Dem Schlossparktheater gelingt mit „End of the Rainbow“ von Peter Quilter ein ganz großer Wurf. In diesem Biografical stimmt einfach alles: Inszenierung, Ausstattung, Darstellung und Musik. Bravo!
Müde? Hungrig? „Nimm ’ne Pille!“ – die Mutter der kleinen Judy empfiehlt ihrer Tochter für alle Lebenslagen runde Problemlöser. Das behauptet die von Kinoleinwand und Showbühne bekannte Judy Garland in ihren letzten Lebenswochen und rechtfertigt damit, dass sie auch über vierzig Jahre später auf Hilfe aus dem Arzneischrank angewiesen ist. Mit dem Unterschied, dass die erwachsene Judy sie mit Hochprozentigem herunter spült. „Jedes Mal, wenn ich Wasser trinke, habe ich das Gefühl, etwas fehlt“.
Peter Quilter setzt Judy Garland mit „End of the Rainbow“ ein alles andere als glänzendes Denkmal. Der Autor zeigt ein von Pillen und Promille gezeichnetes menschliches Wrack, das nur in benebeltem Zustand ertragen kann, Judy Garland zu sein. „Gott, ist das furchtbar“ sind dann auch die ersten Worte, die er die Bühnenfigur sagen lässt, die 1969 im Zuge einer Comeback-Konzertserie in London versucht, die Illusion einer großartigen Diva aufrecht zu erhalten. Dieses Dilemma wird von zwei sehr gegensätzlichen Männern begleitet: Mickey, Judys sehr viel jüngerer Manager und Verlobter Nummer fünf, versucht, von echter Zuneigung getrieben, ihren wirtschaftlichen Bankrott abzuwenden, indem er sie „fit“ auf die Showbühne treibt. Hierfür hält er zunächst Antidepressiva, Aufputschmittel und Alkohol von ihr fern, stellt später allerdings Ökonomie vor Gesundheit und besorgt ihr die für die Auftritte erforderlichen Drogen. Sein Gegenpol ist Anthony, ein schwuler Pianist und langjähriger Vertrauter von Judy, der sich um seine kollegiale Freundin sorgt und ihren Totalzusammenbruch durch Absage der Auftritte verhindern will. Letztendlich besiegt Judys Sucht ihre Vernunft und sie wendet sich von Anthony ab. In einem kurzen, finalen Monolog schildert dieser ihre letzten Lebensstationen: Heirat des Managers, Tod mit 47 Jahren durch Medikamentenüberdosis und Beisetzung, bezahlt von Frank Sinatra.
Quilters gelungene Mischung aus sarkastischem Humor und Dramatik ist bei Folke Braband bestens aufgehoben. Seine Regiearbeit setzt auf feinsinniges Herausarbeiten der Zerrissenheit der drei Protagonisten in ihrem Selbst und der Interaktion miteinander. Braband legt die Charaktere vielschichtig an und lässt dem Publikum viel Spielraum zu entscheiden, wie viel Liebe im Handeln des Managers liegt, ob Judy überhaupt noch einen Bezug zur Realität hat und welcher der beiden Herren am konsequentesten handelt. Der Regisseur nutzt geschickt den gesamten kleinen Bühnenraum aus und hat ein sicheres Händchen für das Timing von Pointen und Dramatik. Doch nicht nur Buch und Inszenierung reißen das Publikum bei der Premiere zu minutenlangen, stehenden Ovationen hin.
Glanzpunkte setzen auch die exzellenten Musiker, die unter der Leitung von Ferdinand von Seebach Judys Konzertpassagen im Stück jazzig und federleicht swingend begleiten. Postiert am hinteren Bühnenrand, vor einem beleuchteten „Judy“-Schriftzug, zaubert die Sechs-Mann-Band auch optisch eine klassische Show-Atmosphäre. Für die in Garlands Hotel-Suite spielenden Szenen lässt Ausstatter Stephan Dietrich, der auch für das geschmackvolle 1960er-Kostümbild verantwortlich zeichnet, weiße Versatzstücke (Tür, Sofa und ein Fenster) in den kargen Raum einrollen. Davor steht am linken Bühnenrand ein Flügel, an dem Pianist Anthony Platz nimmt und sowohl mit Judy Songs probieren kann, aber auch ihre Auftritte mit der Band begleitet. Christoph Schobesberger spielt tatsächlich Klavier, überzeugt aber vor allem in der Darstellung eines hilflosen Realisten, der letztendlich daran scheitert, Judy zurück in die Realität zu ziehen. Seinen Gegenpart Mickey lotet Torben Krämer gekonnt zwischen sorgendem Liebhaber und Geschäftsmann aus. Aufgrund der der großartig gespielten Konfrontation beider Charaketere vermeiden es beide Darsteller, ihre Figuren zu bloßen Stichwortgebern verkommen zu lassen.
Im Mittelpunkt des Abends steht allerdings rein vorlagenbedingt Katharine Mehrling als Judy Garland. Mit ungeheurer Bühnenpräsenz, divenhaftem Gehabe (Choreografie: Danny Costello) und leicht angerauter Stimme gibt sie einen abgehalfterten Showstar. Mehrling wechselt mühelos auf der Klaviatur der Stimmungen von himmelhochjauchzend zu total am Boden zerstört und torkelt als unfreiwillig abstinenter Junkie wie ein ferngesteuerter, willenloser Zirkusgaul über die Bühne. Eine grandiose Leistung, die sie gesanglich mit ihrer differenziert eingesetzten Stimme komplettiert. Wenn Mehrling ganz am Schluss am Boden sitzend apathisch „Somewhere Over the Rainbow“ anstimmt, Töne verschleppt und ihre Stimme wegbrechen lässt, dann spürt das Publikum: Pillen sind auf keinen Fall universelle Problemlöser.
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