Dem Biografical über den Varieté-Künstler und Geschäftsmann Erik Jan Hanussen fehlen ein stringenteres Buch (Knut Gminder) und mehr Kompositionen mit Ohrwurm-Potenzial (Matthias Binner). Das Ass der Aufführung ist Maximilian Nowka in der Titelrolle.
Nach Verkündigung seiner spektakulären Vision – dem Brand des Berliner Reichstagsgebäudes – bricht der elegant gekleidete Mann mit der weißen Binde vor dem Gesicht auf offener Bühne zusammen und bleibt regungslos liegen. Nichts geschieht. Ratlose Gesichter bei den Besuchern von Hanussens Experimental-Abend, dem Publikum im Kleinen Theater. Nach wohldosierten Momenten des Nichts erklingt die finalen Reprise des Titelsongs zum Biografie-Musical über den Star der Berliner Okkult-Szene der 1920er Jahren. Mit verändertem Text thematisiert eine Songstrophe Hanussens Tod: Die SA bringt den selbst ernannten Wahrsager nach der Vorahnung des Feuers im Parlamentsgebäude unter nie geklärten Umständen für immer zum Schweigen.
Mit diesem Finale gelingt Knut Gminder, Autor und Regisseur in Personalunion, genau das, was den in eine Hokus-Pokus-Show eingebauten Rückblenden in die Hanussen-Biografie fehlt: Biss und Dramatik. Dabei ist Hanussens schillerndes Leben ein Füllhorn an Lug und (Be-)Trug, dem sich Gminder jedoch ohne einen erkennbaren roten Faden recht brav bedient. So steht der Trickkünstler zum Beispiel nach der Pause überraschend vor Gericht und wird des „Ausnutzens von Schwachsinns“ unzufriedener Hellseh-Kunden angeklagt. Wie es dazu gekommen ist, bleibt im Dunkeln. Auch eine der vielleicht widersprüchlichsten Facetten seines Lebens, die Kollaboration des Künstlers jüdischen Glaubens mit dem Nazi-Regime, wird nur dezent angerissen und nicht hinterfragt. Damit bezieht Gminder keine klare Position zur Hauptfigur, die mit Erpressung und viel faulem Zauber zu Ruhm und Wohlstand gekommen ist.
Dennoch hat die solide Inszenierung im nur mit sechs Kisten als variable Versatzstücke ausgestatteten Bühnenraum (Wiebke Horn) einen besonderen Trumpf im Ärmel: Hanussens Auftritte beim Experimental-Abend, der als Rahmenhandlung genutzt wird. Hierzu bittet der Magier ahnungslose Theater-Zuschauer auf die leicht nach vorne abfallenden Bretterbühne, wo sie ihm vor einem roten Vorhang assistieren. In der fast pausenlos auf der Bühne präsenten Titelrolle ist Maximilian Nowka hier ein wahrer Glücksgriff. Er ist sowohl der charmante Show-Gastgeber als auch ein selbstsicherer, mystischer Gedankenleser mit einem irr-furchterregenden Gesichtsausdruck in Trance-Szenen. Dabei verblüfft er sein Publikum auch immer wieder mit den Zaubertricks. In den Biografie-Teilen spielt Nowka Hanussen zudem als nazistischen, skrupellosen Mann mit Karriere-Ambitionen. Schade, dass er seine volle, schöne Gesangsstimme nur in wenigen Momenten zur Geltung bringen kann.
Neben Nowka haben es die anderen drei Darsteller in einer Vielzahl von Nebenrollen vorlagenbedingt schwer. In der Gerichtsszene können Boris Freytag und Juliane Maria Wolff ihre schauspielerische Bandbreite und Wandlungsfähigkeit als diverse Personen im Zeugenstand ausspielen. Freytag singt zudem mit sonorem Bass, Wolff gefällt mit klarem, sicheren Sopran zum Beispiel im lasziven Song „Ab morgen willst du nur noch mit mir sein“. Im Titellied „Hanussen“ harmonieren sie perfekt mit dem tiefen Bariton von Patrick Rupar, der als Hanussens Adlatus Maki und als Richter zu sehen ist.
Mit wahren magischen Momente kann das Stück auf der musikalischen Seite nicht aufwarten. Mit Ausnahme von „Hanussen“ und dem Showstopper „Der schöne Schein – das ist das Varieté“ klingen die recht wenigen Kompositionen von Matthias Binner seltsam belanglos und erinnern zum Beispiel in der Prozess-Szene eher an Opernrezitative. Hanussens Auftritte beim Experimental-Abend untermalt Binner mit mystischen Klangfolgen, die er als musikalischer Leiter in der ersten Reihe sitzend am Synthesizer und an der Zither spielt. Ärgerlich ist der recht breiige, dumpfe Klang, mit dem der Sound im Zuschauerraum verhallt.
Hanussen – ein genialer Trickkünstler oder ein skrupelloser Hochstapler und Karrierist? Diese Frage beantwortet das Stück nur in Ansätzen und ist auch musikalisch kein großer Wurf. Richtig verzaubern kann allerdings der charismatische Hauptdarsteller.
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