Kurosch Abbasi, Femke Soetenga © Sabine Haymann
Kurosch Abbasi, Femke Soetenga © Sabine Haymann

Doktor Schiwago (2018 - 2019)
Theater, Pforzheim

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Um gut 45 Minuten gekürzt, eilt die Pforzheimer Inszenierung durch die epische Geschichte des Dichters und Arztes Jurij Schiwago. Nur bei den Liebes-Duetten darf der Zuschauer kurz verschnaufen. Zwar sind Musik und Buch nicht durchgängig gelungen, doch sie bieten mehr, als der Regisseur letzten Endes daraus macht. Dazu gelingt es nur einem Teil der Ensemblemitglieder, die großen Emotionen auf der Bühne glaubhaft wiederzugeben und das Publikum mitfiebern zu lassen.

Besonders bei zwei eigentlich starken Figuren fällt schwer ins Gewicht, dass es ihre Darstellern an Überzeugungskraft fehlt: Laras Ehemann Pascha, der unter dem Namen Strelnikow zu einem gefürchteten Anführer der Roten Armee wird, und Viktor Komarowskij, der sich das Vermögen der Familie Schiwago angeeignet hat und die junge Lara missbraucht. Ingo Wagner hat zwar Präsenz und seine Tanzeinlage überrascht positiv, aber er kann darstellerisch und durch seinen forcierten Gesang weder Paschas Gefühle für Lara noch das Brennen für seine politische Gesinnung glaubhaft vermitteln. Spencer Mason verfügt mit seinem Bassbariton über eine Stimmlage, die ihn für einen geschmeidigen Fiesling prädestiniert, aber seine steife Darstellung schlägt sich auch gesanglich nieder. Als Komarovskij fehlt ihm der Charme eines diabolischen Verführers, der sich als cleverer Opportunist jeder neuen Staatsführung chamäleonartig anschließt.

Die Darstellerinnen können da deutlichere Akzente setzen. Stamatia Gerothanasi berührt als Schiwagos betrogene Ehefrau Tonia. Ihr Duett mit Lara „Und doch wundert es mich nicht“ ist eines der schönsten Lieder des Stücks. Lilian Huynen kann zwei kleinen Rollen Profil verleihen: Als Tonias Mutter und besonders als Frau, die bei den Partisanen Selbstmord begeht, bewegt sie durch zurückgenommenes Spiel und Ausstrahlungskraft.

Ihre Natürlichkeit, die von einem leichten Sopran unterstrichen wird, hebt Anna Gütter positiv vom Rest des Ensembles ab. Sie macht Laras Entwicklung vom missbrauchten Mädchen zur selbstbewussten Frau nachvollziehbar und harmoniert sehr gut mit Kurosch Abbasi. Er hat mit der Titelfigur eine besonders herausfordernde Rolle übernommen. Jurij Schiwago ist ein passiver Charakter. Sein Leben ist von Fremdeinwirkung bestimmt; seine Frau Tonia und seine Geliebte Lara stehen patenter im Leben als er. In Roman und Verfilmung bleibt er deshalb – und durch die starken Nebenfiguren – blass. Im Musical bekommt er durch seine Soli mehr Möglichkeiten, seine Gedanken und Gefühle auszudrücken und seinen Charakter zu unterfüttern. Abbasi tut dies mit starker Stimme, ohne ins Brüllen zu geraten. Nur dass er im Finale als bleicher Geist auftritt, verwundert mehr, als es berührt.

Die nicht übermäßig große Bühne ist, bis auf eine große runde Holzkonstruktion, leer. Das drehbare Gestell aus filigranen Verzweigungen, lässt es zu, in Windeseile abstrakt konturierte Spielorte anzudeuten. Jörg Brombacher hat damit eine praktische, aber nicht sonderlich schöne Möglichkeit gefunden, die Ortswechsel einfach zu gestalten. Für optische Abwechslung sorgen die vielen Kostüme von Ruth Groß, die alle Register von der historischen Abendgarderobe bis zur russischen Tracht ziehen.

Regisseur Tobis Materna hat alle Hände voll zu tun, das große Ensemble auf der Bühne in geordnete Positionen zu bringen. Bis auf den etwas unüberschaubaren Anfang, in dem die vielen Figuren und ihre Hintergründe mit knappen Sätzen hektisch eingeführt werden, gelingt ihm das gut. Aber außer Massen zu dirigieren, fällt ihm wenig ein. Die einzelnen Stationen der Geschichte werden brav abgehakt. Materna lässt seinen Darstellerinnen und Darstellern zu viel hölzernes Schauspiel mit übertriebener Betonung und großen Gesten durchgehen. Das Buch des Musicals wird – anders als seine literarische Vorlage – nicht mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet werden. Die floskelhaften Dialoge sind oft rein funktional, erklären, wo man sich gerade befindet, was politisch passiert ist oder warum eine Figur nicht mehr auftaucht. Umso schwerer sind sie mit Leben zu füllen – und daran scheitert die Mehrheit des Ensembles.

Die Badische Philharmonie Pforzheim nimmt sich unter der Leitung von Philipp Haag beherzt der Partitur an. Die Musiker legen einen satten Klangteppich aus, in dem die Zwischentöne ein wenig verlorengehen. Lucy Simons Musik ist immer dann am stärksten, wenn sie in die Vollen gehen kann. Die Chöre und die folkloristischen Akzente sind gelungen, das Quintett im zweiten Akt besitzt sogar opernhafte Pracht mit Gänsehaut-Garantie, aber viele Songs sind zu beliebig geraten.

In New York ein Flop, in Leipzig ein Hit, auch in Pforzheim nahezu ausverkauft, erobert sich „Doktor Schiwago“ nun peu à peu die deutschsprachigen Bühnen. Boris Pasternaks Roman mit seinem historischen Hintergrund und der emotionalen Handlung ist ein guter Musicalstoff. Aber es braucht ein durchgängig starkes Ensemble, um die Mängel der Bühnenversion auszugleichen.

 
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KREATIVTEAM
Musikalische LeitungPhilipp Haag
InszenierungTobias Materna
BühneJörg Brombacher
KostümeRuth Groß
 
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CAST (AKTUELL)
Jurij SchiwagoKurosch Abbasi
Paul Jadach
Larissa Guichard
(Lara)
Femke Soetenga
Anna Gütte
Viktor KomarovskijSpencer Mason
Pawel Antipov, später StrelnikowJulian Culemann
Ingo Wagner
Antonina Alexándrowna Gromeko
(Tonia)
Stamatia Gerothanasi
Natasha Sallès
Olga, eine KrankenschwesterNatasha Sallès
Stamatia Gerothanasi
Anna Iwanowna GromekoLilian Huynen
Alexander Alexandritsch GromekoKlaus Geber
Gints / Funktionär 2Frank Traub
LiberiusHolger Wecht
Janko
(junger Soldat), Funktionär 1
Ingo Wagner
Enes Sahin
Amalja
(Laras Mutter) / Stepka / Jelenka
(Bibliotheksmitarbeiterin)
Manuela Wagner
Warja
(Krankenschwester)
Angela D'Antuono
Gitte Pleyer
TusiaRigobert Störkle
Brian Garner
KubarichaLilian Huynen
MarkelKarel Pajer
Tusias Verlobte / Marfa
(Krankenschwester)
Angela Wollschläger
Funktionär 3 / Soldat 1 / Sprecher des VolkstribunalsSteffen Fichtner
Soldat 2 / PartisanLothar Helm
Staatsanwalt / Passant / Priester
(Finale)
Thorsten Klein
Nikolaj / Mischa / Quartiermeister / junger BauerDorlir Ahmeti
BahnhofsvorsteherIvan Zlabek
Junge Lara / Katharina
(Laras Tochter)
Liliane Friedl
Cora Frank
Junge ToniaSwaantje Schwarzien
Marie Näher
Junger Juri / SaschaTobias Kienzle
Elias El-Idrissi
Roman Ziems
Beerdigungsgäste / Hochzeitsgäste / Studenten / PartisanenChor
Krankenschwestern / Flüchtlinge / Frauen bei der LandarbeitDamenchor
Soldaten / Funktionäre / KosakenHerrenchor
Hochzeitsgäste / Partisanen / DiverseStatisterie
Chor des Theaters Pforzheim
Extrachor des Theaters Pforzheim
Badische Philharmonie Pforzheim
  
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TERMINE
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TERMINE (HISTORY)
Fr, 28.09.2018 19:30Theater, PforzheimPremiere
Fr, 28.09.2018 20:00Theater, Pforzheim
Do, 04.10.2018 20:00Theater, Pforzheim
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