Mit den „Gefährlichen Liebschaften“ wagen sich die Gandersheimer Domfestspiele um Intendant Christian Doll an eine Uraufführung und weitere Eigenproduktion. Doll zeichnet sich auch für die Liedtexte und die Regie verantwortlich. Sein Werk punktet mit guten Einfällen, wirkt in Summe allerdings noch unvollendet.
Das Stück beruht auf dem gleichnamigen Briefroman von Laclos aus dem 18. Jahrhundert – und genau die Briefe sind es auch, die vor dem Dom die beherrschende Rolle spielen. Sie tauchen in jeder Szene auf, werden geschrieben, gereicht, versteckt, übergeben, gestapelt, verteilt, sortiert, ent- und zerrissen. Manchmal machen sie sich auf Grund des Windes selbstständig, an anderen Stellen fliegen Sie von Menschenhand geworfen in hohem Bogen durch die Luft. Die Idee ist gut und wirkt modern. In der Gandersheimer Version der Liebschaften bleibt die ursprüngliche Gesellschaftskritik des Romans hingegen vollends auf der Strecke. Doll entscheidet sich für ein Lustspiel mit zum Teil schwacher Charakterzeichnung, dafür aber starkem Wortwitz. In Handlung eilt in hohem Tempo aber mit wenig Handlung voran; in den ersten 30 Minuten gibt es nahezu keinen Szenenapplaus, weil selbst nach starken Szenen keinerlei Pausen entstehen. Das Tempo wirkt hier zeitweise ermüdend. Erst in den letzten 45 Minuten zum Finale hin gewinnt das Stück am Premierenabend deutlich an Qualität, hier scheint nun alles zu stimmen. Insbesondere das Finalbild könnte so schließlich auch in Hamburg, London oder Wien auf einer Bühne zu sehen sein.
Annika Bruhns bereichert als intrigante Grande Dame mit diabolischem Charakter das Ensemble. Sie spielt die Merteuille selbstsicher und erhaben, zeitweise vielleicht zu glamourös. Besonders zum Finale und dem eigentlichen Scheitern ihrer Rolle blüht sie auf, wirkt dabei zerbrechlicher und dennoch stimmlich brillant. Besonders erwähnenswert ist zudem Franziska Schuster in einer Doppelrolle. Als Dienerin Sophie und Dame des horizontalen Gewerbes ist die junge Darstellerin erstaunlich präsent und stets mit vollem Einsatz bei der Sache. Auch leise Töne und Gesten zaubert sie mit Leichtigkeit auf die Bühne. Julia Hiemer (Cécile de Volanges) und Pascal Höwing (Danceny) strahlen herrlich unbeholfen und zaubern allerlei Komik in ihre Rollen zweier Jugendlicher in erster schüchterner Liebe. Stimmlich sauber aber charakterlich zu glatt wirkt hingegen Dirk Schäfer als selbstverliebter Vicomte de Valmont.
Heiko Lippmann hat für die „Gefährlichen Liebschaften“ eine anspruchsvolle, starke Partitur entworfen. Er erschafft ein Potpourri aus sanften Chansons, kräftigen Walzer- und wilden Tangorhytmen. Die Musik ist raffiniert und klingt trotz des obligatorischen Einsatzes von Synthesizern harmonisch und überwiegend fließend. Die Band rund um Patricia Martin leistet einen hervorragenden Job und es macht Spaß, ihr bei der Arbeit zuzuschauen und -zuhören. Bei den Songtexten treffen interessante Ideen (z.B. Abzählreime als Text) auf eintönige Schubi-Babdidab-Refrains. Für die vielschichtigen und schönen anzusehenden Choreographien zeichnet sich erneut Hardy Rudolz zuständig.
Das Bühnenbild von Cornelia Brey vor dem Dom besteht aus zwei Schauplätzen (Paris / „Auf dem Land“) und einem runden Plateau, das mal dem einen und mal dem anderen Spielort zugeschlagen wird. Während der einfache und dennoch prunkvolle Aufbau eines Pariser Appartements sehr gelungen wirkt, mag die Szene auf dem Land nicht zu überzeugen. Sie wirkt unaufgeräumt und der Übergang von Natur zu kantigen Bühnenpodesten bildet einen unnatürlichen Kontrast. Klassische Beleuchtungselemente werden gekonnt eingesetzt, an wenigen Stellen hätte ein sich aufbauendes Lichtdesign und mehr Bewegung die Szenen jedoch zusätzlich unterstreichen können.
Schwierig war bei der besuchten Vorstellung nicht zum ersten Mal in diesem Jahr der Ton einzuordnen. Während zu Beginn der Aufführung das Orchester ausschließlich aus den seitlichen und der Gesang aus dem mittleren Boxenset zu kommen schien, normalisierte sich das Klangbild schließlich über weite Strecken. Die Lautstärke war angemessen und deren Steigerung zum Finale unterstrich die Dramatik hervorragend. Ärgerlich hingegen der fast durchgängig dumpfe Klang der Töne.
Mit sauberem Klang könnten die „Gefährlichen Liebschaften“ noch deutlich stärker wirken und sich vor allem auch Lippmanns schöne Kompositionen vollends entfalten. Bei der Premiere hob es die Beobachter gefährlicher Liebschaften erst einige Minuten nach dem Schlussakkord aus ihren Sitzen, ein sehr langanhaltender Applaus zeigt allerdings, dass dieses Stück trotz fehlendem Tiefgang durchaus Potential hat.
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