Auf dem Programmheft, das beim Konzert der Wiener Symphoniker im Musikverein ausgelegt ist, wird die Uraufführung zweier Musical-Suiten und die erste Sinfonie Frank Wildhorns untertitelt mit „Der Broadway-Star in Wien“. Der so angekündigte Komponist bleibt beim Konzert selbst allerdings beinahe komplett im Hintergrund. Ließe sich nicht vor dem Konzert und in den Pausen eine kleine Menschentraube um ihn herum ausmachen, könnte man ihn beinahe für einen gewöhnlichen Konzertbesucher halten. Frank Wildhorn überlässt es ganz den Wiener Symphonikern unter der Leitung von Koen Schoots, an diesem Abend zu strahlen.
Der Abend beginnt mit der „Jekyll & Hyde“-Suite in der Bearbeitung von Kim Scharnberg, der sich seine ursprünglichen Arrangements nach knapp vierzig Jahren nochmal vorgenommen hat und daraus eine Orchester-Suite von Wildhorns Erstlings-Werk und zweifelsohne größten Broadway-Erfolg geschaffen hat. Wer auf neue, innovative Aspekte in der Bearbeitung hofft, wird allerdings enttäuscht. Die „Jekyll & Hyde“-Suite bildet vielmehr eine Zusammenfassung der großen Melodien im gewohnten Gewand. Auch der sich beinahe schon aufdrängende orchestrale Dialog zwischen Gut und Böse – zwischen Dr. Jekyll und Mr. Hyde findet nicht statt. Nach und nach ziehen die großen Nummern der Show am Publikum vorüber. Scharnberg bleibt sich bei seiner Arbeit komplett treu. Der Prolog wird beispielsweise komplett der Show entnommen und geht dann in gewohnter Art und Weise in „Lost in the Darkness“ und „I Need to Know“ über. Nach knapp fünfundzwanzig Minuten endet das Wiederhören der großen „Jekyll & Hyde“-Hits wie „This Is the Moment“ oder „Someone Like You“ mit „A New Life“ – und der Erkenntnis, dass die Suite der Show bedauerlicherweise kein neues Leben einhauchen konnte.
Die zweite Suite des Abends ist dem deutlich später entstandenen und am Broadway – im Gegensatz zum deutschsprachigen Raum – weit weniger erfolgreichen „Dracula“ gewidmet. Für diese Bearbeitung ist Koen Schoots, der an diesem Abend auch am Dirigentenpult steht, verantwortlich. Er reduziert die Musical-Partitur allerdings nicht nur auf die großen Melodien, sondern vermag es in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit die komplette Geschichte „Draculas“ orchestral zu erzählen. Er verwebt dabei sehr kunstvoll die Leitmotive der Show miteinander und vergisst auch nicht, Reflexionen wie „Before the Summer Ends“ mit aufzunehmen. Auch in dieser Suite wird dem Publikum kein neuer Blick auf das zugrundeliegende Musical offenbar. Doch anders als bei der „Jekyll & Hyde“-Suite gelingt es hier, ein eigenständiges Werk zu kreieren, das neben dem Musical „Dracula“ bestehen kann.
Die beiden Orchestersuiten bereiten jedoch nur auf den Höhepunkt des Abends vor – die Uraufführung eines gänzlich neuen Wildhorn-Werks, der „Donau Symphonie“. Frank Wildhorn muss sich oft den Vorwurf gefallen lassen, seine Musicals seien wie Fließbandware produziert und die Musik dieser Shows sei komplett austauschbar. Eindrücklich vorgemacht hat Wildhorn dies dann auch selbst, als sein Song „Only Love“ aus „Scarlet Pimpernel“ eins zu eins in „Rudolf – Affäre Mayerling“ wieder aufgetaucht ist. Mit der „Donau Symphonie“ schafft es Wildhorn allerdings, sich komplett freizuschwimmen von seinen bisherigen Werken. Wie Smetanas Moldau folgt Wildhorn dem Verlauf der Donau und erzählt an verschiedenen Stationen Geschichten über die Menschen, deren Schicksal mit dem Fluß verbunden ist („Procession of Heroes“), malt Bilder von den Jahreszeiten an der Donau („Colors of Winter“) oder teilt auch ganz persönliche Erinnerungen („Song for My Father“). Dabei zitiert und verneigt sich Wildhorn vor den großen europäischen Komponisten wie Strauss und Brahms, ohne sie zu plagiieren.
Die Musik der „Donau Symphonie“ ist mal mächtig und prächtig, mal aufwühlend und dann wieder ganz leise und verspielt. Bei den Wiener Symphonikern unter der Leitung von Koen Schoots ist dieses Werk natürlich bestens aufgehoben. Schoots kennt zweifelsohne sowohl Frank Wildhorn persönlich als auch seine Arbeit besonders tief und genau. Wenn Schoots Wildhorn dirigiert, wird seine Musik auf eine ganz besondere Art und Weise mit Leben gefüllt. Es donnert und grollt in einem Moment und es meditiert und verführt kurz darauf. Im Vergleich zur im letzten Frühjahr erschienenen CD-Einspielung klingen die Wiener Symphoniker mit ihren über 90 Personen auf der Bühne noch lebendiger und an manchen Stellen noch ausgefeilter. So zum Beispiel dann, wenn über der Melodie zusätzlich leise, kaum hörbare Glockenschläge liegen.
Im Programmheft sagt Frank Wildhorn, dass sein Leben ein unaufhörlicher Fluss der Kreativität sei. Er schafft es mit seiner „Donau Symphonie“, sich komplett neu zu erfinden und die (ohnehin künstliche) Trennung zwischen U- und E-Musik zu überwinden. Einen passenderen Ort hierfür als den altehrwürdigen Wiener Musikverein, das Stammhaus der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, gibt es wohl nicht, erklären sie doch in ihren Statuten „die Emporbringung der Musik in allen ihren Zweigen“ seit 1814 zum Hauptzweck des Vereins.
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