Jennifer Sabel (Mom Shery), Gerald Michel (Dad Richard), Christoph Götz (Uncle Frank), Florentine Beyer (Olive), Emil Gutheil (Brother Dwanye) © Silke Winkler
Jennifer Sabel (Mom Shery), Gerald Michel (Dad Richard), Christoph Götz (Uncle Frank), Florentine Beyer (Olive), Emil Gutheil (Brother Dwanye) © Silke Winkler

Little Miss Sunshine (2023)
Mecklenburgisches Staatstheater, Schwerin

Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
 

Es ist erfreulich, wenn sich kommunalfinanzierte Häuser mit einer deutschsprachigen Erstaufführung an neue Musicals wagen. Ärgerlich ist dann allerdings, wenn die slapstickartige Inszenierung und der fehlbesetzte Cast das Stück total gegen die Wand fahren.

Familie Hoover unternimmt in einem gelben Bus einen Roadtrip von New Mexico nach Kalifornien. Allerdings nicht, um dort Urlaub zu machen, sondern um Töchterchen Olive ihren großen Traum zu erfüllen: Sie möchte die erste Miss America aus New Mexico werden. Diese Chance erhält das pummelige Mädchen ohne Model-Maße und mit großer Brille auf der Nase allerdings nur, weil ihr beim Regionalwettbewerb zur Wahl der Little Miss Sunshine nachträglich der Titel zuerkannt worden ist. Auf der Fahrt quer durch die USA kommt es zwischen den einzelnen Familienmitgliedern auf engstem Raum zu Turbulenzen und Differenzen. Auch wenn ein gerissenes Kupplungsseil und der plötzliche Tod des rauschgiftsüchtigen Großvaters das pünktliche Eintreffen beim landesweiten Endausscheid gefährden, treffen die Hoovers gerade noch rechtzeitig in der Glitzer-Metropole ein. Beim Wettbewerb hebt sich Olive nicht nur optisch von allen anderen, auf kindliche Perfektion getrimmten Kandidatinnen ab, sondern provoziert auch mit einem obszönen Striptease-Auftritt. Anstatt der Aufforderung des Veranstalters nachzukommen, die Tochter von der Bühne zu entfernen, zeigt sich die ganze Familie mit ihr solidarisch und tanzt mit Olive dort weiter. Somit kittet ein absurder Traum eines kleinen Mädchens eine zerrüttete Familie.

Aus dem Drehbuch von Michael Arndt entstand 2006 der mit zwei Oscars und weiteren Auszeichnungen dekorierte Film „Little Miss Sunshine“. Fünf Jahre später wurde die gleichnamige Musicaladaption von William Finn (Musik und Liedtexte) und James Lapine (Buch) uraufgeführt, die in diesem Sommer auf Deutsch erstmals in Schwerin auf die Open-Air-Bühne kommt.

Ausstatterin Cary Gayler hat dafür Großartiges geleistet. Ihr quietschbunter, stilisierter Bühnenhintergrund zaubert im historischen Schlossinnenhof amerikanische Atmosphäre, die mit ihren Leuchtreklamen bei einbrechender Dunkelheit besonders gut Wirkung entfaltet. Für den Bus, der im Hof herumfährt und auf der Drehscheibe in der Bühnenmitte die Reise simuliert, wurde ein echter PKW umgebaut. Durch das Entfernen aller Scheiben und Hinzufügen einer bespielbaren Ebene auf dem Dach entsteht der beengte Raum, den das Buch für die Handlung fordert. Wenige Kulissenteile, wie zum Beispiel ein überdimensionales Krönchen als Austragungsort für die Miss-Wahl, werden von Bühnenarbeitern in Ganzkörper-Kaktus-Kostümen auf die Bühne gerollt. Auch die anderen Kostümentwürfe von Gayler passen auf dem Punkt zum Stück.

Die Partitur von William Finn ist kein vor Ohrwürmern strotzendes Hit-Musical und klingt oft nach Kinderlied, was allerdings zum Stück passt. Die im Hintergrund links ins Bühnenbild integrierte Band unter der souveränen Leitung von Bettina Ostermeier am Keyboard bleibt hier musikalisch nichts schuldig. Ein Lob auch an die Tonabteilung, die gerade in der akustisch schwierigen Lokalität des Schlossinnenhofes mit seinen hohen Mauern gute Arbeit leistet.

Ist die (Film-)Vorlage noch eine Tragikomödie mit Tiefgang, deutet Katja Wolff das Stück in ihrer Inszenierung als Schenkelklopf-Boulevardtheaterstück mit unangemessenen Slapstick-Einlagen um. Bereits in den ersten Szenen fällt es schwer, sich auf den Text und die Personen zu konzentrieren, weil die Regisseurin die Familienmitglieder nach einer gemeinsamen Mahlzeit die in eine Tischdecke eingewickelten Fast-Food-Verpackungen hektisch herumtragen und von einer zur nächsten Person weiterreichen lässt. Gleiches Inszenierungs-Muster beim Antritt der Reise, bei dem alle emsig versuchen, je zwei Gepäckstücke und sich selbst in einem Fahrzeug zu verstauen, das dafür viel zu klein ist.  

Ein weiteres Ärgernis in Wolffs Regie-Arbeit ist die Stimme der „Navi-Schlampe“, die mit ihren albernen Ansagen den Hoovers und den Zuschauern erklärt, wo die nächste Szene („Arizonas viert beliebtester Rastplatz“) spielt. Genauso übertrieben sind Zeichnungen der Charaktere, die nicht zur Familie gehören. Wenn die Hoovers von einem völlig überdrehten Doktor vom Tod des Großvaters erfahren und von einer schlurfenden Sterbebegleiterin mit Kippe im Mund betreut werden, dann sind diese Klamauk-Zutaten für die Szene völlig unangemessen.

Die Tragik des Stücks – jedes Familienmitglied erlebt während der Reise einen Schicksalsschlag – blitzt in dieser oberflächlichen Spaß-Inszenierung nur sehr verhalten auf: Wenn zum Beispiel Mutter Sheryls schwuler Bruder Frank auf einer Toilette zufällig den Mann trifft, der ihm seinen jungen Lover Joshua ausgespannt und in einen Selbstmordversuch getrieben hat, dann thematisiert der Text vom Song „Wie es mir geht?“ Franks schlechten seelischen Zustand. Hier hält die Inszenierung zwar kurz inne, nur um im nächsten Moment holzhammerartig ein tuntiges Klischee-Schwulen-Pärchen zu präsentieren. Dabei scheint der Regisseurin gar nicht aufgefallen zu sein, dass der Ex im Buch ein junger Student ist, während der Joshua auf der Bühne bereits im 34. Semester zu sein scheint.

„Zufrieden ist, wer seine Erwartungen senkt“. Dieses Zitat aus dem Stück bringt die gesanglichen Leistungen bei dieser deutschsprachigen Erstaufführung auf den Punkt. Ohne Ausnahme merkt man den Darstellern aus dem hauseigenen Schauspiel-Ensemble an, dass sie keine ausgebildeten Sänger sind. Die Spitzentöne wackeln, Tiefen werden vergluckst und so manche Gesangslinie verschwindet einfach. Emil Gutheil (Dwayne Hoover), Christoph Götz (Uncle Frank), Marko Dyrlich (u. a. Ex Joshua), Jochen Fahr (u. a. Larry) und Clara Wolfram (u. a. Miss California) erweisen sich als Interpreten in einem Musical als komplette Fehlbesetzungen.

Etwas besser schlägt sich Frank Wiegard als Grandpa, der mit seinen Vorlieben für Sex und Drogen den Song „Der glücklichste Typ hier im Bus“ als anständigen Showstopper präsentiert. Berührend auch sein Song „Das hübscheste Mädchen der Welt“. Für die Rolle der Mutter Sheryl ist Jennifer Sabel sehr jung und kämpft sich verbissen und akzeptabel durch ihre vielen Gesangsaufgaben. Gemeinsam mit dem gastverpflichteten Gerald Michel als Vater Richard gelingt ihr in der Ballade „Stolz sein“ ein Hauch von Musical-Zauber. Michel berührt besonders im Song „Was von dir bleibt“, in dem er Frieden mit seinem verstorbenen Vater schließt.

Der wahre Star des Abends heißt Florentine Beyer. Als Olive ist die junge Musical-Darstellerin eine Traumbesetzung in einer Rolle, die eigentlich für eine Kinderdarstellerin geschrieben worden ist. Beyer ist sowohl herrlich naiv, aber auch ein Mädchen, das für ihre Träume und Ideale kämpft, dann aber auch ihre Grenzen erkennt. Diesen süßen Fratz muss man einfach gerne haben und in ihrem Strip-Auftritt zum Song „Shake deinen Badonkadonk“ dreht sie tänzerisch, mimisch und gesanglich so richtig auf und darf endlich zeigen, was in ihr steckt. Den Titel dieses Songs sollte Übersetzer Robin Kulisch allerdings noch einmal überarbeiten, da er in seiner insgesamt guten deutschen Fassung wie ein Fremdkörper wirkt.

Das Mecklenburgische Staatstheater hat der Musical-Szene in Deutschland mit „Little Miss Sunshine“ einen Bärendienst erwiesen. Das Stück besitzt weitaus mehr Potenzial als in dieser deutschsprachigen Erstaufführung steckt und es stellt sich die Frage, warum sich das Haus überhaupt die Rechte daran gesichert hat.

 

Buch von James Lapine
Musik und Gesangstexte von William Finn
Deutsch von Robin Kulisch

 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
KREATIVTEAM
Musikalische LeitungBettina Ostermeier
InszenierungKatja Wolff
AusstattungCary Gayler
ChoreografieThomas Helmut Heep
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
CAST (AKTUELL)
OliveFlorentine Beyer
Mom SherylJennifer Sabel
Dad RichardGerald Michel
Brother DwayneEmil Gutheil
GrandpaFrank Wiegard
Uncle FrankChristoph Götz
Ex Joshua / Kirby / Funeral Home WorkerMarko Dyrlich
Larry / Buddy / DoctorJochen Fahr
Linda / Miss CaliforniaClara Wolfram
Stimme NavigationsgerätKatrin Heinrich
  
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
TERMINE
keine aktuellen Termine
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
TERMINE (HISTORY)
Sa, 01.07.2023 20:30Schlossinnenhof, SchwerinPremiere
So, 02.07.2023 19:00Schlossinnenhof, Schwerin
Mi, 05.07.2023 20:30Schlossinnenhof, Schwerin
▼ 11 weitere Termine einblenden (bis 22.07.2023) ▼
Zur Zeit steht die Funktion 'Leserbewertung' noch nicht (wieder) zur Verfügung. Wir arbeiten daran, dass das bald wieder möglich wird.
Overlay