Wenn es um das „Who is who“ deutschsprachiger Musical- und Schauspiel-Regisseure geht, dann ist ein Name immer ganz vorne mit dabei: Ulrich Wiggers. Mittlerweile inszeniert er jedoch sehr erfolgreich für diverse Genre – und springt dabei gerne auch mal selbst als Schauspieler und Sänger ein, wenn Not am Mann ist. Wir trafen Ulrich, um mit ihm über seine Arbeit der letzten Jahre zu sprechen und über seine aktuellen Großprojekte: Das DomplatzOpenAir „Chicago“ in Magdeburg und „Dr. Schiwago“ in Tecklenburg.
Seit unserem letzten Interview sind einige Jahre ins Land gezogen und viel hat sich in dieser Zeit getan. Unter anderem hast du dich auch als Regisseur für Oper- und Operette versucht – und das mit großem Erfolg!
Ulrich Wiggers: Ja, ich hatte das große Glück, an der Musikalischen Komödie in Leipzig die selten gespielte Operette von Emmerich Kalmans „Die Herzogin von Chicago“ inszenieren zu dürfen. Es war eine große Freude an diesem Theater zu arbeiten. Mit diesem besonderen Ensemble diese Operette gemeinsam neu zu entdecken war ganz einmalig. Mir und meinem Ausstatter Leif-Erik Heine wurde sehr viel Vertrauen entgegengebracht – und dass ich dann noch für meine erste Operetteninszenierung den „Frosch des Monats“ vom BR Klassik bekommen habe, war sozusagen die Krönung!
Direkt danach zog es Dich wieder ans Theater St. Gallen – diesmal aber nicht fürs Musical.
Ulrich Wiggers: Genau, im Anschluss daran folgte meine erste Operninszenierung, „L’elisir D’Amore“ am Theater St Gallen. Mit dem Theater St Gallen habe ich eine ganz besondere Verbindung. Ich durfte dort vor ein paar Jahren das Schauspiel „Anna Karenina“ inszenieren, und 2 Jahre später hat man mir die Regie der ersten freien Inszenierung des Kultmusicals „Tanz der Vampire“ angeboten! Das war ein sehr großer Vertrauensbeweis, und ich bin glücklich, dass diese Inszenierung ein so großer Erfolg wurde und auch weiterhin in der Schweiz gespielt werden darf. So kam es dann dazu, dass mir „L’elisir D’Amore“ angeboten wurde. Ich bin dem Intendanten Werner Signer sehr dankbar für all diese Möglichkeiten
Wie haben Dir diese Ausflüge in andere Genres gefallen? Was war dabei positiv, negativ oder herausfordernd für Dich?
Ulrich Wiggers: Ich hoffe und wünsche mir, dass es nicht bei „Ausflügen“ bleibt, dafür hat es zu viel Spaß gemacht. Die Arbeit mit den Sängern war sicher für sie erst einmal „merkwürdig“ – warum sollten sie auf einmal ihre Lieder oder Arien sprechen, und dann auch noch nicht im Rhythmus der Musik?! Aber alle haben sehr schnell gespürt, wie wichtig und wie gut diese Herangehensweise war. Ich gehe immer vom Text aus. Es ist für mich unvorstellbar, dass einer meiner Darsteller auf der Bühne einen Text spricht oder singt, und nicht genau weiß, was er bedeutet.
Generell empfinde ich es als ein großes Geschenk, dass ich sowohl Schauspiel, Musical, Operette und Oper inszenieren darf. Jedes Genre hat natürlich seinen eigenen Reiz, seine eigenen spezifischen Herausforderungen – da habe ich keine Präferenz.
Aktuell inszenierst Du in Magdeburg „Chicago“ für das DomplatzOpenAir. Du hast schon öfter hier Regie geführt, sowohl für die Theaterbühne als auch für das DomplatzOpenAir. Deine abgefahrene Inszenierung von „Rocky Horror Show“ war so erfolgreich, dass sie gleich zwei Jahre hintereinander gespielt wurde. Du hast das altbekannte Stück neu erfunden und die Inszenierung strotzte nur so von spektakulären Ideen…
Ulrich Wiggers: Ja, und auch für „Chicago“ können sich die Zuschauer auf einige weitere spektakuläre Ideen freuen! So hat z.B. die Requisitenabteilung monatelang nach einer Lösung für einen speziellen ‚Wunsch des Regisseurs‘ gesucht und schließlich auch gefunden! Überhaupt haben alle Abteilungen des Theaters absolut Großartiges geleistet! Es wird wirklich ein Spektakel!
Also erhält auch „Chicago“ Deine ganz eigene, unverkennbare Note. Kannst Du uns hierzu schon mehr verraten? Warum sollten sich Musicalfans aus ganz Deutschland „Chicago“ auf dem Magdeburger Domplatz nicht entgehen lassen?
Ulrich Wiggers: Es handelt sich ja um eine Neuinszenierung; es darf und soll nichts mit der Fosse-Version zu tun haben. Und ich lese Stoffe gerne neu, lasse meiner Fantasie freien Lauf, aber immer im Sinne des Stückes.
Eine grundsätzliche Frage ist immer: Wie wollen wir heute mit einer überkommenen Geschichte umgehen? Wie können wir sie heute glaubwürdig erzählen? Ich habe mich zur Beantwortung dieser Fragen von zwei Sachverhalten inspirieren lassen: Einerseits stehen wir nur wenige Jahre vor dem 100-jährigen Jubiläum des zugrundeliegenden Theaterstücks. Und andererseits beschäftigten sich viele Künstler und Künstlerinnen in den 1920er Jahren mit der Frage nach Zukunftsvisionen, sowohl sozial als auch künstlerisch – man denke nur an Filme wie „Metropolis“.
Das haben wir in Verbindung gebracht mit dem zentralen Thema des Stücks, das ja eigentlich eine große Mediensatire ist: Zwei Mörderinnen kommen frei, weil sie schön, jung, sexy und weiblich sind. Das fand schon Gerichtsreporterin Maurine Dallas Watkins so empörend, dass sie in ihrer Satire den Hype um die Mörderinnen als Medienstars im wahrsten Sinne des Wortes „hochjazzte“ – und selbst uns als kritisches Publikum zu Komplizen der Täterinnen macht.
Die Aktualität einer solchen Infragestellung der Medien ist offensichtlich. Wir fanden es reizvoll, das Thema in der nahen Zukunft durchzuspielen und damit zuzuspitzen: Die Medien – und das sind im Jahr 2026 selbstredend nicht mehr nur die Zeitungen – sind allgegenwärtig: Zur Unterhaltung, aber auch zur Überwachung. Um dem Gefängnis zu entkommen, der Todesstrafe zu entgehen oder einen schnellen Gerichtstermin zu erhalten, werden die Insassinnen zu Selbstvermarkterinnen im Dienst der allgegenwärtigen, unterhaltungssüchtigen Öffentlichkeit: Wer gefällt, wer etwas Spektakuläres bietet, bekommt eine neue Chance – wem das nicht gelingt, wird hingerichtet. Ein Spiel um Leben und Tod, angeheizt von gerissenen Rechtsanwälten und Klatschkolumnistinnen. Jede hat etwas zu bieten, sei es Akrobatik, sei es ein herzzerreißendes Schicksal wie Roxie, die angeblich ein Kind im Gefängnis erwartet, oder sei es ein einzigartiger Stil, wie ihn Velma als 1920er Ikone zelebriert. Diese Herangehensweise hilft uns auch, das Kammerspiel, das „Chicago“ mit seinen sieben Hauptrollen eigentlich ist, in ein großes Domplatz-Spektakel zu verwandeln.
Wenn man sich die Kreativteams in Deinen Inszenierungen anschaut, dann fallen ziemlich oft die gleichen Namen. Welchen Einfluss hast Du als Regisseur auf die Zusammensetzung des Teams? „Die Chemie muss stimmen“ – welcher Bedeutung misst Du diesem Satz zu, wenn es um den Erfolg eines Stückes geht?
Ulrich Wiggers: Ich hatte bis jetzt immer das Glück, mein Kreativteam selbst zusammenstellen zu können! Und da tauchen immer wieder dieselben Namen auf: Kati Heidebrecht, Jonathan Huor und Leif-Erik Heine. Für mich ist dieses Verhältnis extrem wichtig: Man kennt sich, sie verstehen meine Gedankengänge, können auch damit umgehen, wenn ich mich als Regisseur in Choreos ‚einmische‘ oder noch in den letzten Wochen ‚was brauche‘. Es lässt sich eben nicht alles schon ein Jahr im Voraus planen. Wenn die Darsteller dazukommen und man im Probenprozess ist, da muss und will ich flexible sein können.
Von Magdeburg aus geht es in Dein zweites Wohnzimmer, nach Tecklenburg, wo Du dieses Jahr „Doktor Schiwago“ inszenierst. Erzähl‘ uns etwas zu dieser Produktion!
Ulrich Wiggers: Die Zuschauer können sich, wie immer in Tecklenburg, auf die erste Garde von Darstellern freuen. Eine besondere Herausforderung ist es sicher, den russischen Winter in den Tecklenburger Sommer zu bringen. Dazu die ungeheuer vielen und schnellen Szenenwechsel allein in den ersten 20 Minuten! Das stellte im Vorfeld eine große Herausforderung da, aber zusammen mit dem Intendanten Radulf Beuleke haben wir da eine schlüssige Lösung gefunden. Seid gespannt!
Deine Version von „Doktor Schiwago” in drei Worten?
Ulrich Wiggers: Emotional, emotional, hochemotional!
Also sollten wir Taschentücher einpacken. Jetzt mal weg von der Arbeit, auch wenn Du als ziemliches Arbeitstier bekannt bist. Gerade in Zeiten, in denen der Begriff ‚Work-Life Balance‘ immer öfter fällt: Was tust Du, um abzuschalten und runterzukommen? Hast Du einen idealen Rückzugsort?
Ulrich Wiggers: Ich habe mich vor Jahren für den idealen Rückzugsort entschieden: Mallorca. Da lebe ich, tanke auf und lasse meiner Fantasie freien Lauf! Und ich bin sehr dankbar, dass ich so leben und arbeiten darf!
Aus Deiner Sicht als Regisseur: Was zeichnet für dich einen idealen Darsteller oder eine ideale Darstellerin aus?
Ulrich Wiggers: Neugierig sollte er sein…und bereit, sich auch auf unbekanntes Terrain zu begeben. Sich als Darsteller ’neu zu entdecken‘. Und beim Probieren herauszufinden was funktioniert und was nicht! Wie ich schon gesagt habe, ist mir Textarbeit extrem wichtig. Ich bin eben ein Schauspieler, das kann und will ich auch nicht verleugnen. Ich möchte, dass meine Darsteller Fragen stellen – alle W-Fragen. Erst dann kann er und auch ich sicher sein, dass er in jeder Sekunde weiß, was er tut und warum!
Kannst Du uns schon verraten, wohin Dich Dein Weg als nächstes führen wird?
Ulrich Wiggers: Ich werde im Herbst wieder nach Magdeburg zurückkehren, um das Musical „Die Drei Musketiere“ zu inszenieren. Im Anschluss geht es sozusagen auf die ‚andere Straßenseite‘ ins Schauspielhaus. Dort werde ich beim Schauspiel „Meisterklasse“ Regie führen. Und für den nächsten Sommer kommen auch bald Neuigkeiten…
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