Schikaneder
Wien / 2016

Stephen Schwartz‘ „Zauberflöten“-Musical überzeugt mit vielen wunderbaren musikalischen Ideen, tollen Interpreten und vor allem durch seine stilistische Einzigartigkeit. Die große Lust des „Wicked“-Komponisten am kunstvollen Spiel mit Mozarts „Zauberflöte“ ist jedem der insgesamt 29 prächtig orchestrierten Songs deutlich anzuhören.


„Schikaneder“ ist die sicherlich ambitionierteste und aufwendigste Produktion der Vereinigten Bühnen Wien seit langer langer Zeit. Das sieht man auch daran, dass die dazugehörige Cast-Aufnahme nicht wie zuletzt üblich als Live-Mitschnitt veröffentlicht, sondern mit viel Sorgfalt eigens im Studio eingesungen worden ist. Auch die aus heutiger Sparbrötchensicht schier atemberaubende Orchestergröße von sage und schreibe 32 Musikern macht dieses Stück gefühlt zu einem Werk der Achtziger- oder Neunzigerjahre, in denen in der Musicalwelt nichts zu groß, nichts zu prächtig und nichts zu teuer erschien. Das passt zu der großspurigen Persönlichkeit des Emanuel Schikaneder. Musikalisch ist das Werk jedoch durch und durch zeitlos, denn es fühlt sich einer als Singspiel bezeichneten Oper verpflichtet, die die Menschen seit mehr als zweihundert Jahren zu entzücken vermag.

Stephen Schwartz hat für sein neues Werk ein musikalisches Konzept entworfen, mit dem er modernes Musiktheater in das klassische Gewand von Mozarts Musik kleiden kann. Zeitgenössische dramaturgische Regeln kommen hierdurch gleichermaßen zu ihrem Recht wie der unverwechselbare musikalische Stil und Tonfall der „Zauberflöte“. Wie bei Mozart kommentiert die Musik die Erzählhandlung, parodiert, nimmt vorweg, ergänzt oder unterstreicht. Die ideenreiche Partitur ist gespickt mit augenzwinkernden Verweisen und lustvollen Opernparodien. Ein geradezu köstliches Schmankerl ist etwa der Song „Ich? Warum?“, bei dem Josepha Hofer, Benedikt Schack und Barbara Gerl (gesungen von Katja Reichert, Armin Kahl und Franziska Schuster) im Stil ihrer „Zauberflöten“-Rollen der Königin der Nacht, des Tamino und der Papagena ein furioses Terzett zum Besten geben. Inhaltlich ist der Song zwar völlig sinnentleert, musikalisch jedoch ein hinreißendes Vergnügen. Typisch „Zauberflöte“ eben. Schwartz setzt bewusst immer wieder Mozart-Manierismen ein, jedoch ohne dabei heiligen Ernst an den Tag zu legen. Im Kontext der fröhlichen „Zauberflöte“ ist diese Verspieltheit sicherlich das geeignete Mittel. Der große Klangkörper unter der versierten Leitung von Koen Schoots liefert ein üppiges orchestrales Fundament für dieses Werk, das wunderbare sinfonische Passagen enthält wie etwa den Übergang zu dem bittersüßen Song „Wegzusehen“, mit dem Eleonore ihr Schicksal als betrogene Ehefrau beklagt.

In der Rolle der Eleonore brilliert Milica Jovanović mit großer stimmlicher Grandezza und vielschichtigen Interpretationen. Auch wenn es sich bei der Doppel-CD um keine Gesamtaufnahme handelt und daher die für das Gesamtverständnis des Bühnengeschehens notwendigen gesprochenen Passagen fehlen, spiegeln sich in ihren Songs dennoch sehr gut die Gefühlsambivalenzen von Schikaneders leidgeprüfter Ehefrau wieder. Resolut im Ehe-Zank und als Geschäftsfrau, verzweifelnd und zerbrechlich in ihrer Beziehung zu Emanuel. Allein der Klang ihrer vollen, facettenreichen Sopranstimme rechtfertigt die Anschaffung dieser Aufnahme. Auch Mark Seibert in der Titelrolle weiß mit einer großen Bandbreite zu glänzen: Bei „So viele Fische im Meer“ mit der schön herausgestellten Zerrissenheit, die ein aufgeblasener Narzisst empfindet, wenn er gerade unverschämterweise von seiner Frau verlassen wurde, und bei dem Song „Letzter Vorhang“ mit empfindsam-verletzlicher Stimme. Katie Hall amüsiert als törichte Schikaneder-Geliebte Maria Anna Miller mit überdrehter Affinität zu Koloraturen, Reinwald Kranner als Karl Marinelli malt seinen Part des giftigen Konkurrenten lustvoll mit dem ganz großen Pinsel, Florian Peters hat als Johann Friedel sehr schöne eindringliche Momente und Hardy Rudolz gibt mit viel Sentiment in der Stimme den Theaterprinzipal Franz Moser.

Dass die Show in Sachen Ticketverkauf bei aller Qualität zumindest bislang nicht die hohen Erwartungen erfüllen konnte, dürfte vor allem dem Umstand geschuldet sein, dass Rezitative und opernhafte Songs eben kein ausgesprochenes Hitpotential in sich tragen. Das heißt jedoch nicht, dass dieses Werk nicht über große und eingängige Melodien verfügt – einzig der Songaufbau ist im Vergleich zu heutiger populärer Musik schlichtweg ein anderer. Die Hitschreiber-Qualitäten von Schwartz scheinen jedoch bei genauerem Hinhören immer wieder unüberhörbar durch, so etwa auch bei Eleonores dramatischer Emanzipationshymne „Mein Lied“, die in leicht modifizierter Form auch jeder modernen Disney-Prinzessin gut zu Gesicht stehen würde. Wer Musiktheater liebt, dem sei diese Einspielung wärmstens ans Herz gelegt, denn so oft kommt ein Werk solcher Qualität tatsächlich nicht auf den Markt.

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