Dracula
Basel / 2004

Deutschsprachige Erstaufnahme der Svoboda/Borovec/Hes-Version mit Ethan Freeman, Cornelia Drese, Florian Schneider, Eveline Suter, Ken Posey und Patrick Biagioli.


Die tschechische „Dracula“-Variante wurde 1995 uraufgeführt, und das merkt man. Denn das Musical von Karel Svoboda, Zdenek Borovec und Richard Hes steht in der Reihe der großen dramatischen Musicals aus den 90ern, die heute kommerziell kaum mehr eine Chance, aber dafür (zu Recht) eine treue Fangemeinde haben. Wer „Tanz der Vampire“ und „Jekyll & Hyde“ mag, der wird „Dracula“ lieben.

Denn das Stück vereint alles, was in dieser Epoche Rang hat: große Pop-Arien à la Wildhorn („Hab mich an dich verloren“), bedrohlich-hypnotische Klänge („Wenn die Trommeln erdröhnen“), romantisch-verträumte Duette („Wir zwei!“), witzig-erotische Musik-Dialoge („Blutsverwandte“), schwungvoll-traurige Huren-Ensembles („Nacht für Nacht“/“Sexy musst du sein“).

Und TdV-Fans brauchen weder auf die unstillbare Gier („Draculas Monolg“), noch auf die spitzbübische Leichtigkeit eines Professors („Ein weit verbreitetes Syndrom“) oder einen verzweifelt-trotteligen Alfred-Verwandten („Ein schrecklicher Verdacht“) verzichten [die Ähnlichkeiten ergeben sich nach dem Höreindruck, auf der Bühne mag es durchaus größere inhaltliche Unterschiede geben].Also alles abgekupfert? Davon mal abgesehen, dass „Dracula“ noch vor dem „Tanz der Vampire“ auf den Markt kam: Nein. Denn die meisten Nummern und Figuren sind zugleich so originell oder doch zumindest eigenständig, dass sich eine organische Aufnahme ergibt – spannend, witzig und trotz der Dramatik doch angenehm leicht.Für die Aufnahme (Musical Supervisor: Kenneth Posey) wurde eine Cast zusammengestellt, die nur zum Teil mit der Besetzung der deutschsprachigen Erstaufführung in Basel identisch ist: Ethan Freeman in der Titelrolle, dazu Eveline Suter (Adriana/Sandra), Florian Schneider (Scapino) und Patrick Biagioli (Steven). Außerdem dabei: Cornelia Drese (Lorraine), Ken Posey (Priester) und Katherine Krueger, Joana-Maria Rueffer und Monika-Julia Dehnert als Nymphen.

Der 18-köpfige Chor, auf der CD fast nur am Anfang und am Ende zu hören, ist u. a. mit Solisten des Berliner „Les Misérables“-Ensembles bestückt. Durch die Bank sind alle Rollen hervorragend besetzt, Ausfälle gibt es keine. Cornelia Drese meistert auch die einzige Rocknummer („Umsonst, vorbei“), Ethan Freeman, bekannt für seine enorme Bühnenpräsenz, strahlt auch auf der CD in jeder Sekunde das gewisse Etwas aus.Ebenfalls gelungen ist die deutsche Übersetzung von Michael Kunze, die mit einer Ausnahme („ich will dich nicht mehr missen“ als Ausdruck von Begierde) nicht nur unfallfrei, sondern lyrisch in den dramatischen und ziemlich komisch in den witzigen Passagen ist (etwa wenn Scapino seinem selbstmitleidigen Patienten Dracula genüsslich eine „Sie sind unheilbar gesund“-Diagnose zuwirft).Einziges Manko: Das spärliche Vier-Seiten-Cover, das außer der Songliste und der Besetzung praktisch keine Informationen enthält. Ein paar Fotos wären nett gewesen, Songtexte sollten bei einer deutschsprachigen Erstaufnahme eigentlich Standard sein.Natürlich sind Geschmäcker verschieden. Wer „Jekyll & Hyde“ für belanglos-schmalzig und „Tanz der Vampire“ für dümmlich hält, der wird auch „Dracula“ in die Schublade „Pop-Kitsch“ einordnen. Für alle anderen: Diese Produktion sollte man sich nicht entgehen lassen.

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