Sunset Boulevard (2008 - 2009)
Harold Pinter Theatre, London

Beim West-End-Revival von Andrew Lloyd-Webbers Adaption des Filmklassikers von Billy Wilder gibt es große Gefühle auf kleiner Bühne. Neben Kathryn Evans als Norma Desmond und Ben Goddard als Joe Gillis steht Dave Willetts als Max Von Meyerling auf der Bühne.

Gewöhnungsbedürftig – das zumindest ist der erste Eindruck, wenn sich am Ende der Ouvertüre herausstellt, dass das Orchester auf der Bühne gar kein Orchester, sondern das Ensemble ist und die Darsteller auch keine Anstalten machen, die Instrumente für längere Zeit aus den Händen zu legen. Dass die Handlungsträger „nebenbei“ musizieren, ist zwar kein völlig neues Konzept, lenkt aber tatsächlich einige Minuten lang etwas von der Handlung ab und führt dazu, dass die kleine Bühne des Viktorianischen Comedy Theatres durch einige sperrige Instrumente noch enger wirkt. Letzteres ist nicht weiter problematisch, da „Sunset Boulevard“ nicht zwingend eine große Bühne erfordert und sehr gut in den intimen Rahmen des kleinen Theaters passt. Auch ansonsten geht es überraschend schnell, bis man sich an die ungewöhnliche Verschmelzung von Ensemble und Orchester gewöhnt hat und sich die Instrumente fast unbemerkt in die Handlung einfügen. Spätestens zum gefühlvoll-melancholischen Instrumental-Auftakt des zweiten Aktes fragt man sich, wieso man sich je daran gestört hat. Experiment gelungen!

Auf weitere Experimente verzichtet Regisseur und Choreograph Craig Revel Horwood und setzt stattdessen auf eine klassische Inszenierung mit einem eher statischen, aber stimmungsvollen Bühnenbild, das mit Palmen und Wendeltreppe den alten Hollywood-Charme einfängt, und einer grandiosen Hauptdarstellerin.

Kathryn Evans darf sich, im Gegensatz zu ihren Kollegen, voll aufs Singen und Spielen konzentrieren – passend zur Rolle: eine Norma Desmond würde sich nicht dazu herablassen, Instrumente zu spielen. Evans ist in jeder Sekunde ganz Diva: dramatisch und würdevoll, arrogant und melancholisch, nie wirklich sympathisch und oftmals an der Grenze zum Wahnsinn, aber dennoch eine Frau, mit der man stets mitfühlt und -leidet. Evans macht jedes ihrer mit warmer Stimme gesungenen und intensiv gespielten Soli zu einem großen Auftritt.

Als Bühnenpartner steht ihr Ben Goddard als arroganter, ausgebrannter Drehbuchautor Joe Gillis zur Seite, dem die alternde Stummfilm-Diva hoffnungslos verfällt. Die zerstörerische Beziehung der beiden wirkt vor allem Dank der überzeugenden Darstellung von Evans und Goddard angenehm unaufgesetzt. Die aufkeimende Romanze zwischen Joe und seiner Co-Autorin Betty im zweiten Akt will dagegen nicht so recht in Schwung kommen, auch wenn das Duett „Too Much in Love to Care“ wunderbar gesungen ist und West-End-Debütantin Laura Pitt-Pulford eine äußerst sympathische Betty abgibt.

Goddard erinnert streckenweise – sowohl stimmlich als auch in seinem Spiel – ein wenig an den jungen John Barrowman. An einigen Stellen wünscht man sich von ihm vielleicht noch eine Spur mehr Zynismus, doch besonders in den Szenen mit Norma und bei seiner Interpretation des Titelsongs (zu der er außerdem noch ein Flöten-Riff beisteuert), überzeugt Goddard auf der ganzen Linie.

Im Vergleich zu den großen, dramatischen Soli und den gefühlvollen Duetten bleiben die eher leichtfüßigen Ensemble-Nummern des Stücks etwas blass – was schlichtweg in der Natur des Stückes liegt. Neben den drei Hauptdarstellern hat einzig Musical-Veteran Dave Willetts als Normas allgegenwärtiger Butler und Beschützer Max von Meyerling die Gelegenheit, sich mit viel Bühnenpräsenz und dem großartig interpretierten Solo „The Greatest Star of All“ aus dem allgemein guten Ensemble abzuheben.

Das West-End-Revival von „Sunset Boulevard“ ist ein Geheimtipp: eine kleine, feine Inszenierung, die ohne große Effekte und zwanghafte Modernisierung daherkommt – die hat sie aber auch nicht nötig.