ ihre Vielseitigkeit unter Beweis stellen. Wir haben Kristin Hölck vor der Premiere von „Betty Blue Eyes“ dort getroffen.

Du hast mal gesagt „Drama liegt mir mehr“. Und wenn man die Liste deiner Rollen betrachtet, sind da auch viele dramatische Rollen vertreten. Ist es da mal erfrischend, direkt hintereinander zwei komische Rollen zu übernehmen – wie jetzt in „Hairspray“ und „Betty Blue Eyes“?

Natürlich macht Drama Spaß, aber wenn du dann immer in diese Schiene geschoben wirst und nie mal die Möglichkeit bekommst, etwas anderes zu machen, dann möchte man auch mal was anderes ausprobieren. Und da bin ich natürlich dankbar, dass ich die Chance dazu hatte.

Wie siehst du deine Rolle als Joyce Chivers in „Betty Blue Eyes“? Ist sie eine Art Möchtegern-Kleinstadt-Lady Macbeth, weil sie ihren Mann zu Dingen nötigt, die er eigentlich nicht will?

Oh Gott … (lacht) Sie ist im Grunde genommen die Ehrgeizige, die gern mehr sein möchte als sie ist. Ich glaube, die Ehe stagniert auch ein bisschen, vielleicht war da auch nie so viel. Ihr Mann Gilbert ist derjenige, der sich damit, wie es ist, zufrieden gibt und sie möchte halt mehr. Und da ist jetzt die Chance, dass mal was passiert.

Was reizt dich an der Rolle? Was gefällt dir besonders?

Das ist eine Beziehung, die eine Entwicklung durchmacht, das finde ich immer ganz schön. Beim ersten Lesen dachte ich „Das ist wieder so ein Ding, wo du aufpassen musst, dass du nicht nur unsympathisch und zickig bist“, weil die Rolle einfach so angelegt ist. Aber du musst ja auch immer verständlich machen, warum sind die beiden überhaupt zusammen. Wenn die so eine Beziehung haben – was soll das Ganze? Da musst du irgendwie Wege und Momente finden, wo man sehen kann „Okay, da ist was. Da gibt es ein Fundament und daraus hat sich das entwickelt“. Viele Ehepaare werden sich in gewissen Momenten wiederfinden, schätze ich mal. Das ist immer schön. Es ist immer spannend, die verschiedenen Farben zu zeigen. Man ist mal zickig, ja gut, aber interessant wird es dann, wenn du die anderen Sachen drunter legst.

Du durftest schon mehrfach in deutschsprachigen Erstaufführungen spielen. Ist da die Herausforderung größer, weil man der Figur einen eigenen Stempel aufdrücken kann?

Jein, sage ich mal. Also ich mache mir da nicht so viele Gedanken drüber, wenn es eine deutschsprachige Erstaufführung ist. Wenn es eine Neuinszenierung ist, bringst du in jedes Stück ja sowieso etwas Neues ein. Jeder Regisseur hat eine neue Idee, es sei denn es ist eine Broadway-Version, die nach Deutschland kommt. Aber auch da habe ich nie das Gefühl gehabt, irgendwo reingepresst zu werden.

Da hat nie jemand gesagt: „Du musst da aber so und so sein“?

Ja, natürlich hat das mal wer gesagt, aber man hat schon Freiheiten, wie man das füllt. In solchen Inszenierungen wie heute bei „Betty Blue Eyes“ hat man natürlich noch mehr Freiheiten, das stimmt. Das ist sehr schön. Ich versuche auch, mir Sachen vorher nicht unbedingt anzugucken. Einerseits möchte man sich Ideen holen, weil man nicht genau weiß, wo geht das jetzt genau hin, da weiß ich nicht genau, was ich damit mache. Ich bin schon mal neugierig, wie haben das andere gemacht. Aber meistens lasse ich das, weil du in die Gefahr kommst, irgendwas zu kopieren, was nicht deins ist. Du musst das schon selber finden. Das Schöne ist, man wird nicht verglichen. Da gibt es keinen, der sagt „Das war bei der und der aber besser“ oder „Das hat mir bei der besser gefallen“.

Ist die Nervosität größer, weil man ja etwas – im deutschsprachigen Raum – zum ersten Mal präsentiert? Die wenigsten Leute im Publikum werden das heutige Stück kennen.

Ja, das ist schon so. Zumal es ja eine Komödie ist, die nicht unbedingt für ein so großes Haus gemacht ist. Das merkt man schon. Bei Komödien ist es wichtig, Publikumsreaktionen zu bekommen. Manchmal hast du im Probenprozess gelacht, weil es sich aus irgendwas ergeben hat, aber andere Leute, die da keinen Zugang zu haben, finden es vielleicht gar nicht lustig. Insofern ist da schon eine größere Anspannung da. Auch kommen in so einem großen Theater die Publikumsreaktionen über den großen Orchestergraben nicht unbedingt bei uns an. Es muss einem schon jemand sagen „Keine Angst, die Leute lachen“, nur auf der Bühne bekommst du das teilweise nicht mit. Das kann schon sehr verunsichern.

Du kennst die Arbeit bei Long Runs und auch an städtischen Theatern. Wie empfindest du die Unterschiede in der Arbeitsweise und was liegt dir mehr?

Es hat beides seine Vorteile. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die sagen „Oh, Ensuite, das kann ich mir gar nicht vorstellen. Ein, zwei Jahre lang dasselbe zu spielen, das wird ja langweilig“. Ich mochte das durchaus. Ich habe da sehr viel gelernt. Gerade auch, weil man da sehr viel Möglichkeiten hatte, Sachen auszuprobieren. Wenn du jetzt eine Sache gestern versemmelt hast, dann machst du halt morgen was anderes. Oder du hast einen anderen Spielpartner, mit dem sich auch andere Sachen ergeben. Das ist im Stadttheater anders, weil du längere Zeiten hast, die zwischen den Aufführungen liegen. Dabei kommt eine andere Nervosität hoch – kann ich überhaupt noch den Text und die Schritte? Da ist dann gar nicht so viel Raum für eine Entspannung, die schon wichtig ist. Da habe ich durch Ensuite gelernt, schneller hinzukommen. Es hat beides Vor- und Nachteile. Im Stadttheater gibt es den „Nachteil“, dass nicht alles mit Gästen besetzt ist, dass du Kollegen hast, die mit dem Metier nicht so vertraut sind, dass das Orchester seine leichten Aversionen gegen das Musical hat – obwohl das in Linz nicht so ist, da ist Musical ja eine eigene Sparte. Das ist im Ensuite-Betrieb natürlich ganz anders. Ich habe das lange gemacht. Jetzt bin ich in einem Alter, wo ich sage, das muss ich nicht unbedingt. Klar, wenn was Schönes da ist, dann macht man das auch, aber ich schätze auch sehr die Vorteile, sich mit mehreren Sachen ausprobieren zu können. Das ist etwas, das ich an diesem Theater hier so toll fand. Am Anfang hatte man manchmal vier verschiedene Stücke in einer Woche. Es gibt auch Kollegen, die das total stresst und denen das nicht so lieb war, aber mir gefiel diese Herausforderung, morgens eine Probe eines Stücks zu haben und abends etwas anderes zu spielen. Das fand ich großartig.

Gab es in deiner Jugend den Moment, an dem du gedacht hast „Musical – das ist es, das will ich beruflich machen!“?

Bevor ich den Gedanken hatte, Musical zu machen, hatte ich noch nie ein Musical gesehen und ich kannte den Begriff auch nicht wirklich. In der Schule, das muss so elfte Klasse gewesen sein, legte mir eine Freundin einen Artikel hin und hat mich gefragt: „Wäre das nicht was für dich?“. Ich habe Querflöte gespielt. Es gab die Überlegung, Musik zu studieren, aber das wäre so gar nichts für mich gewesen mit viel üben und sowas. Ich habe Kunstturnen als Kind gemacht, es gab also eine Affinität zur Bewegung. Ich war auf einem Musikgymnasium, da war ich bei Theaterproduktionen aktiv. Also, meine Freundin legte mir einen Artikel über die Stage School in Hamburg hin und dann weiß ich, dass ich nach Hause gegangen bin und meiner Mutter gesagt habe „Guck mal, das wäre doch was“ und sie sagte „Kein Problem, dann kannst du ja jetzt auch mit Gesangsunterricht anfangen“. Ich hatte mein Leben lang schon gesungen und war im Kirchenchor. Ja, und so hat sich dann alles einfach ergeben.

Was wäre denn deine absolute Traumrolle? Auch gern altersunabhängig, einfach eine Rolle, die du faszinierend findest.

„Next to Normal“ war etwas, da dachte ich: „Ja, das will ich unbedingt machen.“, und damals auch „Elisabeth“. Es gibt auch Momente, an die ich mich ganz genau erinnern kann. Als ich dann das erste Mal in dem Rahmen stand und nach oben gefahren wurde, da habe ich gedacht: „Ja – das ist es!“. Ich würde z.B. auch gerne mal eine Norma Desmond machen. Ich habe viele schöne Sachen gemacht, ich bin da sehr dankbar. Ich habe viele tolle Möglichkeiten gehabt. Es gibt jetzt nichts, wo ich sage, darunter leide ich, weil ich das nie gespielt habe.

Ganz spontan – was ist dein Lieblingsstück, egal ob du drin gespielt hast oder nicht?

Oh, schwierig. Es gibt Stücke, mit denen verbinde ich ganz starke, gute Erinnerungen wie z.B. „Les Misérables“. Auch „Elisabeth“ war eine unglaublich tolle Zeit. Das hat aber auch was mit Kollegen zu tun und was man zusammen erlebt hat, ob die Gruppe harmonisch war. Ich höre mir privat auch keine Musicals mehr an, weil mir das Bild fehlt. Das ist mir bei „Next to Normal“ so gegangen. Eine Freundin wollte das mit mir unbedingt in New York sehen, und ich konnte mit der Musik beim Hören nicht viel anfangen. Oder auch bei „Rent“ und „Book of Mormon“. Dazu musste ich ein Bild haben.

Ich habe mir im Vorfeld der heutigen Premiere den zu Grunde liegenden Film „Magere Zeiten“ angesehen und danach nochmal die Aufnahme aus London angehört, die dann auch für mich mehr Sinn machte als beim ersten Hören.

Obwohl der Film schon noch ein bisschen anders ist als das Musical. Ich fand ihn lustig, aber es gab auch Kollegen, die gesagt haben: „Was ist das?“, weil es so britisch ist. Ich finde den Humor ja fantastisch. Ich kenne das Komponisten-Team [George Stiles und Anthony Drewe, Anm. d. Red.]. Das ist mein drittes Stück von ihnen. Ich habe mit ihnen die Uraufführung von „Die drei Musketiere“ in St. Gallen gemacht, da war der Komponist [George Stiles, Anm. d. Red.] die ganze Zeit da und hat das begleitet. Die Musik ist toll, ich bin absoluter Fan von den beiden. Weil sie so viel mit Wortwitz schreiben, den man nicht oft hat. Auch dieses Stück heute ist einfach richtig gut geschrieben. Die Musik ist klassisches Musical, obwohl die Orchesterbesetzung nicht so ist. Es ist ein kleines, kompaktes Stück und mehr muss auch nicht sein.

Vielen Dank, dass du dir vor der Premiere für uns Zeit genommen hast und viel Erfolg mit „Betty Blue Eyes“!

 
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