Anja Fliess, Alexander Zamponi © Kleines Theater
Anja Fliess, Alexander Zamponi © Kleines Theater

Oh, wann kommst du? (2009 - 2015)
Kleines Theater, Berlin

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„Wir wollen niemals auseinander geh’n“ singt einig Deutschland nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg, die Siegermächte entscheiden anders. Mit der ebenso witzigen wie nachdenklich stimmenden Schlager-Revue „Oh, wann kommst du?“ erzählt Karin Bares (Regie) eines der wichtigsten Kapitel der deutschen Geschichte bis zum finalen Mauerfall nach. Das dann vorgetragene „Wunder gescheh’n“ gilt auch für diese kleine, äußerst sehens- und hörenswerte Produktion.

Eingezwängt zwischen je einem Mauerteil vor den Füßen und im Rücken singt der am Boden sitzende Mann resigniert „Ich war noch niemals in New York“. Dazu erklingen schräge Harmonien, als würde der Udo-Jürgens-Schlager aus der Feder von Kurt Weill stammen. Der auf der linken Bühnenhälfte stockend und trotzig vorgetragenen Textpassage „ich war noch niemals richtig fort“ wird jenseits des von den DDR-Oberen errichteten antifaschistischen Schutzwalls auf der anderen Hälfte der Spielfläche ein sorglos-fröhliches „Santa Maria“ samt Liebe an schneeweißen Stränden entgegengeträllert. Auch wenn der Ostmann vorher beim Auspacken des Westpakets stolz „Ich geh vom Nordpol zum Südpol zu Fuß“ geschmettert hat – er muss sich eingestehen, dass viele in der DDR die große weite Welt nur beim Schnuppern an einer Kaffeepackung ausmachen konnten.

Ganz wie es der Untertitel der Show verspricht, setzt Karin Bares (Inszenierung) die populäre Musik der Deutschen zueinander in Dialog, allerdings im übertragenen Sinne. Außer der wiederholt gestellten Frage „Ist dies der Sonderzug nach Pankow?“ wird den ganzen Abend über nicht gesprochen. Vielmehr wird das deutsche Schlagerrepertoire Ost singend dem westlichen Pendant gegenübergestellt. Dabei erklingen die einzelnen Songs in thematischen Gruppen, die die Gegensätze zwischen dem Lebensgefühl in den beiden politisch und gesellschaftlich getrennten deutschen Staaten anschaulich illustrieren. Tuckert in der DDR das Pärchen im biederen Faltenrock und im FDJ-Hemd im „himmelblauen Trabant durchs Land“, skandiert der Westen sonnenbebrillt im Lederoutfit großkotzig „Fahr’n, fahr’n, fahr’n auf der Autobahn“. Die Regisseurin schickt ihre spielfreudigen Darsteller zu den Songs in immer neuen Masken und Kostümen auf die Minibühne, auf der sich mit Hilfe der vier verschiebbaren Beton-Mauerteile schnell neue Perspektiven herstellen lassen (Ausstattung: Norman Zechowski). Auch wenn Bares keine konkrete Handlung erzählt, sie entsteht dank kraftvoller Bilder im Kopf ihres Publikums. So zum Beispiel, wenn nach der Öffnung der Mauer ein in seine Jacke eingekuschelter DDR-Bürgers im kalten Lichtkegel zaghaft durch den Mauerspalt tritt, während die Wessis die Korken knallen lassen.

Als musikalischer Leiter hat Matthias Binner die Schlager zum Teil umarrangiert sowie Tempi und Rhythmen angepasst, sodass die immer nur in ihren wichtigsten Passagen angesungenen Lieder an Witz gewinnen und sogar gemeinsam erklingen können (im Tanz-Block: „Lipsi-Schritt“ parallel zu „Schuld war nur der Bossa Nova“). Engagiert begleitet er aus der ersten Sitzreihe als Ein-Mann-Combo an Keyboard, Akkordeon und Glockenspiel, singt aber auch Chor-Passagen. Sein kleiner Auftritt auf der Bühne kurz vor der Pause sei Binner gegönnt, auch wenn das von ihm interpretierte „Große Gebet der alten Kommunistin Oma Meume in Hamburg“ von Wolf Biermann in der Show etwas deplaziert wirkt.

Bei den vier Darstellern fällt einzig Pier Niemann etwas ab. Seine Soli singt er in sonorer Mittellage, wobei er wie bei „Hey Boss, ich brauch mehr Geld“ vor allem solche Songs zu interpretieren hat, bei denen sein Sprechgesang angebracht ist. In Interaktion mit seinen Kollegen Alexander Zamponi, Anja Fliess und Susanne Menner fallen seine nicht richtig getroffenen Töne mehr auf. Alexander Zamponi präsentiert Frank Schöbels musikalischen Nordpol-Südpol-Ausflug nicht nur mit geschmeidigem Bariton, sondern glänzt auch mit umwerfend komischem Bewegungsrepertoire. Anja Fliess sorgt mit ihrem galligen „Clown sein“ für das musikalische Highlight des Abends, während Susanne Menner als Schnapsdrossel dem gesungenen Titel der Show völlig unbekannte Seiten abgewinnt. Mit ihren vielen verschiedenen weiblichen Charakteren zeigt sie auch stimmlich ihre ungeheure Wandlungsfähigkeit.

Mit „Oh, wann kommst du?“ beweist das Kleine Theater, dass eine Compilation-Show auch ohne eine krampfhaft zusammengeschriebene Handlung sehr gut funktionieren kann. Es reicht, wenn Inszenierung und Darsteller stimmen.

 
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KREATIVTEAM
InszenierungKarin Bares
Musikalische LeitungMatthias Binner
AusstattungNorman Zechowski
 
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CAST (AKTUELL)
EnsembleAnja Fliess
Susanne Menner
Alexander Zamponi
Boris Freytag
 
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CAST (HISTORY)
Anja Fliess, Susanne Menner, Alexander Zamponi, Pier Niemann
  
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TERMINE
keine aktuellen Termine
 
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TERMINE (HISTORY)
Sa, 07.11.2009 20:00Kleines Theater, BerlinPremiere
So, 08.11.2009 18:00Kleines Theater, Berlin
Fr, 13.11.2009 20:00Kleines Theater, Berlin
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