Ein modernes Musical mit einem Mix aus lateinamerikanischer Musik und Rap mit Orchester, Chor und Ballett an einem Stadttheater? Das Theater Hagen beweist zusammen mit der Hochschule Osnabrück, dass dies gut gelingen kann. Der Flair und die gute Stimmung des Stückes übertragen sich leicht auf die Zuschauer.
Bei den Party- und Tanzszenen mit schwungvollen Salsa- und Merengue-Nummern und lateinamerikanischer Lebensfreude bebt die Bühne immer wieder gewaltig. Andererseits entstehen auch ergreifende, melancholische Momente. Dieses Stück lebt von den verschiedenen Emotionen und setzt weniger auf eine durchgehende Handlung. Die Bewohner der Washington Heights am nördlichsten Punkt von Manhattan mit ihrer freundschaftlichen und familiären Verbundenheit stehen im Vordergrund.
Dort leben größtenteils Immigranten aus Lateinamerika in nahezu dörflichen Strukturen mit entsprechendem Zusammengehörigkeitsgefühl. Ein Ausbrechen aus dieser sozialschwachen Subkultur ist schwer. Nina Rosaria scheint es geschafft zu haben, denn sie studiert an der Stanford-Eliteuniversität in Kalifornien. Sie traut sich allerdings nicht, ihren Eltern und Freunden mitzuteilen, dass sie ihr Stipendium bereits vor vier Monaten verloren hat und die Uni schmeißen will. Auch die weiteren Figuren träumen von einem besseren Leben in einer anderen Gegend: Vanessa möchte ihren eigenen Friseursalon näher im Stadtzentrum eröffnen, Abuela Claudia und Usnavi wollen zurück in ihre Heimat, die Dominikanische Republik. Ein unverhoffter Lottogewinn Claudias scheint dies möglich zu machen.
In Hagen ist eine Mischung aus Studenten, jungen Absolventen und erfahrenen (Opern-)Sängern zu sehen. Als zentrale Figur des durch die Handlung führenden Coffeeshop-Besitzer Usnavi ist Felix Freund sehr sympathisch und präsent. Stets mit hellem Sakko und Hut gekleidet, glänzt er mit seinen sehr gut verständlichen Rap-Einlagen und lässigen Movements sowie seinem vollen Tenor. Seine schüchterne Zuneigung zu Vanessa ist glaubwürdig. Kara Kemenys Nina kommt situationsbedingt zurückhaltend und geläutert daher. Sie meistert ihren anspruchsvollen Gesangspart mit der gleichen Leichtigkeit wie Celina Pieper als temperamentvolle Friseurin Vanessa, die dazu mit ihrer einnehmenden Bühnenpräsenz im roten, kurzen Kleid punktet. Die gleiche Ebene erreicht auch Annina Hempel als ihre kecke Chefin Daniela, die vor allem bei der Tanz-Nummer „Carnaval del Barrio“ als quirlige Latina überzeugt. Carolina Walker gleicht durch ihre glaubhafte Interpretation von Ninas besorgter Mutter ihre fehlenden Jahre mit starker Stimme aus. Als Vater Kevin Rosario lässt Jonathan Agar seine Aufopferung für die Familie durch seine Körperhaltung deutlich erkennen.
Problematisch ist die Besetzung von David B. Whitley, der Ninas angehenden Freund Benny verkörpert und eher im Alter ihrer Vaters ist. Vom Typ her passt er ebenfalls kaum in diese smart angelegte Rolle. Außerdem gehen ihm die Raps nicht leicht über die Lippen. Stimmlich ist er zweifellos stark, textlich im ansonsten erstklassigen Sound jedoch unverständlich. Darunter leidet die Haupt-Liebesgeschichte des Stückes. Der Part des Sonny, dem Schützling und Ziehsohn von Usnavi, wird von Aniello Saggiomo in Gestik und Mimik ziemlich unmännlich gegeben. Dies steht im Gegensatz zu seinen jung-machohaften Sprüchen und lässt die Interpretation unglaubwürdig erscheinen. Publikumsliebling Marilyn Bennett verkörpert Abuela Claudia, die rührende und liebenswerte Vertrauensperson der gesamten Community. Ihre Opernherkunft kann sie in ihrem Solo geschickt kaschieren, indem sie tiefer singt.
Das Einheitsbühnenbild von Ulrike Reinhard platziert zwei doppelgeschossige, dreh- sowie verschiebbare Elemente an den Seiten, die unten als Usnavis Laden und als Büro der Rosarios dienen. Gelegentlich wird die obere Etage genutzt, etwa für Vanessas Zimmer und durch den Chor. Ein herausfahrendes Element in der Bühnenmitte fungiert als Tisch oder Sofa. Die Damen zeigen in den farbenfrohen Kleidern (Kostüme ebenfalls von Reinhard) viel Haut und tragen schicke offene Slender Hels. Die Herren sind dagegen in moderne Alltagskleidung gehüllt. Im Hintergrund ist die beleuchtete Skyline New Yorks zu erkennen, woraus die George-Washington-Brücke mit ihren Stahlstreben heraussticht. Auf der Rückwand werden, je nach Tageszeit, verschiedene Lichtstimmungen und das Feuerwerk projiziert. In den Party- und Tanzszenen das farbenfrohe Beleuchtungs-Konzept von Hans-Joachim Köster geschickt zum Einsatz.
Sascha Wienhausens Inszenierung ist schnörkellos und temporeich. Er verbindet die Solisten, den Chor und das Ballett des Hauses sehr harmonisch miteinander und lässt die Herren auch mal auf Hoverboards tanzen. Sean Stephans zackige und schwungvolle Choreografien fügen das Ballett gekonnt in die Tänze ein, die mit den zahlreichen Akteuren zum Hingucker werden. Die musikalische Umsetzung des Philharmonischen Orchesters unter der Leitung von Steffen Müller-Gabriel ist kraftvoll und dynamisch. Die Salsa- und Rap-Rhythmen gehen ins Ohr und erzeugen gute Laune.
Der lateinamerikanische Flair des Stückes wird sehr gut herübergebracht und die positive Energie dieses modernen Stückes erfolgreich auf die Zuschauer übertragen. Dem Theater Hagen gelingt mit seinem Team ein sehr erfreuliches und anschauliches Spiel in den Heights der pulsierenden New Yorker Großstadt. Das Experiment, ein wenig lateinamerikanische Rhythmen mit dem Spiel der Emotionen an ein Stadttheater zu holen, ist gelungen. Die Zuschauer gehen beschwingt nach Hause.
Musik und Liedtexte – Lin-Manuel Miranda
Buch – Quiara Alegría Hudes
Deutsche Übersetzung – Laura Friedrich Tejero
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