David Jakobs (Quasimodo) © Johan Persson  ©Disney
David Jakobs (Quasimodo) © Johan Persson ©Disney

Der Glöckner von Notre Dame (Menken/Schwartz) (2017 - 2018)
Theater des Westens, Berlin

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Rettet diese Neufassung das 1999er Disney-Musical um den missgestalteten Quasimodo? Ganz klar: Ja! Der „Glöckner“ ist erwachsener geworden. In der Inszenierung von Scott Schwartz im bombastischen Bühnenbild von Alexander Dodge und den Kostümen von Alejo Vietti gelingt eine einfach hinreißende, düster-dramatische Produktion.

Nach nur wenigen Takten des Eingangs-Chorals „Olim“, zu dem Chor und Ensemble in die Kathedrale von Notre Dame einziehen, ist schon wieder Schluss. Das Licht auf der ohnehin noch sehr düsteren Bühne erlischt. Es scheint, als habe jemand gleich zu Beginn der Premiere den Stecker gezogen. Ein schlechtes Omen für den bereits schon einmal in Berlin gescheiterten „Glöckner von Notre Dame“?

Nein, ganz im Gegenteil! Was nach fast viertelstündiger Zwangspause und hektischer Betriebsamkeit in der Technikabteilung über die Bühne läuft, ist äußerst sehenswert und wird nach dem Finale des zweiten Aktes zu Recht vom Publikum mit stehenden Ovationen für alle Beteiligten bejubelt. Diese Neufassung überzeugt in hohem Maße und lässt die technische Anfangs-Panne ganz schnell wieder vergessen.

Das liegt zum Beispiel auch am neuen Buch von Peter Parnell, das in der gelungenen deutschen Fassung von Michael Kunze die Musicalhandlung weg vom putzigen Disney-Trickfilm rückt. Parnell kehrt zurück zum dramatischen Erzählstrang aus Victor Hugos Romanvorlage „Notre-Dame de Paris“, in dessen Zentrum drei sehr unterschiedliche männliche Charaktere die feurige Esmeralda begehren: der bigotte Erzdiakon Claude Frollo, sein missgestalteter, unterdrückter Ziehsohn Quasimodo und der fesche Hauptmann Phoebus de Martin. Diese unglückliche Dreier-Konstellation um die verführerische Femme Fatale führt nach allerlei dramaturgischen Verwicklungen direkt in die Katastrophe. Esmeralda stirbt am Ende ebenso wie Frollo, den der aufbegehrende Quasimodo vom Dach der Pariser Kathedrale stößt. Alles ziemlich starker Tobak, der beweist, dass Disney durchaus auch Drama kann. Für Kinder ist diese Neufassung deshalb eher ungeeignet.

Auch Alan Menken hat seine Partitur überarbeitet, wobei hauptsächlich klerikale Kompositionen, die an Orffs wuchtige „Carmina Burana“ erinnern, hinzugefügt worden sind. Aus dem Orchestergraben, in dem immerhin fünfzehn Musiker sitzen (Dirigent bei der besuchten Premiere: Bernhard Volk), klingt das alles ziemlich satt und wenig künstlich. Auch ein wahrer Pluspunkt dieser Stage Entertainment-Produktion!

Scott Schwartz, Sohn von Stephen Schwartz, von dem wieder die Texte stammen, inszeniert das Stück sehr düster. Der Clou dabei: Seine Regiearbeit wirkt wie die Aufführung einer Wandertheater-Truppe. Einzelne Ensemble-Mitglieder und auch die Solisten treten immer wieder aus der Handlung heraus und erläutern in einem Lichtkegel deren Fortgang oder zeigen Hintergründe auf. Gleichzeitig führen sie Kostümwechsel auf offener Bühne aus (z.B. Einkleidung des Erzdiakons) und zeigen wie der Quasimodo-Darsteller zu seinem Buckel kommt. Ein im Hintergrund sitzender Chor (in der Premiere die „Orso Orchestra and Choral Society“) kommentiert wie in der Antike das Geschehen. Das ergibt bei den Songs einen sehr satten Sound.

Regisseur Schwartz setzt das Ensemble in grauen Mönchskutten zudem auch als Heiligenfiguren ein, die als Freunde und Ratgeber Quasimodos die drei Wasserspeier aus der Ur-Fassung ersetzen. Anstelle der gestrichenen Uptempo-Nummer „Ein Mann wie du“ hat Alan Menken den neuen Song „Flucht nach Ägypten“ komponiert, in dem Romeo Salazar als mit dem Kopf rollender Heiliger St. Aphrodisius einen der wenigen komischen Momente in der Show hat. Hier und in den Tänzen der Zigeuner tobt sich Chase Brock mit seinen rasanten Choreografien aus, die ungemein präzise getanzt werden.

Zeigte sich der Ur-Glöckner 1999 mit seinen Hubpodien und Projektionsflächen optisch sehr virtuell und technisch, so gibt es für die Neufassung wieder ein „richtiges“ Bühnenbild. Alexander Dodge hat einen gewaltigen, zweigeschossigen Kathedralen-Innenraum in Holzoptik entworfen, in den sich ein Geläut mit sieben Kirchenglocken hinabsenken lässt. Durch eine Bodenluke gelangen die handelnden Personen zu Quasimodo, der im Glockenstuhl sein Dasein fristet. Andere Handlungsorte, wie der Marktplatz, eine Kneipe oder das Zigeunerlager „Wunderhof“ werden durch wenige Versatzstücke angedeutet, die von den Darstellern aufgebaut werden. In diesem Zusammenhang ist unbedingt Lichtdesigner Howell Binkley zu erwähnen, der die immer recht düster wirkende Szenerie sehr stimmungsvoll ausleuchtet. Ergänzt wird die stimmige Optik durch die vom Mittelalter inspirierten Kostüme von Alejo Vietti.

Erste Sahne ist aber auch der Cast. Sarah Bowden ist eine einfach hinreißende Esmeralda mit einer ungeheuren Bühnenpräsenz und einem vollen Sopran, der bis in die höchsten Höhen leuchtet. Bereits mit Esmeraldas neuem, feurigem Auftrittslied „Rhythmus meines Tambourins“ begeistert sie, steigert sich dann aber nochmals in der Ballade „Einmal“. Bowdens Stimme harmoniert zudem perfekt mit Maximilan Manns schönen Tenor. Als Hauptmann Phoebus de Martin ist er eine ebenso gute Besetzung wie Jens Jahnke, der den quirligen Zigeuner-König Clopin Trouillefou gibt.

Felix Martin legt den Erzdiakon Claude Frollo als abgrundtiefen Fiesling und herrschsüchtigen Geistlichen an. Im mit mächtigem Bariton gesungenen Solo „Das Feuer der Hölle“ lässt er aber auch die Zerrissenheit der Figur aufblitzen und wird in der Premiere für seine diabolische Leistung als gottgleicher Rächer in diesem Song frenetisch gefeiert. Martins Frollo ist ebenso eine Idealbesetzung wie David Jakobs, der den körperlich wie geistig gehandicapten Quasimodo verkörpert. Es ist absolut bewundernswert wie der Darsteller sich mit irrem Blick über die Bühne schleppt und damit zum bedauernswerten Sympathie-Träger der Show avanciert. Neben dieser auch rein körperlich Kräfte zehrenden Darstellung und einer plärrenden Sprechstimme punktet Davids vor allem mit seinem klar und fein modulierten Tenor, der im Song „Aus Stein“ in einem kongenial ausgesungenen Spitzenton gipfelt. Davids setzt mit dieser Darstellung Maßstäbe – zum Niederknien großartig!

Wenn ein Premieren-Publikum zum Schlussapplaus außer Rand und Band ist, dann ist das eine Beifallsbekundung. Hier ist diese Reaktion allerdings mehr als berechtigt. Denn die Überarbeitung in Buch und Musik sowie die pfiffige Inszenierung haben diesem Musical so richtig gut getan. Bleibt zu hoffen, dass das Stück nach der aktuellen Tournee, die es im Anschluss an Berlin Anfang 2018 weiter nach München führt, nicht wieder jahrelang in der Versenkung verschwindet. Der runderneuerte „Glöckner“ hätte durchaus auch das Potenzial, als freie Stadttheater-Inszenierung mit einem hauseigenen Musiktheater-Ensemble dauerhaft Bestand zu haben.

Diese Produktion lief in folgenden Häusern:
08.04.2017 bis 04.11.2017 – Theater des Westens, Berlin
11.11.2017 bis 07.01.2018 – Deutsches Theater, München

 
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KREATIVTEAM
MusikAlan Menken
TexteStephen Schwartz
BuchPeter Parnell
Deutsche FassungMichael Kunze
German Score and Script SupervisorRobin Kulisch
InszenierungScott Schwartz
Musikalische LeitungShay Cohen,
(Bernhard Volk
Alexandros Diamantis)

ChoreografieChase Brock
BühnenbildAlexander Dodge
KostümeAlejo Vietti
LichtHowell Binkley
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
CAST (AKTUELL)
QuasimodoDavid Jakobs,
(Jonas Hein
Kevin Köhler
Milan van Waardenburg)

EsmeraldaSarah Bowden,
(Kristina Love
Sina Pirouzi)

Erzdiakon Claude FrolloFelix Martin,
(Guido Gottenbos
Oliver Mülich)

Hauptmann Phoebus de MartinMaximilian Mann,
(Daniel Rakasz
Tim Reichwein)

Clopin TrouillefouJens Janke,
(Kevin Köhler
Alexander Zamponi)

Pater DupinGuido Gottenbos
FlorikaKristina Love
MadameBarbara Raunegger
Eva Maria Bender
Jehan FrolloTim Reichwein
Nico Schweers
St. AphrodisiusRomeo Salazar
Leutnant Frederic CharlusMilan van Waardenburg
König Louis XI.Alexander Zamponi
EnsembleGuido Gottenbos
Kristina Love
Chiara Ludemann
Sina Pirouzi
Daniel Rakasz
Barbara Raunegger
Tim Reichwein
Romeo Salazar
Mike Sandomeno
Daniel Therrien
Milan van Waardenburg
Alexander Zamponi
SwingJames Cook
Jonas Hein
Johannes Kiesler
Kevin Köhler
Oliver Mülich
Dorit Oitzinger
Wiebke Wötzel
ChorOrso Orchestra and Choral Society
Berliner Konzertchor
  
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TERMINE
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TERMINE (HISTORY)
Sa, 08.04.2017 19:30Theater des Westens, BerlinPreview
So, 09.04.2017 18:00Theater des Westens, BerlinPremiere
Di, 11.04.2017 19:30Theater des Westens, Berlin
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